Story XV - Straße

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Sie ging nachdenklich die Straße entlang. Der Wind fuhr ihr durch die Haare. Was von den Sachen, die man ihr erzählt hatte, stimmte denn jetzt und was war nur gelogen?

Von der Seite hörte sie dumpfes Gezeter aus einem der Fenster kommen. Wahrscheinlich eines der tausenden Ehepaare, die sich in dieser Minute stritten. Die sich anschrien.

Was würde sie doch alles dafür geben, jetzt auch die Verantwortlichen für diese Sache anschreien zu können?

Wenn man ihr doch nur ein einziges Mal vorher Bescheid gesagt hätte...

Oder sich jetzt auch nur die Mühe machen würde, ihr die Wahrheit zu sagen! Aber das würde keiner jemals tun und sie würde erneut komplett auf sich allein gestellt sein.

Seit ihr Freund nicht mehr da war... gefallen, wie man ihr gesagt hatte... wusste sie nicht mehr, was sie machen sollte.

Egal, an wen sie sich auch wandte... von allen Seiten wurde sie nur angelogen! Ihre Freunde sagten ihr, dass sie sich ihre Sorgen nur einbilden würde und sie einfach den zuständigen Behörden vertrauen sollte, da die ja »schon wissen würden, was sie tun«, aber sie wusste es besser! Ihr Freund war nicht in irgendeiner Schlacht gefallen!

Sie wettete, dass er noch nicht einmal in Afghanistan angekommen war.

Sie wusste, dass er nicht einfach irgendein Soldat gewesen war und dass er in seiner Position niemals als ein solcher eingesetzt worden sein konnte.

Das Gezeter war jetzt verstummt und sie hörte nur das leise Rascheln der Blätter von den Bäumen um sie herum. Der Wind spielte mit ihren Haaren und der Geruch von Holzfeuer zog ihr in die Nase.

Das alles interessierte sie nicht. Alles, was sie jetzt wollte, war, die Wahrheit zu erfahren, so hart sie auch sein würde.

Was zur Hölle war nur geschehen? Was?! Mit Mühe hielt sie die Tränen zurück, die langsam in ihr aufstiegen.

Ihr Freund war doch an der Entwicklung geheimer Drohnen beteiligt gewesen! Wieso erzählten sie ihr das Märchen mit der Schlacht?

Wurde er vielleicht sogar von einem seiner Vorgesetzten ermordet, weil er irgendwas herausgefunden hatte, was er nicht wissen sollte?

Dabei war es ihm doch gelungen, seine Forschungsergebnisse vor den Behörden zu retten! In seinem Testament hatte sie gelesen, dass er sie irgendeinem Freund vermacht hatte, der sie von einem Notar in Paris abholen sollte.

Er schien irgendwie Angst gehabt zu haben, dass seine Ergebnisse hier im eigenen Land nicht sicher sein würden!

Ein unvorstellbar lauter Knall riss sie jäh aus ihren Gedanken. Ihr Herz raste.

Waren sie jetzt etwa auch hinter ihr her?

Immerhin mussten die von der Regierung doch davon ausgehen, dass sie, als seine Freundin, etwas wissen könnte oder zumindest Nachforschungen anstellen würde!

Hastig wirbelte sie herum, aber es war nur ein Blumentopf gewesen, der von einer Fensterbank gefallen und auf dem Bürgersteig zerplatzt war.

Sie wischte sich einen Schweißtropfen aus dem Gesicht. Wurde sie jetzt etwa schon paranoid?

Sie schüttelte den Kopf und ging weiter. Vielleicht sollte sie einfach aufhören, sich so viele Gedanken über den Tod ihres Freundes zu machen!

Andererseits... war das dann nicht eine Art Verrat an ihm?

Sie seufzte und strich sich die Haare zurück, die ihr der Wind ins Gesicht geweht hatte.

Der Verkehr brummte um sie herum. Sie war jetzt an einer Hauptstraße angekommen. Alle diese Menschen gingen seelenruhig ihrem Alltag nach! Keiner schien sich dafür zu interessieren, dass womöglich ein wichtiger Drohnenentwickler ermordet worden war! Sie schüttelte wieder den Kopf.

Was für eine kalte Welt war das doch, in der jeder auf sich allein gestellt war und sich niemand um die Probleme des anderen scherte.

Deutlicher als alles um sich herum sah sie sein Gesicht vor ihrem inneren Auge.

Wie schön er doch immer gelächelt hatte! Und jetzt war er weg! Weg! Für immer! Niemals mehr würde er sie anlächeln, sie küssen oder mit ihr reden.

Sie hörte, wie Reifen über den Asphalt schlitterten und schließlich zum Stehen kamen. Eine dröhnend laute Hupe riss sie jäh aus ihren Gedanken.

Sie war in Gedanken so sehr bei ihren Sorgen gewesen, dass sie mitten auf die Straße gerannt war.

Das laute Fluchen des Fahrers ignorierend ging sie zielstrebig über die Straße.

Da war die Pizzeria, bei der sie so oft mit ihrem Freund gegessen hatte!

Sie drehte sich kurz zu dem Fahrer hinter ihr um, der noch immer in ihre Richtung meckerte... und ging dann in das Restaurant neben der Pizzeria.

Sie war noch nie dort drin gewesen.

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt