Story XVIII - Leise I

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»Leise« ist mit Abstand meine absolute Lieblingsgeschichte aus dieser Sammlung. Sie ist der zweite (und letzte) Dreiteiler und hat einfach alles: die Atmosphäre, die Spannung... Und eine angedeutete Liebesbeziehung zwischen zwei Auftragskillern! Was könnte man mehr wollen?



Leise und vorsichtig stoße ich von außen die Balkontür auf. Nicht einmal abgeschlossen! Es ist so einfach, in dieses Haus einzubrechen, dass es fast schon eine Beleidigung meiner Fähigkeiten ist.

Ich bevorzuge anspruchsvolle Aufträge, aber wenn der Kunde eine Person sterben sehen will, die leicht zu töten ist, dann kann ich wohl leider nichts daran ändern.

Ein aufmerksames Ohr in diesem Haus würde hören, wie meine gedämpften Schritte über den Parkettboden hallen, aber da ist niemand, der mich, den Meisterauftragsmörder, bewundern könnte.

Dieser Job ist so leicht, dass er mich beinahe schon anwidert! Da liegt das Opfer, völlig wehrlos in seinem Bett und schläft!

Man sollte einem Menschen doch wenigstens eine Chance geben, zu kämpfen, auch wenn es nur ein langweiliger, trotteliger Polizeichef ohne jede praktische Erfahrung ist!

Mit schnellen, aber sehr geschmeidigen Schritten nähere ich mich dem Bett. Ich ziehe meinen Revolver und ziele auf diesen ahnungslosen, komplett von der Bettdecke verhüllten Typen.

Nein! Das kann ich mir doch nicht antun! Ich will ihm wenigstens in die Augen sehen, wenn er stirbt!

Vorsichtig ziehe ich die Decke zurück... Nein! Nein! Das darf nicht wahr sein! Ein Paar listig grinsender blauer Augen schaut mich durch mehrere Strähnen leuchtend roter Haare berechnend an. Hellwach.

Ich kenne dieses Gesicht und ich weiß, dass es nicht dem Polizeichef gehört!

Ah! Bevor ich irgendetwas machen kann, spüre ich eine Klinge in meiner Schulter und im nächsten Moment steht eine komplett in schwarz gekleidete Frau mit einem blutigen Dolch in der Hand vor mir aufrecht im Bett und schüttelt sich ihre roten Haare aus dem Gesicht.

»Du bist du langsam!«, haucht sie mir mit eiskalter Stimme zu, in der ich einen Anflug von gespieltem Bedauern zu erkennen glaube, »Viel zu langsam, CC2! Zu langsam, um mit mir zu kämpfen und zu langsam, um deinen Auftrag zu erledig–«

Eine heftige Kopfnuss in den Magen bringt sie aus dem Konzept. Mein schmerzender Arm protestiert, aber steige auf das Bett, packe sie am Kragen und frage: »Was soll das heißen?«

Sie überdeckt die Schmerzen mit einem schiefen Grinsen und zischt: »Wer hätte gedacht, das wir zwei mal in einem Bett enden würden? Tut mir ja sehr Leid, aber ich habe leider keine Zeit für dich! Die Bullen werden jeden Augenblick hier sein und dann brauche ich dich als Tatverdächtigen, der den armen Jimmy hier umgebracht hat, dem es gerade noch so gelang, mit letzter Kraft seinen Mörder mit dem Dolch, den er unter dem Kopfkissen versteckt hatte, genug zu verletzen, dass er nicht mehr entkommen konnte!«

Sie legte den Kopf schief und kniff lächelnd die Augen zusammen. Dann spürte ich wieder einen Dolchstich in meinen Arm und zog reflexartig meine Hand zurück.

Kaum hatte ich das getan, stand die Rothaarige auch schon mit wehenden Haaren in der Balkontür. Sie drehte sich noch einmal zu mir um und sagte: »Mal sehen, CC2, vielleicht komme ich dich ja mal im Gefängnis besuchen!«

Dann war sie weg.



K43 grinste, als sie sich an der Hausfassade nach oben auf das Dach zog. Dieser Idiot kam ihr gerade recht. Keine Spuren zu hinterlassen war zwar gut, aber die Schuld auf jemand anderen schieben zu können war noch bedeutend besser. Sie setzte sich im Schneidersitz auf das Dach und stopfte ihre viel zu auffälligen Haare unter eine schwarze Mütze.

In der Ferne konnte sie schon die ersten Polizeisirenen heulen hören.

Fast tat ihr ihr Kollege ein bisschen Leid, aber dann schüttelte sie den Kopf und rannte grinsend über die Dächer davon, leise und geschmeidig wie eine Katze.



Das Bild verschwimmt vor meinen Augen und alles was ich hören kann, ist das dröhnend laute Pochen in meinen Ohren. Das plötzliche Aufheulen der Polizeisirenen holt mich wieder zurück.

Zum Glück hat diese K43 keine wichtigen Adern durchtrennt, aber der Arm blutet trotzdem wie verrückt.

Unter großen Schmerzen ziehe ich mein Hemd aus, zerreiße es und verbinde mir die beiden Wunden.

Die Sirenen sind jetzt ganz nah. Unten im Haus tritt schon jemand die Tür ein. Ich fluche und eile so schnell ich kann über den Balkon nach draußen.

In letzter Sekunde ziehe ich meine Beine auf das Dach und höre noch, wie unter mir ein Polizist die Tür eintritt.



Officer Gibson war verwirrt, als er den Raum betrat. Wer zur Hölle hatte ihm gerade eben diesen anonymen Tipp geben? Und was sollte denn überhaupt passiert sein? Er hatte einfach plötzlich auf der Streife eine Durchsage bekommen, dass in diesem Haus hier etwas vorgefallen sei. Keine Details, kein konkreter Auftrag.

Der Raum sah außerdem absolut nicht danach aus, als hätte hier ein Verbrechen stattgefunden!

Die Balkontür stand offen und die Vorhänge wehten dramatisch in den Raum hinein. Da stand ein Stuhl, über den schon die Kleidung gehängt war, die die Person am nächsten Tag anziehen wollte. Wer es auch immer sein mochte, der hier wohnte.

Und er oder sie selbst lag scheinbar unter der Bettdecke und ließ sich von dem Lärm, den Gibson gemacht hatte, nicht im Mindesten stören.

Auf der Bettdecke lag ein schwarzes Hemd, mit einem leicht martialisch anmutenden, roten Muster drauf.

Der Polizist ging näher hin. Merkwürdig. Es sah aus, als sei das Hemd zerrissen worden...

Irgendwie kam langsam ein ungutes Gefühl in ihm auf. Dann schlug er die Bettdecke zurück... und erstarrte.

Dort lag, zu seinem größten Entsetzen, die Leiche des Polizeichefs.

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt