Story XX - Berg

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Der kalte Wind heulte durch die vielen Spalten und Furchen des Berges und Thorsten presste sich so fest es ging an die kalte Steilwand, die vor ihm aufragte.

Katharina war deutlich weiter oben als er und schlug gerade den nächsten Haken in den Felsen. Gleich würde sie das Seil daran befestigen.

Thorsten versuchte, nicht an die vielen, vielen Meter zu denken, die er hinabstürzen würde, wenn er den Halt verlor.

Während er sich langsam weiter nach oben tastete, wanderten seine Gedanken immer wieder zu Barbara und Michael.

Nein! Er kniff die Augen fest zusammen und versuchte, sich zu beherrschen. Die Tränen kamen trotzdem.

Heiß liefen sie seine Wagen hinunter und er versuchte, die Gedanken an das, was passiert war, hinunter zu schlucken. Es wollte ihm nicht gelingen.

Wie zur Hölle war das nur passiert?! Die Einheimischen nannten diesen Berg »Berg der Liebe«, aber alles, was Thorsten jetzt noch mit diesem Berg verband, waren Trauer und Schmerz!

Sie waren als zwei Paare aufgebrochen, die schon seit Jahren den Traum gehabt hatten, diesen Berg zu besteigen. Gemeinsam die Aussicht zu genießen.

Die ersten fünfhundert Meter verliefen ohne Schwierigkeiten. Aber dann...

Er, Katharina und Michael waren beim Steigen schon oben auf einem Vorsprung angekommen, wo sie eine kurze Pause einlegen wollten.

Barbara kletterte gerade noch das kleine Stück zu ihnen hoch, als das kleine Felsstück, auf das sie gerade trat, plötzlich unter ihren Füßen wegbrach.

Der Haken, an dem das Seil befestigt war, war durch den Ruck bedenklich weit aus dem Gestein herausgezogen worden. Dann rutschte er immer weiter raus.

Thorsten sah es noch genau vor seinen Augen. Es war mit Abstand der schlimmste Moment in seinem ganzen Leben gewesen, und er hatte schon einiges erlebt!

Er wollte aufspringen, nach dem Seil greifen und Barbara retten, aber sein Körper wollte ihm einfach nicht gehorchen!

Egal wie sehr er sich auch anstrengte, seine Beine wollten sich keinen Zentimeter bewegen!

Katharina schien es ähnlich zu gehen, denn auch sie stand nur mit entsetztem Gesicht da und ihre Beine und Arme bewegten sich nicht.

Während sie also noch in dieser Schreckstarre verharrten, schaltete Michael sofort, stürmte auf den Abhang zu und griff nach dem Seil, um Barbara hochzuziehen.

In genau diesem Moment, als er das Seil schon mit einer Hand gepackt hielt, flog der Haken endgültig aus dem kleinen Loch, in dem er gesteckt hatte. Michael rutsche aus. Fiel hin. Stürzte mit Barbara den Abhang hinunter.

Thorsten hörte ihre Schreie noch jetzt in seinen Ohren.

Er schluckte und zog sich ein Stück weiter nach oben. Er wollte nicht weitersteigen! Er wollte einfach mit seinen Gedanken alleine sein! Aber wenn er jetzt weiter darüber nachdachte, konnte er jederzeit einen falschen Schritt machen und selbst hinabstürzen!

Vielleicht wollte er das ja sogar...

Seine Gedanken drifteten wieder zu diesem schrecklichen Augenblick und er erinnerte sich, wie auf einmal wieder Leben in ihn und Katharina kam und sie auf den Anhang zu stürmten, um zu gucken, ob es nicht doch irgendetwas gab, was sie tun konnten, um die beiden noch zu retten.

Natürlich war es längst zu spät.

Minutenlang hatten sie beide einfach nur schweigend gekniet und geweint.

Dann schließlich hatten sie sich umarmt. Keiner von ihnen wusste, wer zuerst wen umarmt hatte, aber die Wärme tat ihnen gut.

Thorsten hatte versucht, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen und gesagt, dass sie wieder zurückgehen sollten.

Katharina hatte den Kopf abgewandt, um sich die roten Augen zu reiben und dann mit belegter Stimme gesagt: »Nein! Sie haben gewollt, dass wir alle zusammen die Spitze des Berges erreichen! Wenn wir jetzt aufgeben, ist es so, als würden wir sie verraten! Als... Als wären sie umsonst gestorben.«

Dann mussten sie beiden weinen. Es fühlte sich an, als hätten sie stundenlang dort so ausgeharrt.

Während er sich erinnerte, kamen Thorsten die Tränen wieder. Es fühlte sich fast so an, als würden die sie jede Sekunde auf seinem Gesicht gefrieren. Er wollte nicht mehr weiter!

Er wollte einfach nur noch loslassen. Dorthin, wo seine tote Freundin lag!

Dann hörte er plötzlich Katharinas Stimme über sich rufen. Sie kniete auf dem Gipfel und hielt das Seil fest umklammert.

Er sah, dass auch sie wieder Tränen in den Augen hatte.

»Thorsten, komm bitte hoch!«, rief sie mit gebrochener Stimme, »Ich will nicht auch noch dich verlieren!«

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt