Es ist wieder nicht genug Zeit vergangen, um meinen Schlaf nachzuholen. Ich bin mir nichtmal sicher, ob überhaupt eine Stunde vergangen ist, in der ich meine Augen schließen konnte. Viel zu lange habe ich über den gestrigen Tag nachgedacht. Und über vieles Andere. Das ich für Alexander nichts weiter als eine bedeutungslose Affäre war, so wie er es sagte, und schließlich die nächsten vier Tage mit ihm in einer fremden Stadt verbringen muss. Ein Ausflug, auf den ich mich zuvor so sehr gefreut habe, fühlt sich jetzt an wie eine Qual. Wie ein Test, für den man sich nicht vorbereitet hat.
Ich kann mir nicht vorstellen, ihm nochmal in die Augen zu blicken und ihm zu zeigen, wie sehr ich die letzte Nacht geweint habe.
Der Wecker klingelt kaum ein paar Sekunden, als ich ihn abstelle und meine Decke von mir werfe. Meine Knochen fühlen sich weich an, als hätte ich mich Tage lang nicht bewegt. Umso schwieriger fällt es mir, mein Bett zu verlassen und aufzustehen.Schließlich schaffe ich es doch irgendwie, mich unter die heiße Dusche zu stellen. Auch, wenn es ungemein schwer ist, nicht nur an die weiße Wand zu starren und sein Gesicht vor Augen zu sehen. Die dicke Vene an seiner Schläfe, die pocht wenn er angestrengt und wütend ist. Die glasigen, blauen Augen die einen einschüchtern, wenn man sie nur ein wenig zu lange mustert. Der zerzauste Bart und die ungepflegten Haare, die verschwitzt an seiner Stirn kleben, als hätte man ihm die Worte an den Kopf geworfen, die er mir sagte.
Um ihn aus meinem Kopf zu bekommen, starre ich jetzt mich im Spiegel an.
Ich sehe genauso aus, wie ich ihn beschrieben habe.
Einfach fertig mit den Nerven.Am Küchentisch ignoriere ich die giftigen Blicke meiner großen Schwester, die sie mir ab und zu zuwirft, während sie mit meinem Ex-Freund am Handy schreibt. Ich ignoriere auch die Fragen über mein Wohlergehen von Mutter. Alles, was ich mache, ist die Schüssel Müsli zu leeren und mir vorzustellen, wie wohl der heutige Tag in der Firma verlaufen wird.
Jedes Mal, wenn mir Alexander über den Weg laufen wird - und das wird er bestimmt oft - werden meine Venen gefrieren und ich werde meine Arbeit nur noch schlechter verrichten können, als zuvor schon.
Ich habe schon überlegt, einfach zu kündigen. Allem einfach aus dem Weg zu gehen und woanders nochmal ganz von vorne anzufangen. Doch das wäre schwach. Und ich will nicht das der Mann, der mich innerhalb einer Nacht zu diesem Wrack gemacht hat, mich schwächeln sieht.Mutter hat schließlich aufgegeben, auf mich einzureden als ich schon gehbereit vor der Haustür stehe und meinen Rucksack schultere.
"Ich wünsche dir einen schönen Arbeitstag, mein Schatz." sagt sie mit großer Besorgtniss in der Stimme und zwingt sich ein Lächeln auf die Lippen.
"Danke." antworte ich kaum hörbar und öffne schließlich die Haustür. Auf dem Kieselweg entlang schländernt bin ich gerade dabei, meine Kopfhörer aus der Jackentasche zu friemeln, als ich ein mir bekannten schwarzen Mercedes auf der Einwegstraße erblicke. Auf dessen Fahrersitz kein Geringerer als Alexander Jones.
Einen Atemzug lang hört mein Herz auf zu schlagen, als ich in seine blauen Augen blicke.
Er sieht lange nicht so aus, wie ich ihn in errinerung habe. Er ist frisch rasiert, seine Haare sitzen perfekt und man sieht ihm nicht einen funken Schuld an. Er spielt den perfekten Ehe- und Geschäftsmann. Wie jeden Tag.
Ohne ihn eine weitere Sekunde lang mustern zu wollen, stecke ich mir die Kopfhörer in die Ohren und laufe an seinem Wagen vorbei die Straße entlang. Ich höre, wie er den Motor startet und mich schnell wieder aufholt. Ich sehe es nicht, doch ich höre wie er die Fensterscheibe herunter fährt.
"Charlie, steig ein." sagt er, doch ich denke nicht daran. Stattdessen verschnellere ich meinen Schritt ein wenig, doch er holt wieder auf.
"Bitte Charlie, ich muss mit dir reden."
"Ich glaube, du hast schon alles gesagt." erwiedere ich mit einer kälteren Stimme, als ich es für möglich gehalten hätte. Vor mir sehe ich langsam den Bus, den ich nehmen muss, einfahren.
"Ich meinte es nicht so. Lass es mich erklären." versucht er es weiter doch ich würdige ihn keines Blickes. Der Bus hält an und zwingt Alexander zum stoppen. Die Bustüren öffnen sich und Alexander macht gestalt, austzusteigen. Ich komme nichtmal am Hinterteil des Busses an, als ich Alex Hand an meinem Unterarm spüre. Rücksichtslos zieht er mich zu sich und zwingt mich, ihn anzusehen.
"Es tut mir leid. Alles, was ich gestern gesagt habe, tut mir leid. Bitte lass mich dich zur Arbeit fahren, Charlie." fleht er. Und die Sekunden, die ich darüber nachdenke, in sein Auto steigen, machen sich unbezahlt, denn schon fährt der Bus davon und ich habe keine andere Wahl, als ihm zu folgen.
Wütend reiße ich meinen Arm aus seinem Griff und gehe auf sein Auto zu, nehme kurz darauf auf dem Beifahrersitz platz.
Alles hier drin riecht nach ihm. Und die wärme, die mich erfüllt, als er aus versehen meine Schulter mit seiner streift, als er sich neben mich setzt, macht es noch unerträglicher.
Wortlos dreht der den Schlüssel im Züdschloss um und fährt langsam die Straße hinauf.
Immer wieder sieht er in die Seitenspiegel seines Wagens, obwohl er sich bewusst ist, das hier weit und breit kein Auto fährt, welches er beachten müsse. Und anstelle etwas zu sagen, so wie er es vorhatte, schweigt er.
Nur für keinen kurzen Moment sehe ich zu ihm herüber und erkenne ohne zu blinzeln, wie nervös er ist. Ein Hauch von Mitleid überkommt mich. Doch kaum ist der da, schüttelt meine Wut ihn wieder ab.
"Es tut mir leid." sagt er letzlich.
"Das hast du schon gesagt." erwiedere ich spottend und schaue aus dem Fenster.
"Und ich meine es so." setzt er mit sanfter Stimme fort.
"Alles, was ich gestern sagte, tut mir so unendlich leid."
"Wieso denn? Du hattest doch recht. Niemand würde so ein Leben wie du es führst aufs Spiel setzten für eine belanglose Affäre." wiederhole ich sein Wortlaut und sehe ihn mit verkniffenen Augen an. Sorge spiegelt sich in seinen Stirnfalten wieder, als er meinen Blick für eine Sekunde streift.
"Belanglose Affäre? Du ... Du bist viel mehr als eine Affäre für mich, Charlie." stottert er.
"Das hörte sich gestern aber anders an." Letzendlich kullert doch eine Träne über meine Wange. Und ich dachte schon, ich hätte mich letzte Nacht komplett leer geweint. Erst, als der Wagen zum stehen kommt, bemerke ich das Alexander an die Seite gefahren ist und nun seinen Oberkörper zu mir dreht. Vorsichtig legt er seine Hand auf meinen Arm. Ich zucke unter der Berührung zusammen. Will mir nicht eingestehen, wie sehr ich sie genieße."Ich hatte einfach nur Angst, Charlie. Es hätte gestern alles schief gehen können. Alles hätte auffliegen können und-"
"Und dann?" unterbreche ich ihn.
"Dann müsstest du aufhören allen und jeden, und vor allem dich selbst, zu belügen? Macht dich das etwa glücklich?" keife ich und wende mich von ihm ab. Die Stelle, an der er mich eben noch berührte, wird kalt.
"Charlie. Es ist nicht so einfach ..." versucht er es weiter. Ich schließe nur meine Augen und lasse meinen Kopf gegen die Sitzlehne fallen.
"Fahr' einfach weiter."
Einen Moment passiert gar nichts. Ich höre nur das Atmen des Mannes neben mir, doch irgendwann tritt er wieder auf die Pedale und fährt los.
Die ganze Fahrt über bleibt es still. Ab und zu spüre ich seine Blicke in meinem Nacken, doch ich erwiedere keinen davon. Viel zu gefästigt bin ich von der unbeschreiblichen Wut und Trauer, die ich empfinde. Ich fühle mich, als sei ich eingequetscht zwischen zwei Steinen und die Luft zum atmen würde immer dünner. Es ist einfach nur unangenehm, mit ihm hier zu sein. In seinem Wagen. Ohne eine Möglichkeit auf Flucht.
Vor einigen Tagen noch hätte ich nie in erwähnung gezogen, so ein Gefühl für ihn zu spüren. Ich hätte Essen und Schlaf vernachlässigt, nur um an seiner Brust zu liegen und seiner Stimme zu lauschen. Doch jetzt will ich nichts mehr, als von ihm weg.Das letzte Mal, als ich so ein bedrückendes Gefühl in der Brust hatte wie jetzt, ist erst ein paar Wochen her. Vielleicht zwei Monate. Als ich meinen Vater nach all den Jahren wieder sah.
Kaum konnte ich alleine laufen und mein erstes Wort sprechen, verließ er unsere Familie. Claire erzählte mir von dem Moment, als er mit zwei Koffern in der Hand die Türschwelle übertrat und nicht einmal nach hinten blickte, um seine sechs Jährige Tochter zu verabschieden. Ich lag derweil in meinem Kinderbett und konnte nichtmal erahnen, wie sich mein Leben an diesem Abend verändern würde.
Und knapp fünfzehn Jahre danach bekomme ich eine E-Mail. Eine E-Mail von einem Mann, der sich Henry Dunn nannte und mir anbot, mich auf ein Essen einzuladen. Auch, wenn ich nicht viel von dieser Idee hielt, war mein Interesse doch größer, den Mann der sich mein Vater nannte, kennen zu lernen.
Und da saßen wir dann. Alles an ihn errinerte mich an mich selbst. Seine Haare, seine Haut, seine Augen und sogar sein Lachen. Alles hatte ich von ihm.
Wir unterhielten uns. Er erzählte mir von seiner neuen Frau und seiner Tochter. Erzählte mir von seinem Beruf als Schuldirektor und schließlich bat er mich um Vergebung. Dafür, dass er aufhörte meine Mutter zu lieben und uns verließ.
Für eine Sekunde habe ich daran gedacht, ihm zu verzeihen. Dachte daran, wie es wäre, endlich eine Familie und vor allem eine Vaterfigur zu haben. Bis er mich jedoch fragte, wie es in meinem Leben aussieht.
Die Stunde, die wir uns unterhielten, verlief gut also hatte ich das Gefühl, mich ihm anvertrauen zu können. Also erzählte ich. Von meinen guten Schulnoten, dem Ferienjob in der großen Firma und schließlich von meinem Freund.
"Du meinst, deine Freundin?" fragte er dann.
"Nein, Ethan. Mein Freund." korrigierte ich es doch er wollte es noch nicht ganz verstehen.
"Ah, ist das ein Schulfreund von dir, Junge?" fragte er und stopfte sich eine Gabel Spaghetti in den Mund. Ich hielt das für komisch und konnte ein Kichern nicht verkneifen. Mir war nicht klar, wie ernst er es meinte.
"Durch die Schule kenne ich ihn nicht. Er geht auf's Collage und ist ein Freund von Claire. Dadurch habe ich ihn kennen gelernt. Wir sind jetzt seit fast einem Jahr zusammen." posaunte ich fröhlich, bis ich erkannte, dass mein Erzeuger plötzlich in jeder Bewegung inne hielt und ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht wich.
Ich werde wohl nie das Pochen seiner Vene unter der faltigen Haut vergessen und den stahlenden Kiefer, der sich angespannt aufeinander presste.
Ohne Rücksicht auf die anderen Gäste in dem Lokal sprang er auf und verurteilte sich selbst dafür, mit einer Schwuchtel an einem Tisch zu sitzen. Er nahm jede Entschuldigung, die er sagte zurück und berichtigte sich damit, dass es die beste Entscheidung seines Lebens gewesen wäre, diese Familie aufzugeben.
Dann verließ er das Lokal und ich fühlte mich, wie ich mich jetzt fühle.
Verlassen.Ich zucke plötzlich zusammen, als ich etwas Warmes auf meiner Schulter fühle. Alexander hat mich aus meiner Trance geweckt und seine Hand auf mich gelegt. Als ich mich umdrehe und erschrocken in seine Augen gucke, erkenne ich Angst und Sorge.
"Charlie, was ist?" fragt er mich. Da bemerke ich erst, das mir wieder Tränen über die Wange gekullert sind. Schnell versuche ich sie mit meinem Handrücken abzuwischen um jeden Beweis zu vernichten, dass sie je existierten.
"Nichts. Ich bin nur müde." lüge ich und widme mich wieder dem Fenster. Nur schwermutig wendet sich Alexander wieder von mir ab.
"Wir sind gleich da." sagt er mit fast heiserer Stimme. Ich nicke nur sachte und hoffe, das der Tag bald möglichst ein Ende findet.
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MODERN AFFAIR
RomanceWARNUNG: Dieses Buch wurde 2017 von einem 17 jährigen Mädchen geschrieben. Es ist also kein "Stolz und Vorurteil" aber sehr unterhaltsam! Nimm es beim Lesen nicht zu ernst und ich garantiere dir eine Menge Spaß! <3 Klappentext: Eine Beziehung, di...