33. Our Future

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Ich kann nicht sagen, wie spät es ist. Die Zeit vergeht zu schnell und zu langsam gleichzeitig. Wie durch ein Glas, schaue ich durch den schwarzen Bilschirm des Fernsehers hindurch. Die Couch unter meinem Körper fühlt sich unbequem an und die Luft ist so stickig hier drin - komisch für den späten Herbst. Einzig und allein an dem dunkelblauen Himmel und der leuchtenden Straßenlaternen, die ich durch das Wohnzimmerfenster erkenne, kann ich ausmachen, das es wahrscheinlich schon fast Mitternacht ist. Außerdem ist es still. Sehr still. Vereinzelte Autos fahren an dem Haus vorbei, geben ein lautes Brummen von sich und sind dann schnell wieder weg.
"Hier." sagt meine Mutter, die hinter mir zum Vorschein kommt und reicht mir eines von zwei Weingläsern, während sie sich neben mich setzt auf das hellgraue, alte Möbestück.
"Danke." wispere ich und nehme das rote Getränk entgegen.
Nach dem ersten Schluck merke ich, das Rotwein nicht so mein Getränk ist. Zu trocken. Trotzdem nehme ich noch einen weiteren Schluck davon, um meine Gedanken ein wenig runter zu spühlen.
"Ich möchte ehrlich sein, Charlie." fängt meine Mutter an.
"Ich weiß nicht, was ich in einer Situation wie deiner sagen soll. Niemand hat mir gezeigt, wie man damit umgehen soll. Nichtmal die Frauen in dem Mutterschafts-Seminar, an dem ich teil genommen habe, bevor du oder Claire geboren wart." sagt sie und lacht.
"Aber ich schätze, keiner erwartet je, mit so einer Situation konfrontiert zu werden." ein frohes Schmunzeln legt sich über meine Lippen.
"Ich dachte ja eher, das Claire diejenige wäre, die mit Männerproblemen zu mir kommt." raunt sie.
"Aber die ist ja zugeknöpft wie eine Nonne."
"Mom." ermahne ich sie, doch einen Moment später müssen wir beide anfangen zu lachen.
Einige Sekunden erhällt unser Lachen den Raum, doch dann flacht es langsam ab und es wird wieder still zwischen uns. Mutter genehmigt sich den ersten Schluck von ihrem Wein und lehnt sich dann an meine Schulter.
Ich genieße den Körperkontakt von ihr.
"Geht es dir gut?" fragt sie mich.
"Und sei bitte ganz ehrlich."

Ich denke nach, und zucke dann mit den Schultern.
"Ich bin mir nicht sicher." antworte ich, ganz ehrlich.
"Ich wurde auch nie auf diese Situation vorbereitet."
"Ich glaube, niemand ist das." erwiedert Mom.

Nein, wahrscheinlich nicht.
Die Ruhe kerrt wieder ein, in der Mom einfach an meiner Schulter lehnt und mir die Wärme schenkt, die ich schon viel früher hätte aufsuchen sollen. Wie konnte ich nur denken, ich kriege das alleine geregelt? Wie konnte ich nur denken, alles wird am Ende gut?

Und auf einmal löst sich die Stille und das Hupen eines Autos jagt einen Schrecken in unser beider Leiber. Und es hört nicht auf zu hupen. Zwei mal und drei mal hupt es, bis ich aufstehe und zum Fenster rüber schreite. Auf der Straße sehe ich dann das schwarze Auto mit dem bekannten Kennzeichen und noch bekannteren Fahrer.
"Alex ist hier." spreche ich es überrascht aus und eile zur Tür. Alex kommt mir entgegen, als ich den kleinen Kieselweg entlang auf ihn zulaufe.

Mein Herz pocht.

"Charlie, es ist endlich vobei." ruft er mit einem breiten Grinsen, bis er dann vor mir stehen bleibt, seine Hände unter meine Ohren legt und mich für einen Kuss zu ihm ran zieht. Es ist ein fester Kuss. Ein Kuss, der so lange andauert, als könnte man meinen, wir hätten uns ewig nicht gesehen. Es ist ein schöner Kuss, trotzdem muss ich ihn unterbrechen und löse mich von Alex.

"Was? Was ist vorbei?" frage ich.
Alex sagt nichts sondern wühlt in der Innentasche seines Jackettes herum und holt zwei längliche, bedruckte Zettel heraus.
"Das hier sind zwei Flugtickets nach Miami." sagt er, doch ich verstehe - wie so oft - Nichts.
"Und?" frage ich also.
"Sie sind für uns! Für dich und mich! Wir machen einen Neuanfang - Weg von der Stadt, weg von Zuhause und vorallem weg von dieser verfluchten Firma. Nur wir zwei. Was sagst du?" sagt er und wirkt dabei so enthusiastisch. Ich glaube, so habe ich ihn noch nie gesehen.
Eine Gänsehaut überkommt mich.

"Was ist mit deiner Frau?"
"Ich habe sie verlassen."
"Und deine Wohnung?"
"Ist mir egal."
"Und was ist mit deiner Firma?"
"Charlie." beendet er meine Fragerei und greift mich an den Oberarmen.
"Wir sind frei. Wir sind endlich und verdammt nochmal frei. Wir können zusammen sein. Zusammen irgendwo, wo es keinen interessiert. Wo wir unser Leben leben können, wie wir es möchten und wo uns keiner Vorschwiften machen kann."
Diese Euphorie in seinen Augen ist erschreckend. Ich erkenne ihn gar nicht wieder.

"Ist.. das dein Ernst?" frage ich.
"Über sowas würde ich niemals scherzen, Charlie. Das ist mein voller Ernst. Ich will endlich mit dir zusammen sein und mein Leben neu starten - mit dir an meiner Seite."
Wieder drückt er seine Lippen auf meine in einen feuchten, festen Kuss. Dann drückt er seine Stirn an meine und spricht mit geschlossenen Augen.
"Ich liebe dich, Charlie. Bitte komm mit mir."
Ein tiefer schauer legt sich über meinen Rücken. Ich höre das Herz in meiner Brust pochen und verspüre den Wunsch, seinen Worten nach zu gehen. Hier und jetzt - auf der Stelle.

"Ok. Ich werde mitkommen."

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