Story XXXI - Weihrauch

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Nachdenklich stand sie vor dem Haus des Psychologen. Viele ihrer Freundinnen hatten ihn ihr empfohlen, als diese Sache mit den Depressionen angefangen hatte.

Er sei der beste Psychologe der Welt, hatten sie gesagt. Außerdem sei er trotz seiner hervorragenden Leistungen noch vergleichsweise günstig.

Fünf Mal war sie schon hier gewesen, aber ihr kamen immer mehr Zweifel, ob sie diesem Mann wirklich vertrauen konnte. Er hatte eine... wie sollte sie sagen... merkwürdige Ausstrahlung.

Er schien wirklich jemand zu sein, dem man vertrauen konnte, aber unter dieser Hülle war noch etwas... anderes. Etwas Düsteres.

Als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte sie noch nicht die geringsten Zweifel daran gehabt, dass er ein absolut aufrechter Typ war. Er hatte diese... Ausstrahlung damals noch nicht gehabt.

Auch beim zweiten Mal hatte sie noch nichts derartiges bemerkt, aber seit ihrer dritten Sitzung schien sie eine Art Veränderung an ihm zu bemerken.

Es war nicht, wie ein Teil seines Charakters, der jetzt erst ihr gegenüber zu Tage trat und den sie bislang noch nicht gekannt hatte, sondern mehr, als hätte sich diese Eigenschaft tatsächlich erst in den vergangenen Wochen entwickelt.

Sie schüttelte den Kopf. Wie sollte sie einschätzen können, was der echte Charakter dieses Psychologen war, wenn sie ihn doch praktisch nicht kannte?

Nachdenklich ging sie auf das Haus zu und versuchte dabei, den Gedanken loszuwerden, dass dieser Psychologe in letzter Zeit irgendetwas getan hatte, das ihn so sehr verändert hatte.

Es war schlicht absurd. Aber doch blieben die Gedanken an ihr haften, wie diese dunklen Bilder, die immer wieder in ihrem Kopf auftauchten und damals der Grund für ihre Depression gewesen waren.

Schritt für Schritt näherte sie sich nun dem Haus und ignorierte dabei das seltsame Gefühl, dass die Luft um sie herum immer kälter wurde.

Dann plötzlich schienen ihre Füße am Boden festzukleben. Was war nur mit ihr los? Wurde sie jetzt endgültig wahnsinnig?

Wenn ja, macht es ja nichts, schließlich stehst du ja direkt vor der Praxis eines Psychologen!, dachte sie und ein schiefes Grinsen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

Dann gehorchten ihre Beine ihr endlich wieder und sie ging weiter auf die Tür zur Praxis zu. Merkwürdige Gerüche stiegen ihr entgegen.

Ist das Weihrauch?

Sie schüttelte den Kopf und ging weiter. Schließlich hatte dieser Psychologe schon oft merkwürdige Methoden angewandt, um besondere Patienten zu behandeln, wie ihre Freundinnen ihr erzählt hatten.

Er war wirklich nicht der normale Bilderbuchpsychologe, wie man ihn sich vorstellte. Er bevorzugte es, seine eigenen Techniken zu benutzen und tat dies offenbar, nach allem was sie gehört und bis jetzt von ihrer eigenen Therapie mitgenommen hatte, auch mit großem Erfolg.

Es war wohl sogar bei ihm schon oft so gewesen, dass es seinen Patienten so schien, als seien all ihre Probleme schließlich in ihrer letzten Sitzung, die sie bei ihm hatten, mit einem Schlag verschwunden. Ganz plötzlich. So als hätten sie nie existiert.

Sie konnte es ihren Freundinnen nicht so recht glauben, denn welche psychischen Störungen konnten schon einfach so... verschwinden?

Sie wusste es nicht, aber es spielte auch jetzt keine Rolle, als sie schließlich auf den Klingelknopf neben der Tür drückte.

Es war eine schöne Tür, ein bisschen altmodisch vielleicht mit dem dunklen Holz mit den Schnitzereien drauf und dem Fenster aus buntem Glas in der Mitte, aber trotzdem schön.

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt