03. Impressions

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Mit einem seichten Nicken und schwitzenden Händen betrete ich nach seiner Einladung das Büro. Auch das sieht aus, wie ich es mir vorstellte. Sein Tisch steht inmitten des Raumes, mit dem Rücken zum Fenster durch das man die ganze Stadt betrachten und bewundern kann.

"Setz dich doch erst einmal." weist er mir an, nachdem er auf seinem sesselartigen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches platz genommen hat. Ich folge seiner Anweisung, nehme meinen Rucksack ab und setze mich auf den einzig freien Stuhl. Mister Jones begrüßt mich mit einem Lächeln, was seine tiefen Lachfalten zum Vorschein bringt und seine blauen Augen, die sich mit seiner Krawatte beißen, strahlen lässt. Kurz krämpelt er die Ärmel seines Hemdes nach oben und ich kann seine leicht gebräunten, muskulösen Arme betrachten und den goldenen Ring an seinem Ringfinger. Von einer Ehe habe ich in der Zeitung nichts gelesen.

"Du kennst mich wahrscheinlich schon, aber ich möchte mich trotzdem kurz vorstellen." beginnt er und legt seinen linken Knöchel auf das rechte Knie.

"Ich bin Alexander Jones, Juniorleiter von Jones Industries. Ich leite die Abteilung für Marketing und die gesamte Redaktion, der du teil haben wirst." Und während er so förmlich spricht, erwische ich mich dabei wie ich mir vorstelle, wie er sonst so ist. Privat, mit seinen Freunden. Falls ein Mann wie er Freunde hat. Vielleicht trinkt er ja gar nicht sondern sitzt viel lieber allein auf der Couch, isst chinesisch und schaut sich seine Lieblingsserie an. Vielleicht kennt er ja sogar Rick and Morty.

"Ich werde dich im laufe des Tages mit deinen Mitarbeitern bekannt machen und dich ein wenig in deinen zukünftigen Arbeitsalltag einarbeiten, aber das alles kommt erst später dran. Zuerst möchte ich noch ein bisschen was von dir erfahren." Etwas von mir erfahren? Was will denn grade er über mich wissen?

"Alles wichtige habe ich in meine Bewerbungsunterlagen geschrieben." meine ich und ernte dafür ein kurzes Aufkichern von Jones. War das witzig?

"Ja, darin steht was ich wissen muss. Was deine schulische Laufbahn betrifft, deine Berufserfahrung und all der Kram. Aber diese paar Sätze verraten nicht wirklich viel über dich." Gut. Ich bin verwirrt.

"Eh, ok. Was wollen sie denn über mich wissen?"

"Zum Beispiel; Wie stehst du zu deiner Familie? Seid ihr viele? Habt ihr ein gutes Verhältnis?" Ein zögern legt sich über meine trockenen Lippen. Auch, wenn er ganz nett zu sein scheint, schüchtert mich diese Art von Gespräch mit ihm doch sehr ein. Schließlich ist er mein Vorgesetzter und kann am Ende alles gegen mich verwenden. Und trotzdem fange ich einfach an zu erzählen. Berichte von meiner Mutter, die fürsorglicher nicht sein könnte und meinem Vater, den ich nie kennen gelernt habe. Natürlich auch von meiner großen Schwester, die wie meine beste Freundin mit mir spricht und für mich sorgt. Und beinahe hätte ich auch Ethan erwähnt. Doch meinen festen Freund behalte ich lieber erst einmal für mich.

"Das klingt sehr schön, Charlie. Ich darf dich doch Charlie nennen, oder?" fragt er. Ich nicke selbstverständlich und bekomme dafür ein weiteres Lächeln, welche ich wohl bald sammeln werde wie Belohnungskärtchen mit Smileys darauf, wenn ich etwas gut gemacht habe.

"Und wieso verschlägt es dich gerade hier her? Nicht jeder Junge in deinem Alter will freiwillig seine Ferien in einem Büro verbringen."

"Na ja ... Es ist mein Traum, später mal in der Redaktion zu sitzen und schreiben zu können. Von selbst wäre ich da auch nie drauf gekommen, aber Ethan konnte mich schließlich dazu über-" und mitten im Satz bemerke ich meinen Fehler. Jetzt habe ich ihn doch zur Sprache gebracht. Etwas überrascht schaut mich der braunhaarige Anzugträger an.

"Ethan? Diesen Namen hast du gar nicht erwähnt. Ist er auch teil deiner Familie?" Nervös kratze ich mich am Nacken, bevor ich mit leiser Stimme antworte.

"So in etwa. Ethan ist .. mein Freund." Ich hab's gesagt und werde nun wahrscheinlich direkt in die Schublade des schwulen Praktikanten gesteckt. Jippie.

"Ach so ist das. Nun gut. Ich danke dir, für dieses kleine Gespräch Charlie. Wenn du magst, kannst du eine kleine Frühstückspause machen. In zwanzig Minuten hole ich dich dann und wir gehen gemeinsam deinen Arbeitsverlauf nach." beendet er das Gespräch und steht auf, um mir die Bürotür auf zu halten.

Ich wusste es. Schwule sind in der Wallstreet nie gern gesehen. Und damit hab ich mich direkt auf die Ersatzbank befördert. Mit einem falsch höflichen Lächeln greife ich meine Tasche und verlasse dann sein Büro. Direkt schließt er hinter mir die Tür und lässt mich mit einem mulmigen Gefühl im Magen stehen. Shit.

Dennoch beschließe ich weiterhin seinen Anforderungen zu folgen und setze mich auf einen der Stühle im Warteraum, öffne meine Tasche und hole eine Tüte mit frisch geschmiertem Käsebrot heraus, welches mir Mom zubereitet hat. Beschämt beiße ich rein und schaue mich einige Minuten lang im Raum um. Betrachte die weißen Wände mit den alten, schlichten Gemälden, die unbequemen, ledrigen Stühle und meine einigermaßen sauberen Chucks. Andere Schuhe konnte ich mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht leisten. Und erst jetzt merke ich, dass ich die ganze Zeit mein Bein bewege. Es zittert regelrecht. Das halbe Brot ist gegessen, dann beschließe ich mein Handy raus zu holen und den einzigen Menschen anzurufen, der mich in so einem Moment aufbauen kann. Es tutet eine Weile, dann geht er ran.

"Hey Baby, alles in Ordnung?" fragt mich Ethan mit ruhiger Stimme die sich gerade einfach nur anfühlt, wie eine wohl tunde, sanfte Massage.

"Ich weiß nicht. Ich glaube, er mag mich nicht."
"Wer mag dich nicht?"
"Jones. Mein Chef."
"Wieso sollte er dich nicht mögen?"
"Wir hatten ein Gespräch, in dem er mich über Dinge aus meinem Leben gefragt hat. Da habe ich wohl erwähnt, dass ich schwul bin, und jetzt mag er mich nicht. Scheiße Ethan, ich hab es verbockt." Mein Gesicht spannt sich an. Das passiert immer, wenn mich meine Gefühle übermannen.

"Charlie, hör auf. Die bei der Wallstreet sind alles kluge Köpfe. Die werden einen Einzelnen nicht dafür verurteilen, was er in seinem Privatleben treibt."
"Aber du hättest ihn sehen müssen! Kurz, nachdem ich es ihm gesagt habe, hat er das Gespräch beendet und mich aus dem Büro geschickt."
"Es ist bestimmt nicht so schlimm, wie es dir in dem Moment scheint. Vielleicht hat er nur-" und mitten in seinem Satz öffnet sich die Tür und der Mann, über den wir grade reden, kommt herein und blickt mich direkt an.

"Ich muss jetzt auflegen." spreche ich in den hörer und lege ohne einen weiteren Satz einfach auf. Das Handy landet schnell in der Tasche und ich stehe auf. Jones' Miene scheint auf einmal so ernst, als hätte er den Tag über nicht ein einziges Mal gelächelt. Und mit einem Schlag sind all meine Belohnungskärtchen weg.

"Wir können jetzt anfangen."

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