17. Confusion

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Ich hatte noch nie das Gefühl, ein Ziel zu haben. Eines, auf das ich hinarbeite und alles gebe, um es zu erreichen. Doch jetzt habe ich eins. Ich habe mir fest vorgenommen, dieses Praktikum zu absolvieren und anschließend nach Ausbildungsmöglichkeiten zu suchen, um irgendwann Redakteur einer großen Brange zu werden. Vielleicht auch ein Studium bei Harvard. Doch wie soll ich dieses Ziel erreichen, wenn ich mich schon in der ersten Woche total verloren fühle? Ich kann mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren weil das Einzige, was mir durch den Kopf geht, Alexander ist.
Immer wieder denke ich an seine warmen, blauen Augen die mir in die Seele schauen. An seine weichen, rosa Lippen die sich an meine schmiegen. An seine zarten und doch bestimmenden Berührungen, die mich dazu bringen würden, alles für ihn zu tun. Ich würde vieles geben, nur von ihm so berührt zu werden.

"Hey Mann." Als hätte mir jemand bei den Gedanken zugehört, schrecke ich auf und nehme einen Stift zwischen die Hände und tu so, als wäre ich mitten in der Arbeit und nicht damit beschäftig, Tag zu träumen. Chester lehnt sich mit den Armen auf der Trennwand vor mir ab und sieht mit müden Augen zu mir hinab. Der geringe Schlaf kommt wohl auch ihm nicht zu gute.

"Bist du auch so fertig wie ich?" fragt er. Ich lasse mich einfach im Stuhl sinken und nicke ihm zu. Und wie fertig ich bin.
"War zwar geil gestern, aber lass uns das lieber am Wochenende wiederholen. Wenn wir ausschlafen können." grinst er und ein wenig freue ich mich darüber, dass er mich auch ein zweites Mal dabei haben will. Er will grade ausholen, um noch etwas zu sagen, als eine kräftige Stimme den Raum füllt. Mister und Misses Jones kommen grade zum Fahrstuhl rein.

"Nur weil du genug Geld dafür hast, heißt es nicht, dass du jeden Tag schick essen gehen musst." ärgert sich Jenna Jones mit angespanntem Gesicht.
"Ich gehe nicht jeden Tag schick essen. Außerdem ist der Fraß in der Cafeteria für die Tonne, da ist es mir wohl erlaubt ab und zu woanders zu essen." argumentiert Alexander. Geht es etwa um unsere Verabredung zum Mittag?
"Du könntest aber ruhig mal deine geliebte Ehefrau zum Essen einladen, anstelle von Mister Scofield." Und bevor Alexander weiter ausholen kann, schließt sich hinter ihnen die Tür von Alexanders Büro. Und mich lassen sie verwirrt im kalten stehen.
"Wer ist Scofield?" frage ich Chester, ohne mir vorher Gedanken über diese Frage gemacht zu haben. Jetzt erst wird mir bewusst, was Alexander geäußert hat und meine Verwirrung wird größer. Wieso läd er mich ein, wenn er doch mit einem Anderen essen geht?
"Keine Ahnung." erwiedert Chester Schulter zuckend. Ein unangenehmes Gefühl staut sich in meiner Brust auf. Fühlt sich so etwa Eifersucht an?

Die Stunden vergehen und ich habe alles denkbare versucht. Mir einen Kaffee geholt, Musik gehört, mir sogar Inspirationsreden auf YouTube angesehen doch nichts hat mir dabei geholfen, mich auf meine Arbeit zu fokussieren. Die ganze Zeit über drehen sich meine Gedanken um Jones und diesen mysteriösen Scofield. Tatsächlich habe ich nachgeforscht um heraus zu finden, wer dieser Mann ist. In den Unterlagen stand er als Mitarbeiter der vierten Etage. Die Abteilung für Informatik. Steht Alexander vielleicht mehr auf solche Männer, als auf kleine Praktikanten wie mich? Vielleicht hat er bei unserer Diskussion über unsere Beziehung nur so schnell bei gegeben, weil er realisierte, dass ich nur ein kleiner Junge bin wohin gegen Scofield bestimmt ein großer Mann in der Brange ist. Der gut aussieht, viel Geld hat und erfolgreich ist. Ein Mann, der mitten im Leben steht und nicht erst am Anfang seiner Karriere.

Beinahe zeitgleich erheben sich plötzlich alle Mitarbeiter von ihren Plätzen und ziehen sich ihre Jacken über. Ich ziehe die Kopfhörer von meinen Ohren, die mir grade noch die ruhige Welt von Nina Simone vermittelten und höre grade noch das Ende der Klingel die immer erleutet,  wenn die Mittagspause ansteht. Ich denke erst gar nicht daran, vorher in das Büro meines Chefs zu spatzieren und mir eine klare Absage zu holen, sondern beschließe direkt in die Cafeteria zu gehen. Gemütlich packe ich meine sieben Sachen zusammen und sehe zu, wie sich die hungrigen Anzugträger in den kleinen Fahrstuhl quetschen und einige genervt die Treppe hinunter eilen. Ich warte, bis das Gemächtel vorbei ist uns stelle mich mit den letzten Paaren in den Aufzug.

In der Lobby angekommen gehe ich schnur stracks auf den Ausgang zu und sehe schon durch die Glasscheiben Alexander Jones, der sich auf der Treppe mit einem Anderen unterhält. Vielleicht ist dieser Mann ja dieser mysteriöse Scofield. Sein Date. Er sieht aus, wie ich es mir vorgestellt habe. Nach hinten gestriegeltes, blondes Haar und eine aufrechte Haltung. Ein Muttermal über der Lippe und eine altmodische Weste um seiner Brust. Wär trägt denn heutzutage noch beige Westen?
Ich denke gar nicht daran, sie zu begrüßen sondern laufe einfach an ihnen vorbei.
"Entschuldigen sie mich." höre ich Alexander sagen und spüre sogleich eine kräftige Hand an meiner Schulter, die mich zu ihm umdreht.
"Wo willst du hin?" fragt er mich.
"Na, in die Cafeteria." sage ich wie selbstverständlich und will mich gleich wieder umdrehen, doch Alexander packt mich am Handgelenk.
"Ich wollte dich doch zum Essen einladen." Ihm steht die Verwirrung groß ins Gesicht geschrieben. Mir übrigens auch.
"Ich dachte du gehst mit Mister Scofield essen." Und jetzt scheint ihm ein Licht auf zu gehen. Er lacht.
"Das ist es, was ich meiner Frau gesagt habe. Keine Sorge, ich werde dich nicht versetzen." Eigentlich sollte das die Erkährung sein, doch ich bin genauso desorganisiert wie eben.
"Na komm." lächelt er und zieht mich mit sich die Treppen hinunter und lässt erst wieder los, als er sich ganz sicher ist, das ich ihm folge. Er kramt in seiner Jackentasche herum und holt einen Autoschlüssel hervor. Ein mal drückt er auf den Knopf und der schwarze Mercedes auf der anderen Straßenseite blingt auf. Zwei Autos lässt er die Straße überqueren, bevor er hinüber läuft und sein schwarzer Mantel dabei im Wind weht. Kleinmütig folge ich ihm und bevor er die Tür auf der Fahrerseite öffnen kann, frage ich ihn:
"Wo ist denn das Restaurant?" Ich habe eher erwartet, dass wir ein Lokal besuchen, nicht weit von hier und nicht extra dafür in seinen Wagen steigen müssen.
"In Brooklyn." antwortet er.
"Das beste Restaurant der Stadt, das verspreche ich dir. Steig ein." grinst er selbstsicher und öffnet sogleich seine Tür und nimmt Platz. Nur zögernd tue ich es ihm gleich und steige neben ihm in den Lederbezogenen Wagen. Das Auto springt an und das Radio schaltet sich selbst ein. Zu hören kriegen wir sanften Blues-Jazz, wärend Alexander ausparkt und wir uns schließlich auf einer großen Straße wiederfinden.

Wir haben kaum die Hälfte des Liedes gehört, da zieren dunkle Wolgen den Himmel und vereinzelte Tropfen prasseln auf die Glasscheibe. Aus Einigen werden Viele und es fängt an, in Strömen zu regnen. Die ganze Zeit starre ich aus dem Fenster und kann förmlich den Geruch von nassem Stein riechen bei dem bloßen Anblick der sich bildenden Fützen. Passanten falten ihre Regenstürme auf und eilen durch die Straßen auf der Suche nach Unterschlupf. Ich liebe solches Wetter. Die Geräusche, die der Regen verursacht, wenn er auf dichtes Glas fällt. Oder wenn Autos durch die nassen Straßen fahren. Der Geruch von feuchter Luft. Und das Aussehen der Tropfen, die langsam das Fenster hinab sickern und sich in dem Spalt der Autotür verlieren. Es hat etwas beruhigendes.

Irgendwann verlassen wir die großen Straßen, fahren bereits eine geschätzte viertel Stunde und kommen in einer Gegend an, wo die Häuser näher beieinander stehen. Irgendwie kommt mir diese Gegend bekannt vor. Ich habe gar nicht gemerkt, das wir einparken, bis Alexander die Handbremse zieht und sich zu mir umdreht.
"Wir sind da." sagt er und erwartet wohl irgendeine Geste von mir. Er sieht mir ohne zu zwinkern in die Augen und mir wird auf einmal noch wärmer, als mir ohnehin schon war. Er lehnt sich zu mir vor und eine Gänsehaut zieht sich über meinen ganzen Körper. Seine Hand wandert über meinen Körper hinweg und schnallt mich ab. Öffnet mir anschließend die Tür. Dann lehnt er sich zurück und tut das selbe bei sich. Er steigt ohne weiteres aus und lässt mich ein wenig enttäuscht mit geröteten Wangen zurück. Dann tue ich es ihm gleich, steige aus und erst, als ich neben ihm auf dem Bürgersteig zum stehen komme und zu dem Gebäude vor uns hinauf blicke, realisiere ich, wo wir sind.
Wir sind bei ihm Zuhause.

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