Story II - Handy

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Dies war die erste Montagsstory, die ich tatsächlich direkt für den Blog geschrieben habe. Das Genre ist, wie  schon bei der ersten Geschichte, ebenfalls Horror, nur dieses Mal in der Gegenwart und in etwas weniger blumiger Sprache erzählt. Sie ist bei weitem nicht die beste Geschichte aus dieser Sammlung, aber ich bin immer noch der Meinung, dass sie ein ganz netter Einstieg für mich in dieses ungewöhnliche, kreative Jahr 2013 war. Ich sollte allerdings anmerken, dass ich hier bereits deutlich mehr Änderungen als bei der ersten Story vornehmen musste.


Schweiß. Sie keucht, als sie sich die einsame Landstraße hinaufquält, die sich gefühlt endlos um den Berg schlängelt. Warum macht sie das eigentlich? Die Antwort muss wohl irgendwo in all den Ratgebern liegen, die sie gelesen hat. Werden Sie schlanker! Treiben Sie Sport! Es ist so einfach!

Von wegen einfach! Wer auch immer die Leute sind, die diese Artikel schreiben, sie haben offensichtlich noch nie im Leben selber Sport gemacht!

Ein einsames Autos rast an ihr vorbei. Wenn sie doch nur da drin sitzen würde! Am besten direkt auf dem Weg nach Hause! Aber nein, stattdessen hatte ihr dämliches Gewissen ihr eingeredet, dass sie jetzt Joggen müsste! Es ist doch zum Kotzen!

Halbtot lässt sie sich auf die Leitplanke fallen und atmet röchelnd ein und aus. Der Puls bleibt oben. Viel zu weit oben! Komm runter! Es ist nicht mehr weit! Sie weiß, dass das eine Lüge ist. Zwischen ihr und ihrem Ziel liegen noch circa zwölf schweißtreibende Kilometer und die Sonne brennt gefühlt immer unbarmherziger auf sie herab.

Ihr Kreislauf macht ihr langsam zu schaffen. Dabei ist der doch eigentlich der einzige Grund, warum sie überhaupt hier rumrennt! Für eine Sekunde wird ihr schwarz vor Augen. Sie umklammert fest mit beiden Händen die Leitplanke und atmet noch tiefer durch. Ein! Sie schließt die Augen. Aus! Langsam lässt sie die Luft durch ihren Mund wieder nach draußen strömen. Der Puls wird langsamer. Jetzt öffnet sie wieder die Augen.

Der Anfall ist vorbei. Sie kann den Wald klar und deutlich vor sich erkennen. Nachdenklich starrt sie ins Dickicht.

Irgendwie wirkt dieser Wald, der schon die ganze Zeit an ihr vorbeigezogen — naja... wohl eher vorbeigeschlichen ist mit einem Mal unglaublich einladend. Obwohl es hier auf der Straße unerträglich heiß ist, scheint es unter den Bäumen angenehm kühl zu sein. Sie überlegt eine Weile. Soll sie ihre Route durch den Wald fortsetzen? Immerhin hat sie keine Ahnung, ob der schmale Pfad, den sie durch die Bäume hindurch ausmachen kann, auch wirklich parallel zur Hauptstraße verläuft. Instinktiv fährt ihre Hand in die Hosentasche, um auf ihrem Smartphone zu gucken, ob die Wanderkarten ihrer Navi-App auch diesen Wald enthalten. Verdammt! Es verhakt sich irgendwie! 

Sie fummelt mit ihren schweißnassen Fingern an dem Ding herum, aber als es sich endlich löst, rutscht es ihr durch die Hand und schlittert über den Boden einen kleinen Abhang hinunter in den Wald. Scheiße! Was jetzt? Na was wohl? Eine leise Stimme aus ihrem Inneren meldet sich. Das war doch wohl ein eindeutiges Zeichen, dass du in diesen Wald gehen sollst!

Sie legt den Kopf schief und massiert sich die Schläfen. Es stimmt zwar, dass sie jetzt wirklich in den Wald gehen muss, aber das bedeutet ja noch lange nicht, dass sie danach nicht wieder auf die Hauptstraße zurückkehren sollte! Sie zuckt mit den Achseln.

Vorsichtig klettert sie über die Leitplanke. Plötzlich fällt ihr auf, wie locker die Erde hier ist. Kaum, dass sie den Gedanken zu Ende gedacht hat, gibt es plötzlich einen Ruck und sie schlittert den ganzen Abhang hinunter. Sie schreit. Schmerzen. Jeder verdammte scheiß Meter des Hügels schrammt ihre Haut weiter auf. Um ein Haar verfehlt sie einen Ast, der sich fast in ihr Auge bohrt.

Schließlich kommt sie zum Stehen. Obwohl sie gut vier Meter weit geschlittert ist, ist ihr nichts passiert. Langsam steht sie auf. Ihr Kopf tut weh! Verdammte Scheiße! Wo ist jetzt das Smartphone?

Verzweifelt streifen ihre Blicke über den Waldboden. Wo bist du?

Schock! Wo kam grad plötzlich dieses Heulen her?! Da! Schon wieder! Und wieder! Immer wieder scheint irgendwo im Wald ein Wolf aufzuheulen! Ängstlich umherstolpernd versucht sie, das Heulen zu orten. Dann wird ihr klar, das es ganz nah ist. Direkt hinter ihr!

Sie wirbelt herum. Da ist nichts. Das Heulen geht weiter. Mit einem Schlag wird es ihr klar: Das ist ein Klingelton! Irgendjemand anders hat wohl auch sein Handy hier verloren! Suchend tasten ihre Augen den Boden ab. Da! Da liegt es! Es ist ein uraltes Nokia. Sie greift danach. Es hört abrupt auf, zu klingeln. 

Aus irgendeinem Grund hat sie plötzlich eine Panikattacke. Verzweifelt dreht sie ihren Kopf hin und her. Sucht rastlos den Wald nach irgendjemand ab, der sie beobachtet. Da ist niemand. Das Gefühl bleibt. Mit einem Mal wird ihr schmerzhaft bewusst, wie dunkel es schon geworden ist. Sie fühlt sich beobachtet. Irgendwas ist da draußen! Irgendwas... Böses!

Plötzlich hört sie ein lautes Fauchen. Es ist ganz nah. Zu Tode erschrocken schmeißt sie sich auf den Boden, als ihr schließlich klar wird, dass das wohl der SMS-Ton des Handys ist. Was für ein Mensch stellt sich solche Töne ein? Neugierig schaut sie sich die SMS an. Sie besteht aus nur drei Buchstaben: ICU.

Iku? Sie ist verwirrt. Ih zeh uh... Ai sih juu... I see you!

Ihr Herz fängt an, zu rasen. »Wer ist da?«, schreit sie in den Wald. Keine Antwort. Sie dreht sich um. Wieder und wieder. Versucht, etwas im immer dunkler werdenden Wald zu erkennen. Immer noch nichts zu sehen. Nur ein paar Nebelschwaden breiten sich langsam über dem Boden aus. Sie beachtet sie gar nicht.

»Wer ist da?!«, schreit sie erneut.

»Ich!« Zwei Augen tauchen urplötzlich neben ihr auf. Sie schreit. Die Silhouette einer Axt leuchtet auf.

So schnell sie kann eilt sie panisch zurück zu dem Abhang. In ihrer Angst scheint sie übermenschliche Kräfte zu bekommen. Schneller, als sie normal rennen könnte, klettert sie jetzt den rutschigen Abhang hoch. Sie achtet auf nichts um sich rum.

Alles, was sie wahrnimmt, ist ihr eigener Puls und das Schnaufen des Irren hinter ihr. Zack! Da war der Ast wieder, der ihr vorhin fast das Auge ausgestochen hätte! Er rutscht nach hinten weg. Zieht ihren Fuß mit. Sie fliegt hin. Schlittert langsam hinunter. Dem Irren entgegen.

Sofort rast die Axt auf ihren Kopf zu. Ihr Körper bewegt sich nun wie von selbst. Weicht aus. Sie realisiert nicht, was grade vor sich geht. Ihr Kopf kommt mit der Situation nicht klar, aber ihr Körper weiß, was er zu tun hat. Instinktiv tritt sie dem Irren ein Bein weg. Er rutscht hinab ins neblige Dunkel des Waldes.

Ohne abzuwarten, was mit ihm geschieht, nimmt sie den Ast als Wanderstock zu Hilfe. Zieht sich nach oben, so schnell es geht. Der Irre scheint sich wieder gefangen zu haben, denn plötzlich hört sie ihn wieder hinter sich. Sie beeilt sich.

Da, endlich! Die Leitplanke! Der Wahnsinnige ist nun direkt hinter ihr und brüllt furchteinflößend. Unmenschlich. Erneut wird sie von einem Schwall Adrenalin erfasst und zieht sich mit unvorstellbaren Kräften über die Leitplanke auf die Straße. Sie rollt ein Stück über den Asphalt und kommt schließlich zum Liegen.

Ihr Herz schlägt nun so laut, dass sie nichts anderes mehr hören kann. Der Irre hangelt sich jetzt auch an der Leitplanke hoch. Ihr Körper kann ihr jetzt nicht mehr helfen und ihr Kopf ist viel zu panisch. Sie liegt regungslos auf der Straße und kann ihrem Verfolger nur noch hilflos dabei zugucken, wie er auf die Straße springt und langsam auf sie zu humpelt. Sie ist so sehr in Panik, dass sie nichts außer ihm mehr wahrnehmen kann. So sehr, dass sie das Auto nicht kommen hört. Sie könnte nicht einmal sagen, wen von ihnen beiden es trifft, bevor es schließlich mit quietschenden Reifen und blutverschmierter Motorhaube zum Stehen kommt.

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt