32. Free Anger

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Alex Point of View

Mit dem Drehen der Autoschlüssel verstummt der Motor des Wagens und es wird still. Ich spüre das Pochen der Wunde an meinem Auge - ein Schmerz, der mir in diesem Moment nicht besoners viel ausmacht. Mehr ist es das immernoch anhaltende Pochen meines Herzens, welches ungleichmäßig in meiner Brust schlägt, seit ich in den Wagen gestiegen bin.
Meine Hand krallt sich noch immer an dem Lenkrad fest, als würde alles zusammen fallen, wenn ich jetzt loslasse.
Für einen kurzen Moment schließe ich meine Augen, um das Bild von Charlie deutlicher zu sehen - wie er angsterfüllt und verzweifelt zu mir schaut, nicht in der Lage sich zu bewegen, während sein Exfreund auf mir sitzt und mich blutig schlägt.
Vielleicht sollte ich sauer sein, das er mich nicht verteidigte. Weder, als sein Freund mich schlug, noch, als seine Mutter mich anschrie zu verschwinden. Doch ich bin nicht sauer. Vielmehr bin ich besorgt. Doch das ist kein Problem, was ich heute in Angriff nehmen kann. Eher sollte ich jetzt hinauf in meine Wohnung gehen und das getrocknete Blut von meinem Gesicht waschen.

Nur zögernd öffne ich die Autotür und begebe mich in die kalte Luft des Abend, nur um dann langsam und schwächlich die zwei Stockwerke zu meinem Loft hoch zu laufen. Der Schlüsselbund ist erst aufzufinden, als ich in jeder meiner Jackentaschen herumwühle und ihn schließlich in der Hose finde. Der Schlüssel dreht sich und mit einem leisen Klicken öffnet sich die Haustür. Die Lichter sind alle aus, was bedeutet das meine Frau wahrscheinlich nicht im Haus ist. Doch als ich die Tür hinter mir schließe, nehme ich ihre Stimme war.
"Schatz, bist du das?" ruft sie und erhellt kurz darauf das Wohnzimmer mit Licht. Sie kommt aus dem Schlafzimmer mit einer Lesebrille auf der Nase in ihrem rosa seidenem Nachtkleid.

"Wärst du so gut und gehst nochmal kurz raus, um was zu Essen zu besorgen? Ich hatte so viel zu tun, da konnte ich gar nicht mehr einkaufen gehen. Etwas vom Chinesen wäre gut." fragt sie mich und untermalt dies mit einem erwartungsvollem Lächeln. Sie scheint dabei gar nicht zu bemerken, das ein wenig Blut aus meiner Nase rinnt.

"Am Kühlschrank hängen Bestellzettel." erwiedere ich nur monoton.
"Ja, aber die Lieferanten machen immer nur altes Essen in der Mikrowelle warm. Ich will lieber was frisches. Außerdem bist du noch angezogen und ich nicht, also mach dich los bevor sie schließen." versucht sie das Gespräch zu beenden und kehrt zurück ins Schlafzimmer.

Eine Wut, die ich nicht beschreiben kann, sammelt sich in mir. Bevor sie die Tür schließen kann, gehe ich auf sie zu und barrikadiere die Tür mit meinem Fuß.
"Wie du wahrscheinlich unschwer übersehen konntest, habe ich ein paar Verletzungen, die ich versorgen muss. Wenn es dir also nichts ausmachen würde, selbst für dein Abendessen zu sorgen, währe ich dir mehr als dankbar." sage ich mit giftigem Unterton.
Nun öffnet meine Frau die Tür, um mich mit geneigtem Kopf tadelnd anzusehen.

"Schatz." fängt sie an und kneift ihre Augen zusammen.
"In fast zwei Jahren Ehe und den fünf Jahren, die ich dich kenne, habe ich dich öfter mit blutiger Nase gesehen, als ich hätte mitzehlen können. Wenn es dir also nichts ausmachen würde-" äfft sie mich nach. "runter zu gehen und uns etwas zu Essen zu besorgen, währe ich dir sehr dankbar."
Sie denkt, das Gespräch sei beendet und bewegt sich wieder richtung Bett, um sich weiter ihrem Buch zu widmen. Doch heute werde ich mich nicht einfach so damit geschlagen geben. Heute wird sie nicht das letzte Wort haben.

"Wenn du heute nicht so damit beschäftigt gewesen wärst, dir von meinem Geld neue Klamotten zu kaufen, wäre das Essen vielleicht schon auf dem Tisch und dein Mann - der den Tag über geschufftet hat und Dinge über sich ergehen ließ, von denen du gar nicht erst hören willst - müsste nicht wie dein Butler umherlaufen und alles tun, was du möchtest. Denn das ist die Art Ehe, die dir vielleicht gefällt - doch da habe ich noch ein Wörtchen mitzureden!"

"Ach ja? Hast du das?" unterbricht sie mich mit gehobener Stimme.
"Fast jeden Abend bin ich alleine Zuhause und  frag mich, wo du bist, nur um dich mit blauem Auge vor meiner Türschwelle zu sehen-"
"Deine Türschwelle!?" übernehme ich das Wort.
"Das hier ist mein Haus! Alles hier drin habe ich bezahlt und du tust so, als seist du die Herrin im Haus aber das bist du nicht! Vielmehr bist du die faule, hartgierige, egozentrische und verzogene Haushälterin die nicht tut, wofür sie bezahlt wird!"

"Wie bitte? Ich werde bezahlt?" lacht sie humorlos.
"Natürlich. Ohne mein Geld hättest du weder die Gucciklamotten, noch das teure Essen und wenn wir mal ehrlich sind - ohne all das Geld, das ich dir in den Rachen schiebe, würdest du mich nicht einmal ficken."
Und erneut legt sich ein praller Schmerz auf meine Wange, als sie ihre Hand hebt und sie mir ins Gesicht schlägt.

"Pack deine Sachen und verschwinde." presst sie unter knirschenden Zähnen hervor.
"Nichts lieber als das." erwiedere ich nur und ignoriere  das zarte Brennen meiner Haut, während ich mich über einen Koffer hermache. Fast alles in diesem Raum gehört mir, doch gutwillig ignoriere ich die gerahmten Familienfotos auf den Nachttischlein. Auch die teure Bettwäsche von Armani ist mir scheißegal. Ich öffne nur meinen Kleiderschwank und lasse meinen Arm durch alle Bereiche schwingen, das sämltliche Klamotten auf den Boden fallen, um sie schließlich in den Koffer zu quetschen.

Im Wohnzimmer schaue ich mich um, doch hier gibt es rein gar nichts von Bedeutung. Jedes einzelne Möbelstück und jede noch so kleine Dekoration ist ersetzbar. Nichts ist von Wert.

Außer vielleicht die kleine Sparrkasse, die auf dem Fenstersims steht. Jenna füllt sie seit anbeginn unserer Ehe mit Kleingeld, um in ein paar Jahren genug Kleidung für das Kind kaufen zu können, welches sie sich gewünscht hat.
Als sie sieht, wie ich die Büchse mustere, legt sich Anspannung und Wut auf ihr Gesicht.
"Wage es ja nicht." keift sie nur. Doch wenn ich es nicht tun würde, währe ihr vielleicht nicht klar, wie ernst es mir ist. Also öffne ich das alte Marmeladenglas und lasse die Scheine in meinen Koffer regnen, bevor ich das Glas hebe und gegen die Wand schmeiße.
Sie quietscht auf und hält sich die Hand vor den Mund und eine Träne bildet sich unter ihrem Auge, als sie mich zur Tür gehen sieht.

"Ich will die Scheidung." raunt sie.
"Kannst du gerne haben." antwortet ich nur und fummele die Autoschlüssel von meinem Schlüsselbund, werfe den Rest auf den Boden und verlasse das Loft mit einem lauten Knall. Drinnen höre ich ein Wandgemälde zu Boden fallen und zersplitterndes Glas, doch darum muss sie sich nun kümmern. Mit vollbepackten Händen eile ich die Treppenstufen hinunter, jogge durch den leichten Sprühregen zu meinem Auto und werfe Koffer Nummer zwei in den Kofferraum.

Auf dem Fahrersitz angekommen spüre ich erst, wie stark mein Herz doch wieder schlägt und spüre den Puls an meinen Venen. Doch ich fühle mich zum ersten Mal seit langem wieder frei. Ich kann endlich wieder frei durch die Nase ein, und durch den Mund ausatmen.
Verdammt fühlt sich das gut an.

Nun ist der richtige Zeitpunkt, um mein Autofenster ein wenig runter zu kurbeln und mir meine verdiente Siegeszigarette zwischen die Lippen zu kleben. Mit einem Feuerzeug aus dem Seitenfach zünde ich sie mir an, lasse einen tiefen Zug Rauch in meine Lunge fahren und blase ihn langsam wieder aus.
Dann stecke ich den Schlüssel in den Zünder, drehe ihn um und trete aufs Gas mit nur einem Ziel vor den Augen.
Die eine Sache zu tun, die von Anfang an richtig erschien.
Ich muss zu Charlie.


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