Wir haben es geschafft. Wir sind am Ende angekommen, bei der letzten Montagsstory. Naja... Der letzten »richtigen« Montagsstory. Eigentlich folgte hierauf noch eine andere mit dem Titel »Schuld«, aber die war so unsäglich und unrettbar schlecht geschrieben, dass ich euch hier nicht damit quälen wollte. »Kühlkammer« ist also die letzte Geschichte, die ich euch hier erzählen will. Wie die erste, ist auch sie in gewisser Hinsicht eine besondere Geschichte. Wenn ihr euch erinnert: die erste Story schrieb ich ursprünglich nicht für den Blog, sondern für einen Schriftstellerwettbewerb einige Zeit davor. Diese Geschichte hier wurde nun zwar für den Blog geschrieben, aber basierte auf einem Kapitel eines meiner ersten »richtigen« Bücher, das ich noch als Kind geschrieben hatte. Wie alt ich damals war, kann ich nicht genau sagen, aber ich bin mich ziemlich sicher, dass ich noch in der Grundschule war. Ich sehe mich noch vor mir, wie ich damals an der alten Schreibmaschine meiner Mutter saß und aufgeregt die Geschichte des großen Privatdetektivs »John Barry« schrieb. Es sollte die erste in einer Reihe werden. Daraus wurde jedoch nichts, ich verlor danach das Interesse. In gewisser Weise ist es also ironisch, dass es ein Ausschnitt aus eben dieser Geschichte war, auf den ich für meine letzte Montagsstory zurückkam.
Lamberton prallte gegen die Wand und stürzte zu Boden. Was zur Hölle war nur los mit ihm? In letzter Sekunde wich er dem Fuß aus, der nun auf ihn niederraste. Wenigstens dieses Mal ließen ihn seine Reflexe nicht im Stich. Die Frage war nur, wie lange er noch durchhalten würde.
Nicht besonders lange, sagte ihm sein Körper.
Er war langsam völlig am Ende. Seine Arbeit als Privatdetektiv hätte er schon vor langer Zeit aufgeben sollen. Damals, als er noch genug Geld gehabt hatte, um es zurückzulegen und sich ein schönes Leben zu machen. Stattdessen hatte er es damals in ein noch größeres Büro investiert und bald darauf war er mit jedem Fall immer älter und gebrechlicher geworden. Angreifbarer.
Jetzt war allerdings der ungünstigste Zeitpunkt, über den Ruhestand nachzudenken. Dieser Handlanger von Heefston machte ihm wirklich schwer zu schaffen. Er war nur einer von vielen Schlägern, die der berüchtigte Mafiaboss engagiert hatte, aber anders als zu seinen Hochzeiten hatte Lamberton ihm nichts mehr entgegenzusetzen.
Er war einfach zu alt für den Job geworden. Den nächsten Schlag sah er zu spät kommen. Er erwischte ihn mitten im Gesicht und warf ihn zu Boden. Machte ihn bewusstlos.
Als er wieder zu sich kam, lag er in einer großen Halle. Verwirrt sah er sich um. Was war das für ein Ort? Zitternd setzte er sich auf. Es war kalt. Verdammt kalt. So kalt, als säße er in einem riesigen Kühlhaus.
Moment... Was, wenn das hier ein Kühlhaus war? Nervös versuchte er, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, ob diese Vermutung stimmte. Der Raum war leer. Alles, was er um sich herum ausmachen konnte, waren die kahlen, grauen Wände. Es gab nur eine einzige Tür und die bestand augenscheinlich aus einem ziemlich dicken Stück Metall. Sonst war da nichts. Oder?
Nein, da hing ein schwarzer Kasten über der Tür! Es stand irgendetwas darauf, aber Lamberton konnte es nicht erkennen. Mühsam richtete er sich auf — das Pochen in seinem Schädel brachte ihn beinahe um — und wankte darauf zu. Es war eine Anzeige. Ein Thermometer. Und der Wert darauf sank immer weiter ab.
Offenbar war das hier wirklich eine Kühlkammer. Fuhr die Temperatur dann wirklich immer weiter runter? Immer weiter jenseits der Null? Lamberton wurde panisch. Wollte ihn dieser Heefston wirklich einfach so erfrieren? Ungewöhnlich für ihn wäre das nicht. Er hatte Leute schon auf ganz andere Arten beseitigt, nach allem, was Lamberton über ihn gelesen hatte. Aber es war etwas anderes, etwas über einen Mafiaboss zu lesen, der Leute ohne Gnade einfach so beseitigte, und selbst beseitigt zu werden.
Lamberton wollte es nicht akzeptieren. Er durfte es nicht zulassen. Mit immer größerer Nervosität schaute er sich nach irgendetwas um, womit er die Tür aufstemmen konnte. Natürlich gab es nichts. Der Raum war leer. Bis auf ihn. Dann versuchte er, einfach die Klinke herunterzudrücken, um die Tür aufzumachen. Natürlich erwartete er nicht, dass das wirklich etwas bringen würde.
Es brachte etwas. Die Tür gab nach und er flog nach draußen in den Gang. Verwirrt sah er sich um. Was zur Hölle war gerade passiert? Dieser Verbrecher würde ihn doch niemals einfach so freilassen! Bestimmt lauerte er hier irgendwo und würde ihn erschießen, sobald er sich näherte. Misstrauisch sah sich der Privatdetektiv um. Der Flur war leer. Leer und ohne Türen, abgesehen von der durch die er gerade gefallen war.
Er lag eine ganze Zeit lang einfach nur da, auf dem Boden in diesem eigenartigen Flur, und fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte. Was war nur schief gelaufen in seiner Karriere? Als er noch jung und sportlich war, hatte er hauptsächlich fremdgehenden Ehemännern hinterher spioniert und jetzt, in seinem Alter, meinte er plötzlich auf die Idee zu kommen, einen auf James Bond zu machen!
Nach einer Weile bemerkte er, wie weit seine Gedanken abgedriftet waren. Mit aller Kraft riss er sich wieder in die Gegenwart zurück. Atmete tief durch. Stand mühselig auf. Er musste so schnell es ging hier raus. Er musste eine Tür finden. Der Fall war ihm jetzt egal. Sein Leben war ihm wichtiger.
Langsam folgte er dem Gang. Zunächst ging es eine ganze Weile lang geradeaus, bis schließlich eine scharfe Linkskurve folgte. Vorsichtig schaute Lamberton um die Ecke. Auch hier war nichts. Weder Männer noch Türen. Sein Herz schlug immer schneller. Es fühlte sich an, als würde sein Kopf explodieren. Irgendetwas stimmte hier nicht! Ihm gefiel das alles überhaupt nicht.
Er schluckte, als er allen Mut zusammennahm und schließlich um die nächste Ecke schaute. Dann stieß er einen überraschten Laut aus. Da war endlich eine Tür! Eine Tür am Ende des Ganges!
Er dachte nach. Sollte er es wagen und versuchen, durch diese Tür zu gehen? Wahrscheinlich würden ihm gleich hundert Männer entgegenstürmen, noch ehe er die Klinke herunterdrücken konnte, aber er hatte keine andere Option. Er konnte nicht ewig hier im Gang bleiben. Früher oder später würde er verhungern oder verdursten oder — noch wahrscheinlicher — es würden Leute kommen, um zu überprüfen, ob er auch wirklich erfroren war.
Er kniff die Augen zu und atmete tief durch. Lächelte verbittert. Warum machte er sich Sorgen, dass er sterben könnte? Es würde ihm ja ohnehin egal sein, wenn er erstmal tot war!
Mit dem Mut der Verzweiflung humpelte er auf die Tür zu, vorbereitet auf alles — außer das, was sich nun tatsächlich dahinter verbarg. Da war eine kleine Kammer, ihre Wände genauso kahl und schmucklos wie die der übrigen Räume in diesem Gebäude. Das war jedoch nicht das, was ihn so sehr verwirrte. Auch nicht die Tatsache, dass dies der erste Raum mit zwei Türen war, den er bislang hier gesehen hatte.
Es war der Mann, der in der Mitte des Raumes einsam auf einem schlichten Stuhl saß. Eine flackernde Neonröhre an der Decke tauchte ihn in ein gespenstisches Licht. Lamberton erkannte ihn sofort. War er kleiner als er ihn sich vorgestellt hatte? Oder doch eher größer? Schwer zu sagen in diesem seltsamen Raum. Dämonisch sah der Mafiaboss jedenfalls aus. Das war das Einzige, was er mit Sicherheit sagen konnte. Ein unheimliches Lächeln umspielte seine Lippen und seine Augen sahen Lamberton mordgierig an. Eiskalt. Der Privatdetektiv hatte in seinem ganzen Leben noch nie jemanden gesehen, der so abgrundtief böse ausgesehen hatte, wie dieser Mann.
»Warum?«, fragte er ihn, seine ganze Verwirrung in dieses eine Wort gefasst.
Das Lächeln des Mannes wurde breiter: »Ich dachte mir, ich zeige dir schon mal, was dich erwartet, wenn du deine Ermittlungen gegen mich nicht einstellst!«
»Würde ich lebendig oder tot in die Kühlkammer gesperrt werden?«
»Hm«, meinte Heefston, »Das kommt ganz darauf an, wie ich an dem Tag gerade drauf bin.«
»Heißt das... ich kann jetzt einfach... gehen?«, fragte der Detektiv.
»Mh... Ich glaube ja«, meinte der Mafiaboss, »Unter einer Bedingung. Akzeptiere dies als den Tag, an dem ich dich hätte töten können, aber in meiner unendlichen Großzügigkeit davon abgesehen habe. Entscheide weise, was du mit diesem Wissen anstellst!«
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Montagsstorys - Eine Kurzgeschichtensammlung
Short StoryHorror. Romantik. Action. Jede Geschichte braucht eine Atmosphäre, die sie spannend und unterhaltsam macht. Jeder Autor muss lernen, sie zu schaffen. Dies sind die 32 Kurzgeschichten, mit denen ich das Handwerk des Schriftstellers erlernte. Komplett...