Story XXVII - Tankstelle

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Diese Geschichte zählt zu meinen absoluten Favoriten. Ich hatte mich schon gar nicht mehr so genau an sie erinnert, aber jetzt, als ich sie überarbeitet habe muss ich wirklich sagen, dass ich die dichte Atmosphäre und die schön düstere Geschichte wirklich zu schätzen weiß.



Der Regen tropfte vom grauen Mantel des Inspektors, als er schließlich an der Tankstelle ankam.

Die Kollegen waren zwar schon eifrig damit beschäftigt, die ganze Sauerei wegzumachen und Beweise zu sichern, aber man konnte noch immer ohne Probleme erkennen, was hier geschehen war.

Es roch nach Tod und Blut und Benzin.

Es roch ungesund. Krankmachend. Es roch nicht wie ein Ort, an dem man sich besonders lange aufhalten wollte.

Der Inspektor bemitleidete seine Männer, die so aussahen, als hätten sie schon mehr als eine Stunde hier verbracht.

»Soweit alles in Ordnung, Jungs?«, fragte er.

»Wir haben schon einige interessante Sachen gefunden, Chef!«, antwortete einer von ihnen.

Natürlich dachten sie, er meinte die Arbeit. Natürlich hatte er das auch gemeint, aber mehr noch meinte er eigentlich ihre gesundheitliche Verfassung, denn die konnte nicht allzu gut sein, in diesem unerträglichen Geruchsgemisch.

Allzu gut sahen seine Männer auch nicht wirklich aus, fand er. Die meisten von ihnen waren so bleich, als hätten sie in Blei gebadet.

Aber dennoch gaben sie nicht auf und bissen die Zähne zusammen und machten mit grimmigen Mienen weiter, was auch immer sie gerade taten.

Wenn man in so einer Umgebung mehrere Stunden lang arbeitete, dann musste einen das ja abhärten und einem früher oder später die Laune verderben, fand der Inspektor.

»Nun gut«, brummte er, »Was haben wir denn so? Hat einer von euch Jungs gerade Zeit, mir einen Lagebericht zu geben?«

Tatsächlich stand einer der Ermittler auf. Ein extrem jung aussehendes Kerlchen. Konnte nicht älter als dreiundzwanzig sein.

Der Inspektor fuhr sich mit der einen Hand über die Stoppeln seines Mehr-Als-Drei-Tage-Barts und legte dem Jüngeren die andere beinahe väterlich auf die Schulter.

Gott, was würde er doch froh sein, wenn er endlich in den Ruhestand gehen konnte!

»Also, Junge«, meinte er schließlich, »Was habt ihr bis jetzt?«

Der Angesprochene fummelte an seiner Westentasche rum und zog ein Notizbuch hervor.

»De—der Tankstellenbesitzer wurde offenbar von einem vermeintlichen Kunden mit einer... mit einer Maschinenpistole erschossen, wir vermuten einen Raubüberfall.« – »Gut.« – »...Ach nein, entschuldigen Sie, Sir, das mit dem Raubüberfall war nur die erste Vermutung! Es stellte sich heraus, das offenbar nichts gestohlen wurde – jedenfalls nichts vom Laden. Dafür sieht es so aus, als wäre die Leiche ausgeraubt worden und Topkkers meinte, es sieht ziemlich verdächtig... verdächtig nach einer Hinrichtung aus, Sir.« – »Hinrichtung?« – »Ja, Sir. Sehen Sie das Gesicht der Leiche? Oder... sie also... das Gesicht... es ist halt nicht mehr da. Offenbar hat der Täter nach dem Tod des Opfers noch mehrere Schüsse in dessen Gesicht abgegeben und Topkkers meinte, dass... dass das meistens bei Hinrichtungen der Fall wäre.«

»Gut«, brummte der Inspektor schließlich mit seiner tiefen, rauchigen Stimme, »Danke für den Überblick!«

Die Leiche sah wirklich ziemlich übel aus, befand er, als er schließlich einen Blick darauf warf.

Offenbar hatte hier jemand einen wirklich großen Hass verspürt, als er auf den Abzug gedrückt hatte.

Dann warf der Inspektor einen genaueren Blick auf die Taschen.

Sie waren ziemlich zerfetzt und es sah alles verdächtig danach aus, als hätte der Täter das Opfer um einen bestimmten Gegenstand beneidet, den es besaß und ihn dann deshalb auf besonders grausame Weise hingerichtet, um damit einerseits seinen Frust abzubauen und andererseits diesen Gegenstand an sich zu bringen.

Dann sah sich der Inspektor die Tomatensoße an der Wand hinter dem Opfer an.

Ach, Tomatensoße... Das war noch eine dieser Redensarten, die er sich angewöhnt hatte, als er noch jung war.

Als er noch dachte, man könnte es zu etwas bringen, in diesem Beruf. Aber diese Zeiten waren lange vorbei...

Ihren traurigen Höhepunkt hatten die Tomatensoßensprüche aber damals gehabt, als er noch mit Freiert zusammengearbeitet hatte.

In einem Fall war ein Opfer gerade dabei gewesen, Tomatensuppe mit Ravioli zu essen, als der arme Kerl von hinten von seiner Frau abgestochen wurde.

Das Blut hatte sich überall mit der Soße vermischt, die hochgeschwappt war, als er mit dem Gesicht in die Schüssel geklatscht war und es war wirklich eine ziemliche Sauerei gewesen.

Eine Sauerei, die geradezu danach schrie, dass er und Freiert die ganze Zeit über immer so Sachen sagten, wie »Die Soße ist gut zwei Meter weit gespritzt.« — »Welche?«

Ach das waren noch Zeiten gewesen. Ehrliche Zeiten. Damals war der ganze Rechtsapparat noch nicht so verdorben und bestechlich gewesen. Wobei... Wenn er sich recht erinnerte, dann war es dem Anwalt doch tatsächlich nachher gelungen, die Frau freizukriegen, weil er den Richter überzeugen konnte, dass sie aus Notwehr gehandelt hatte.

Aus Notwehr einen Mann, der gerade Suppe aß, von hinten mit einem Messer abgestoßen!

Der Inspektor schnaubte verächtlich bei der Vorstellung. Das ganze System war doch im Kern verdorben!

Dann klingelte plötzlich sein Handy. Er stöhnte, als er die Nummer sah.

»Entschuldigt mich kurz!«, rief er in die Runde und achtete nicht einmal darauf, ob irgendwer sich die Mühe machte, zu ihm aufzuschauen und zu nicken.

Als er draußen stand, presste er sich so dicht es ging unter das Vordach, denn der Regen kam sogar schon von der Seite.

Dann nahm er ab: »Was willst du?«

»Weißt du, Papa«, antwortete sein Sohn, »Ich hab da... Du weißt schon, wegen dieser Sache...«

Der Inspektor stöhnte schweren Herzens. Wie egal ihm nach all den Jahren, die ihn so sehr abgehärtet und verbittert hatten, einfach alles nur war.

»Ja«, brummte er dann schließlich, »Was ist damit?« – »Naja, wenn ich mich jetzt richtig erinnere, gab es da eine Überwachungskamera... Und...« — »Kümmer' mich!«

Genervt legte der Inspektor auf. Wie ungerecht und verlogen diese ganze scheiß Welt doch war!

Nicht, dass es ihn auch nur im Mindesten interessiert hätte, denn er hätte ja ohnehin nichts dagegen tun können.

Die Schelle ertönte, als er die Tür wieder aufmachte und der wahnsinnige Geruch kam ihm wieder in die Nase.

»Sagt mal, Leute«, brummte er schließlich, als er seinen Würgereiz erfolgreich in den Griff bekommen hatte, »Habt ihr die Überwachungskamera schon untersucht?«

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt