Story XXIII - Reden

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Draußen raste die Landschaft am Bus vorbei, hier drinnen zog sich sein Magen zusammen.

Konnte der Bus nicht langsamer fahren? Konnte er nicht Ewigkeiten brauchen? Unwillkürlich musste er lachen: Er saß in einem Verkehrsmittel, ohne, dass er sein Ziel erreichen wollte. Was für eine absurde Vorstellung!

Er schluckte. Dann holte er noch mal sein Handy heraus, um ihre Nachricht zu lesen. Zum gefühlt tausendsten Mal. Da standen sie wieder. Die Worte, die so harmlos klangen. So unschuldig. Und doch hatte er schon drei Mal zuvor erfahren wie viel Schmerz dahinter stecken konnte: Schatz, wir müssen reden!

Noch nie hatte das für ihn etwas gutes bedeutet. Noch nie! Immer wenn diese Worte kamen, hatte das bedeutet, dass seine Freundin mit ihm Schluss machen wollte. Dabei lief doch dieses Mal eigentlich alles so gut!

Svenja war das schönste Mädchen das er jemals gesehen hatte. Sie hatte wunderschöne, glänzende, blonde Haare, in die sie sich manchmal kleine Zöpfchen flocht.

Ihre Augen waren leuchtend grün. Wirklich grün. Nicht nur dieses trübe, matschige Grün, das viele Leute hatten, sondern echtes, leuchtendes Tannengrün. Er hatte sie an der Uni kennengelernt.

Als seine damalige Freundin dahinter kam, dass er sich mit Svenja traf, hatte sie auch mit ihm reden wollen.

Das war ein echter Grund gewesen! Aber jetzt... Jetzt gab es keinen!

Svenja und er waren jetzt schon seit vier Jahren zusammen. Eine ziemlich lange Zeit und ihm fiel absolut kein Grund ein, wieso sie mit ihm Schluss machen sollte.

Alles lief doch gut!

Er versuchte aufzuhören, an Svenja zu denken und sah sich im Bus um. Ein alter Mann, der mit seinem Hund redete, zwei Fünftklässler, die offenbar gerade von der Schule kamen und zwei recht attraktive Frauen in seinem Alter.

Attraktiv, aber nicht halb so schön, wie Svenja. Aber wahrscheinlich würde er sich bald trotzdem nach einer Neuen umsehen müssen!

Warum war das Leben immer so grausam und ungerecht? Er hatte doch nichts falsch gemacht! Oder?

»Ehrenberger Straße!«, riss ihn die Durchsage abrupt aus seinen Gedanken. Mit einem unguten Gefühl stieg er aus. Dann hörte er, wie der Bus hinter ihm wegfuhr. Plötzlich fühlte er sich furchtbar verlassen.

Dann atmete er tief durch und trat auf den schmalen Wanderweg, der ab hier scheinbar endlos in die Natur führte.

Endlos, bis zu dem See, wo sie ihr erstes Date gehabt hatten. Svenja hatte auf diesen Treffpunkt bestanden. Genau die gleiche Bank wie damals vor vier Jahren.

Wollte sie dort zu Ende bringen, was sie damals angefangen hatten?

Das unangenehme Stechen in seinem Magen wanderte langsam in sein Herz und wurde immer stärker.

Mit jedem Schritt, den er machte, spürte er eine weitere lieb gewordene Erinnerung aus der langen, langen Zeit schmerzhaft in sein Bewusstsein zurückkommen.

Sie alle erschienen ihm wie durch einen undurchdringlichen Schleier. Jede Trennung war hart gewesen, aber diese würde ihn umbringen, dass wusste er jetzt schon.

Nie zuvor in seinem ganzen Leben hatte er sich so unbehaglich gefühlt wie jetzt. Nie zuvor hatte er sich so sehr gewünscht, an einem völlig anderen Ort zu sein oder plötzlich schweißgebadet in seinem Bett aufzuwachen.

Nach einem unendlich langen, qualvollen Weg, sah er sie schließlich dort auf der Bank sitzen.

Auch jetzt sah sie perfekt aus. Ihre Haare bewegten sich sanft im Wind und die nachmittägliche Sonne leuchtete ihr Gesicht in sanften Farben aus, dass es noch schöner aussah, als normal.

Sie schaute sich nervös um. Als sie ihn schließlich sah, biss sie sich auf die Unterlippe. Sie kam ein Stück des Weges auf ihn zu. Er streckte einen Arm aus, um sie zu umarmen, aber sie packte seine Hand mit beiden Händen und sah ihm tief in die Augen.

Dieses Stechen im Herzen.

»Ich...«, fing sie an, »Das... Das hier ist keine einfache Sache für mich. Bringen wir es also besser schnell hinter uns!«

Sie küsste ihn und er musste seine Augen zukneifen, damit er nicht anfing, zu heulen. Dann lösten sich ihre Lippen und sie ging einen Schritt zurück.

»Jetzt kommt's!«, dachte er und konnte die Tränen wirklich nur noch mit größter Mühe zurückhalten.

»Willst du mich heiraten?«, fragte sie mit einem schüchternen Lächeln.

Ungläubig schaute er auf die Hand, die Svenja vorhin gepackt hatte. Da steckte ein Ring.

Montagsstorys - Eine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt