Als ich diese Geschichte schrieb, hatte ich nicht viel Zeit. Sie ist daher auch kürzer als der Rest. Wenn man genau liest, kann man förmlich spüren, wie die Geschichte beim Schreiben entstand, ohne, dass ich mir vorher groß Gedanken darum gemacht hätte. Sie ist eine meiner seltsamsten Geschichten und, meiner Meinung nach, auf ihre Art eine der interessantesten.
Mein Kopf tat weh. Alles in mir rebellierte, als ich die Augen öffnete. Unerträglich langsam wurde meine Umgebung schärfer. Wo war ich? Es sah ganz nach einem Hotelzimmer aus. Kein besonders persönliches. Wahrscheinlich von irgendeiner großen Kette. Ibis oder so. Als ich mich schließlich daran gewöhnt hatte, wach zu sein, fiel mir auf, dass irgendetwas schweres auf meinem Arm lag.Ich riss meinen Kopf zur Seite. Viel zu schnell. Das Blut pulsierte in meinem Kopf und alles wurde für eine Weile wieder unscharf. Was ich sah, als sich mein Zustand wieder verbesserte, war allerdings noch viel schwindelerregender: Neben mir im Bett lag eine halbnackte Frau, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Sie hatte hellbraune Haare und ein fast mädchenhaftes, niedliches Gesicht. Vorsichtig zog ich meinen Arm unter ihr weg. Offenbar nicht vorsichtig genug: Sie wachte auf. Dunkelgrüne Augen blinzelten mich verschlafen an. Sie lächelte. »Du bist wach?«, fragte sich mich mit leicht verschlafener, aber zuckersüßer Stimme. Ich zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen: »Sieht so aus.«
Sie lachte. »Wer bist du?«, fragte ich sie. Nun war sie es, die ihre Augenbrauen zusammenzog. »Echt?«, fragte sie mich verwirrt, »...Weißt du echt nicht, wer ich bin?« — »Nein.«
Sie war auf einmal hellwach und setzte sich auf. »Du kannst dich nicht an meinen Namen erinnern?« — »Nein.« — »Vanessa! Klingelt's bei dir?« — »Tut mir Leid, immer noch nicht!«
Sie stöhnte, wollte scheinbar für einen Moment etwas sagen, warf sich dann jedoch nur erschöpft zurück aufs Bett.
»Sven, was hast du gestern Abend bitte alles getrunken, wovon ich nichts weiß?«, murmelte sie. »Sven?«, erwiderte ich, »Ist das mein Name?«
In diesem Augenblick wurde mir erst bewusst, dass ich tatsächlich keine Ahnung hatte, wer ich war.
Schlagartig richtete sie sich auf und starrte mich erschrocken an: »Das ist jetzt nicht wahr! Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist!« — »Doch... Es ist wahr«, antwortete ich mit langsam versagender Stimme. Ich wollte es selbst nicht glauben, was ich da gerade gestanden hatte.
Ich schloss meine Augen und fing an, zu weinen. »Keller? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte eine tiefe Männerstimme neben mir.
Ich riss die Augen wieder auf. Ein tiefer Schock durchfuhr mich. Ich war auf einmal in einem völlig anderen Raum! Ein kalter, leerer Raum.
Ich lag in einem Bett aus Metallstangen, das gleichzeitig das einzige Möbelstück in dem ganzen Raum zu sein schien. Als ich mich auf die Seite drehte, sah ich die Person, die gerade zu mir gesprochen hatte: Ein fremder Mann, der mir doch gleichzeitig irgendwie sehr vertraut vorkam.
»Ist alles in Ordnung, mit Ihnen, Keller?«, wiederholte er. Ich schaute ihn verwirrt an: »Wo bin ich?«
»Oh nein, nicht das schon wieder!«, jammerte er und setzte sich auf einen Holzstuhl neben meinem Bett. Wo war der auf einmal hergekommen?
»Sie haben also wieder mal alle Erinnerung daran verdrängt, dass Sie hier in dieses Sanatorium eingeliefert wurden?«
Erschrocken sprang ich auf.
»Dacht ich's mir doch!«, brummte er. Ich machte Anstalten, aus dem Bett zu springen und wegzulaufen. Er stand von seinem Stuhl auf und packte mich. »Beruhigen Sie sich, Keller!« Sein Blick war eisern. »Sie sind viel zu gefährlich, um frei herumzulaufen!«, fuhr er fort, »Immerhin haben Sie Ihre Freundin Vanessa ohne jedes Motiv mit einem Aschenbecher in einem Hotel erschlagen!«
Plötzlich war ich wieder in diesem Hotelzimmer und die Frau, die sich Vanessa genannt hatte, lag unter mir auf dem Boden. Ich kniete auf ihrem Bauch und drosch immer und immer wieder mit einem Aschenbecher auf ihr Gesicht ein.
In dem Augenblick, als ihr Schädel schließlich aufplatzte, lag ich wieder im Bett. Eine wunderschöne Latina schüttelte mich: »Ben! Ist alles in Ordnung?« — »Was?... Wo?« — »Ich bins! Zina! Deine Freundin!«
Der Fremde in dem Arztkittel stand jetzt wieder vor mir. »Erinnern Sie sich jetzt wieder, Keller? Sie haben Vanessa und Zina getötet! Ihre Freundinnen!«
Ich riss mich los und schrie ihn an: »Ich kenne keine Frauen mit diesem Namen!«
Er sah mich forschend an: »Sicher?«
Ich wollte ihm seinen Stuhl in den Magen rammen, aber der war plötzlich nicht mehr da. Ich schrie... und wachte plötzlich schweißgebadet in einem weiteren Bett auf.
»Alles in Ordnung, Schatz?«, fragte mich eine Stimme, die von rechts zu kommen schien. Ich fühlte, wie die Frau neben mir ihre Arme um mich legte. »Du hast im Schlaf geschrien!«
Ich drehte meinen Kopf und sah Nadine tief in die Augen: »Ja«, sagte ich nach einer Weile, als ich meine Gedanken halbwegs geordnet hatte, »Es war alles nur ein Traum!«
Später am Tag fand ich einen blutigen Aschenbecher unter meinem Bett liegen.
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Montagsstorys - Eine Kurzgeschichtensammlung
Historia CortaHorror. Romantik. Action. Jede Geschichte braucht eine Atmosphäre, die sie spannend und unterhaltsam macht. Jeder Autor muss lernen, sie zu schaffen. Dies sind die 32 Kurzgeschichten, mit denen ich das Handwerk des Schriftstellers erlernte. Komplett...