Story IV - Lächeln

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Love is in the Air! Oder so... Jedenfalls wollte ich für meine vierte Geschichte mal ein anderes Genre ausprobieren und was könnte da besser sein, als eine Liebesgeschichte mit einem Auftragskiller? Sie war lange Zeit meine Lieblingsgeschichte (vielleicht auch deshalb, weil sie eine von denen mit weniger gravierenden Fehlern war), aber ich finde sie mittlerweile ein bisschen... Kurz. Vielleicht soll das eine Art Hinweis an mich sein, aus dieser Kurzgeschichte mal einen Roman zu machen? Wer weiß! Immerhin wird dieses Motiv ja noch später in einer deutlich längeren Montagsstory (Story XVIII) wieder auftauchen. Ansonsten denke ich, dass diese Idee, so originell sie mir auch damals schien, schon hunderte Male besser umgesetzt wurde! Aber genug geredet!



Ich betrat den Saal und schaute mich um.

»Siehst du sie?«, fragte mich eine Stimme in meinem Ohr. Sie klang ziemlich angespannt. Angespannter als sonst jedenfalls. »Nein!«, brummte ich.

»Dann guck dich um, verdammte Scheiße!«

Langsam setzte ich mich wieder in Bewegung. »Ich geb' mein Bestes!«

Während ich mich durch den Saal drängte, vorbei an zahlreichen Gästen, die alle nur ihre verdammte Party im Kopf hatten, zog ich mein Smartphone aus der Tasche und warf noch mal einen Blick auf die Frau, nach der ich heute Abend schauen sollte. Sie hatte mittellanges, schwarzes Haar und einen ziemlich weggetretenen Blick. Nicht so einen, wie man ihn schon mal hat, wenn man was nimmt oder trinkt, sondern mehr so einen dauerhaften.

Ein Bekannter von mir meinte mal, dass er so was sexy findet, aber ich bin immer noch der Meinung, dass es einfach nur bescheuert aussieht.

Wo bist du... (ich schaute erneut auf mein Smartphone)... Lena Fried?

Da! Da war sie. Sie stand inmitten einer Gruppe von Freundinnen und unterhielt sich. Sie sah in Echt sogar noch viel verpeilter aus, als auf dem Bild! Dieser Auftrag sollte nicht allzu schwer werden.

Ich checkte schnell alle Möglichkeiten durch. K.O.-Tropfen? Nope, sie hielt ihr Glas die ganze Zeit in der Hand und stellte es nicht ab. Die Rauchmeldernummer? Nein, sie wäre wahrscheinlich mit ihren Freundinnen zusammen rausgerannt.

Überhaupt, diese Freundinnen schränkten meine Optionen ziemlich stark ein. Eigentlich hatte ich nur eine einzige wirkliche Möglichkeit: anbaggern.

Ich hasste diese Methode. Man zog immer viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Außerdem lernte man die Person dabei besser kennen und das erschwerte einem ziemlich, sich dazu durchzuringen, am Ende auch wirklich den Auftrag auszuführen. Am Ende auch wirklich die Person zu töten.

Ich aber hatte in diesem Fall, wie es aussah, leider wirklich keine andere Wahl.

In einem günstigen Augenblick, als gleich drei von ihren fünf Freundinnen zur Toilette gegangen waren — wobei sie offenbar auf dem Weg von einer Gruppe Männer angeflirtet wurden, die sie wahrscheinlich noch für einige Zeit beschäftigen würden, wie mir mein Kollege über den Knopf im Ohr versicherte — ging ich zu ihnen hin.

»Na Mädels?«

Mir fiel grad kein besserer Spruch ein. Zu meiner Überraschung gingen sie sogar darauf ein. Ich machte das wirklich nicht oft. Alle drei drehten sich zu mir um.

»Na, Süßer? Ganz allein hier?«, fragte mich eine leicht schlampig angezogene von ihnen, die rechts neben Lena stand. Der Knopf in meinem Ohr stellte sie mir als Kathie Lowe vor. Sie zwinkerte mir zu. Plötzlich hatte ich keine Ahnung mehr, was ich sagen sollte. Ehrlich gesagt... hatte ich diese Flirtnummer bis jetzt nur in der Theorie durchgesprochen, aber noch nie wirklich gemacht!

Ich musste wohl ziemlich dämlich geguckt haben, jedenfalls lachten mich die drei auf einmal aus. Ich biss mir auf die Zunge. Reiß dich zusammen! Schließlich war ich nicht irgendein Typ, der irgendein One-Night-Stand suchte! Ich war Killer! Und ich hatte meine Mittel! Alles, was ich tun musste, war, abzurufen, was ich in meiner Ausbildung gelernt hatte!

»Du bist Kathie oder?«, fragte ich sie. Abrupt hörte sie auf zu lachen und sah mich bekifft an. Ich grinste.

»Woher...?« Gute Frage. Woher kannte ich sie? Was sollte ich ihr sagen? Mark, mein Kollege im Knopf, gab mir hastig einige Informationen über Kathies Freunde, Verwandte etc.. Ich überlegte kurz und sagte dann: »Ich bin ein Freund von Luca Bader, einem Freund von deinem Bruder. Der meinte, dass du heute auf dieser Party sein würdest.«

Offenbar war meine Antwort überzeugend genug, jedenfalls schien sie die Logiklücken nicht zu bemerken und meinte: »Ein Freund von Luca?« — »Jep.« — »Wie heißt du denn?«

Ich überlegte kurz. Meine Identität für diesen Abend müsste Alex Frei sein: »Ich heiße Alex.« — »Na gut, Alex«, begann sie mit Flirtstimme, »Du hast doch bestimmt Durst.« Sie zwinkerte mir zu.

Bevor ich irgendetwas sagen konnte, drehte sie sich schon zu einem Kellner, der gerade zufällig vorbei kam, und bestellte einen Vodka mit Eis für mich. »Ist doch richtig oder?«, fragte sie mit einem entwaffnenden Lächeln und zwinkerte erneut.

Wer flirtet hier eigentlich mit wem?, dachte ich im Stillen. Eigentlich war es ja bis jetzt ganz gut gelaufen. Aber wie zur Hölle sollte ich mich nun an meine Zielperson ranmachen, wenn ich gleichzeitig von ihrer besten Freundin abgefüllt wurde!?

Kathie schien das Ganze aber schon oft gemacht zu haben, denn sie ließ mir praktisch keine Sekunde, darüber nachzudenken.

Die ganze Zeit über redete sie auf mich ein, stellte mir Fragen, flirtete mit mir. Schließlich kam der Vodka. Ich trank einen Schluck. 

»Kannst du auch das ganze Glas exen?« Sie sah mich herausfordernd an.

Ich wusste genau, dass ich das nicht tun sollte, wenn ich heute Abend noch irgendwie die Absicht hatte, meine Mission zu erfüllen.

Aber die Art wie sie das gesagt hatte, wie sie mich ansah und wie ihre zwei Freundinnen mich ansahen... Ich konnte einfach nicht widerstehen!

Außerdem wäre ich wahrscheinlich schon jetzt emotional nicht mehr in der Lage gewesen, Lena umzubringen. Das war genau der Grund, warum ich es hasste, irgendeine Methode zu nutzen, bei der man eine persönliche Beziehung zur Zielperson aufbauen musste!

Ich kippte den Vodka in mich rein. Die Mädels um mich herum jubelten begeistert. Für eine Sekunde hörte ich nur noch mein Blut in den Ohren rauschen und alles um mich herum verschwamm zu einem bunten Farbenbrei, aber dann ging der Anfall vorbei und ich war — abgesehen davon, dass ich ein wenig angetrunken war — wieder halbwegs klar. War das wirklich ein ganzes 0,2l-Glas purer Vodka gewesen?

»Alles ok?«, fragte mich die andere Freundin, deren Namen ich noch nicht wusste.

»Ja«, murmelte ich und sagte dann lauter: »Noch einen! Kathie, den teilen wir uns!«

Sie lachte: »Ok.«

»Nick!«, sagte der Knopf in meinem Ohr, »Du bist gescheitert, verdammt! Du bist ab jetzt freigestellt! Wir geben dir morgen früh noch eine letzte Chance, die ZP zu eliminieren! Sonst müssen wir den Auftrag an einen anderen abgeben!«

Ein Knacken — dann brach die Verbindung ab.

Der zweite Vodka kam. Kathie und ich wechselten uns ab mit Trinken. Dann kam der dritte. Und der vierte.

Das Letzte von dieser Nacht, an das ich mich erinnern kann, ist ihr Lächeln.

Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, wie ich am nächsten Morgen neben ihr im Bett aufwachte. Mein Kopf tat unvorstellbar weh und mir war etwas schwindelig und übel, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es das wert gewesen war.

Plötzlich hörte ich einen leisen Piepton. Das war das Signal mit dem man eigentlich den Knopf wiederfinden sollte, wenn er einem aus dem Ohr gefallen war.

In diesem Falle sollte ich wohl daran erinnert werden, dass ich noch eine Mission zu beenden hatte. Plötzlich schlug Kathie ihre wunderschönen, dunkelbraunen Augen auf. »Was ist das für ein Piepsen?«, fragte sie im Halbschlaf.

Ich zerquetschte den Knopf zwischen meinen Fingern.

»Nichts«, sagte ich und küsste sie.

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt