Story XXV - Insel

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Zitternd kauerte sie über dem Lagerfeuer. Hinter ihr rauschte die Brandung erbarmungslos gegen die Felsen und schickte ab und zu ein paar Tropfen Wasser in ihre Richtung.

Sie war nun schon einige Stunden bei Bewusstsein.

Wie lange genau konnte sie nicht mit Gewissheit sagen, denn als sie an das Ufer dieser Insel gespült wurde, war ihre Armbanduhr bereits kaputt.

Auch wusste sie nicht wirklich, was genau passiert war. Nur schwache Erinnerungen an ein versinkendes Kreuzfahrtschiff flackerten von Zeit zu Zeit auf, aber sie konnte sich an keine Details des Unglücks erinnern. Überhaupt war ihr Gedächtnis stark in Mitleidenschaft gezogen. Sie wusste nicht einmal mehr ihren Namen.

Aus irgendeinem Grund war ihr das jedoch egal. Die Vergangenheit interessierte sie nicht. Die Gegenwart brachte schon genug Probleme.

Bei ihrer Suche nach einem Unterschlupf hatte sie schon so ziemlich die ganze Insel abgesucht, aber alles, was sie gefunden hatte, waren ein paar alte Bretter. Halb verrottet, aber dennoch trocken genug, um damit ein Feuer machen zu können.

Fürs erste reichte ihr das. Die Wärme des Feuers, die Flammen, die ihre nasse Kleidung trockneten. Aber es dauerte nicht lange, da meldete sich ihr Magen und sie wusste, dass sie einen Spaziergang um die ganze Insel unternehmen musste, um etwas zu finden.

Es gab nur zwei Probleme: Erstens hatte sie mehr nicht viel Kraft. Die lange Zeit im Meer hatte ihren Tribut gefordert und immer wieder drohte sie, fieberhafte Anfälle zu bekommen. Zweitens sah diese Insel sehr unwirtlich aus.

So weit ihr Auge blicken konnte sah sie nur Felsen und wenn irgendwo mal ein Fleckchen Erde war, so wuchs dort nichts außer ein paar mickrigen Halmen Gras.

Ihr Körper sagte ihr, dass es nichts nutzen würde, sich auf den Weg zu machen, da sie sich dabei nur den Tod holen würde. Ihr Verstand aber gab ihr zu verstehen, dass sie ohnehin sterben würde, wenn sie nicht bald etwas zu essen fand.

Schließlich gab sie sich einen Ruck und stand auf. Der Wind wehte ihr die Haare ins Gesicht, aber sie bemerkte es nicht einmal. Jeder Schritt war eine reine Qual, als sie sich jetzt die steile Felsküste hochquälte. Dennoch gab sie nicht auf und schleppte sich immer weiter und weiter und weiter.

Jenseits der Küste entdeckte sie nach etwa einer halben Stunde zu ihrer großen Überraschung sogar tatsächlich hohes Gras. Gerne hätte sie gesehen, wie weit sich diese Wiesenfläche erstreckte, aber der dichte Nebel, der hier herrschte, machte es ihr unmöglich, weiter als nur ein paar Meter zu sehen.

Was sollte sie nun tun? Im Nebel würde sie sich nur hoffnungslos verlaufen. Andererseits brachte es ihr auch nichts, zu der felsigen Küste zurückzukehren, denn dort gab es mit Sicherheit nichts zu essen.

Sie entschied sich schließlich nach einigem Zögern, weiterzugehen. Ihr tiefes Keuchen hallte ihr mit jedem Atemzug wieder entgegen, als würde sie vor einer Mauer stehen.

Sonst gab es keine Geräusche. Alles wurde vom Nebel geschluckt. Die feinen Wassertropfen schienen sie immer wieder zurück zu drängen und alles, was sie machte, fühlte sich wie eine Kräfte zehrende, aber am Ende doch sinnlose Mühe an.

Eine ganze Weile lief sie so weiter, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wo sie war oder wie lange sie schon ging.

Die ganze Zeit über beschlich sie ein ungutes Gefühl und immer wieder glaubte sie, das gedämpfte Heulen eines Wolfes hören zu können.

Dann endlich sah sie — oder vielmehr glaubte sie zu sehen — wie ein schwaches Licht links von ihr aufleuchtetete.

Sie konnte es nicht genau zuordnen. Mal schien es ganz nah zu sein, mal viele hundert Meter entfernt. Sollte sie darauf zugehen? Konnte das eine gute Idee sein?

Da sie keinen anderen Punkt hatte, an dem sie sich orientieren konnte, entschloss sie sich schließlich dafür. Sie war kaum ein paar Schritte gegangen, als sie plötzlich ein eigenartiges Schnauben hinter sich hörte. Direkt hinter sich. Nah. Viel zu nah.

Sie wirbelte den Kopf herum und sah hinter sich im Nebel die Silhouette eines Wolfes. Er knurrte sie aggressiv an.

Jetzt flogen ihre Beine durch die Wiese. Die Gräser streiften ihre Beine, aber sie fühlte sie nicht. Der kalte Nebel biss ihr in die Ohren, aber sie spürte ihn nicht. Alles, was sie wahrnahm, war die eigenartige Lichtquelle vor ihr. Die und das Knurren des Wolfes hinter ihr im Gras, das immer näher zu kommen schien.

Schneller, immer schneller eilte sie vorwärts.

Mehr ein Stolpern, als ein Rennen.

Dann schließlich ging ihr die Puste aus und sie warf sich ins Gras.

Es ist aus mit mir!, dachte sie.

Erst jetzt bemerkte sie, dass sie den Wolf nicht mehr hören konnte.

Wann er ihre Fährte im Nebel verloren hatte, konnte sie nicht sagen, dazu war sie viel zu beschäftigt gewesen.

Erleichtert atmete sie aus. Dann schloss sie die Augen und atmete tief durch.

Als sie sie wieder öffnete, bemerkte sie, dass das Licht, dem sie hinterher gerannt war, sehr groß und sehr nah zu sein schien.

Mühsam rappelte sie sich auf und ging die letzten Schritte darauf zu.

Das Licht schien von einer Hütte zu kommen. Sie klopfte an die Tür.

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt