04. Encumbrance

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Er schweigt. Er ist komplett still, während wir die Treppen hinunter laufen und ein paar Räume durchqueren und trotz des kurzen Telefonats mit Ethan, ist das flaue Gefühl in meinem Magen noch da, und es brodelt. Ich glaube, mir ist schlecht.

"So, wir sind da. Das sind die Räumlichkeiten, in denen du in den nächsten Wochen arbeiten wirst." bricht er endlich die Stille und öffnet die Tür zu einem weiteren, riesigen Raum, geflutet von Sonnenlicht das durch die vielen Fensterwände strahlt. Inmitten zig Schreibtische und daran arbeitende Angestellte. Männer und Frauen, die mit Kopfhörern auf den Ohren vor ihren Bildschirmen sitzen. Und man hört einzig und allein das Klicken derer Tastaturen. Eine - für ihr Alter - hübsche Frau mit blondem Dutt und enger Bluse kommt auf uns zu und reicht mir die Hand.

"Charlie, nicht wahr? Ich bin Jenna." stellt sie sich vor, also schüttle ich lächelnd ihre Hand. Nachdem sie von mir los lässt, stellt sie sich direkt neben Alexander Jones und legt ihren Arm um seine Hüfte, bevor sie ihm einen kurzen Schmatzer auf die Wange drückt. Also ist sie dann wohl ...

"Charlie, dass ist Jenna Jones. Meine Ehefrau und deine Vorgesetzte in dieser Abteilung. Sie wird in Zukunft auch die Person sein, die du ansprechen wirst, wenn du fragen oder wünsche hast." In meinen Unterlagen stand etwas anderes. Aber das sich grade er, der Chef dieser ganzen Firma, um den Praktikanten kümmern wird, ist vielleicht tatsächlich etwas zu viel verlangt.

"Sie wird dich nun auch durch das Abteil führen und dir erklären, was deine aufgaben sein werden." er will den Satz noch fortführen, da wird er von dem Fingerschnipsen seiner Gattin unterbrochen.

"Könntest du das übernehmen? Ich habe noch viel zu tun und außerdem ist er dein Praktikant." Bei diesem Satz kann ich nicht einschätzen, ob sie wirklich viel Arbeit vor sich hat oder ob sie nur zu faul ist, den Neuling einzuführen. Mr. Jones zögert. Sieht nicht begeistert aus von der Idee.

Hier fühle ich mich willkommen.

"Ja, in ordnung. Das Meeting beginnt eh erst in einer halben Stunde." Wir haben uns für heute also noch nicht genug angeschwiegen. Jippie. Jenna grinst mir und ihrem Mann ein letztes Mal falsch freundlich zu, dann wendet sie sich letzendlich ab und drückt einer der Sekretärinnen an den Schreibtischen ein paar Papiere in die Hand, die sie die ganze Zeit über fest hielt.

Meine Führung geht also los. Wir laufen den ganzen Raum ab, Jones wird begrüßt von Jedem, der sich eine Gehaltserhöhung wünscht und in der hintersten Ecke des Raumes steht dann der Schreibtisch, der als einziger noch nicht vollbepackt ist mit Familienfotos und Wackelköpfen. Einer der Mitarbeiter, der auch eine Cap zu seinem Anzug trug, hatte sogar ein paar Actionfiguren auf seinem Rechner stehen. Wie auch immer einer wie er es in die Wallstreet geschafft hat. Jones leiert meine Aufgaben hinunter, als wäre es eine Schulpräsentation, die man ganz schnell hinter sich bringen will und zählt mir die Aufgaben auf, die ich machen werde. Da geht es vom Kaffee kochen um halb acht bis zum Unterlagen korrigieren um zwölf. Dann gibt es eine Mittagspause in der Cafeteria, die zwei Häuser weiter zu finden sein soll und die letzten neunzig Minuten darf ich darauf warten, dass mir jemand noch ein paar Unterlagen zuschiebt. Ansonsten darf ich die Zeit überbrücken, in denen ich Artikel schreibe, welche vielleicht von dem einen oder anderen nennenswerten Geschäftsmann gelesen wird. Und das ist der Part, der mich frohen mutes weiter machen lässt.

"Soweit erstmal. Ich habe jetzt einen Termin und sehe dich dann in ein paar Stunden in der Cafeteria. Die sollte leicht zu finden sein. Es steht über dem Eingang."

Diese paar Stunden habe ich mit nervigem Papierkram überbrückt und tatsächlich, Jones hatte Recht. In großen Buchstaben steht "Wallstreet Cafeteria" über dem Eingang des Gebäudes zwei Häuser weiter und jeder, der einen Anzug trägt, stürmt herein. Drinnen erwartet mich eine elend lange Warteschlange und ganz vorne von ihr steht Alexander Jones, der mit hoch gekrämpelten Ärmeln sein Tablett hält und es mit Essen belädt. Er setzt sich an einen bereits vollen Tisch und alle Hoffnung, jetzt doch noch einen guten Eindruck machen zu können, durch positiven Smalltalk, verfliegt. Fünfzehn Minuten stehe ich an und bekomme endlich das Essen, was der Pampe aus meiner Schule gleicht und schaue suchend, nach einem leeren Tisch, durch den Raum. Nur einer, in der nähe der Toilette, scheint halbwegs leer. Wird besetzt von ein paar wenigen Brillenträgern. Wahrscheinlich Finanzmänner. Ich beschließe, mich einfach zu ihnen zu setzen und während des ganzen Essens die Klappe zu halten und meiner Musik zu lauschen. Und genau das mache ich auch. Ein älterer Song von Eminem schallt durch meine Kopfhörer und ich würge mir die trockenen Kartoffeln und den matschigen Fisch hinunter.

Ich muss doch gestehen, dass der ein oder andere Blick zu Jones hinüber huscht, der sich lachend mit seinen Kollegen unterhält und unter dem Tisch das Bein seiner Frau streichelt. Und ich wünsche mir, dass es wäre, wie im Film. Das er sich zu mir an den Tisch setzt und sein komisches Benehmen rechtfertigt. Das wir anfangen über spannende Sachen zu reden und er zufällig erwähnt, dass er am Abend eine Büroparty schmeißt, zu der ich herzlich eingeladen bin. Und spätestens dann werden wir best Friends und der Job wird die beste Entscheidung meines Lebens sein. Doch mein Leben ist kein Film. Während der ganzen Zeit, sitze ich alleine da. Ich gehe zurück an meinen Platz und tippe uninteressante Sachen in den Computer. Ich mache Feierabend, warte ungeduldig auf den Bus, der mich abholen sollte und erblicke zum Schluss, wie Mister und Misses Jones Händchen halten zum Gebäude raus marschieren und ihren gemeinsamen Weg nach Hause antreten.

Was für ein blöder erster Tag.

Die Sonne ist bereits unter gegangen, als ich mit den Schlüsseln in der Hand zuhause ankomme. Ich schließe die Haustür auf, schalte das Licht ein und erschrecke mich, als auf einmal Musik ertönt. Mitten im Wohnzimmer stehen meine Mutter, meine Schwester und Ethan, die grinsend auf meine Reaktion warten. Auf dem kleinen Tisch vor der Couch steht eine lecker aussehende Schokotorte, auf der mit Zuckerguss "Süßester Geschäftsmann" geschrieben steht. Alle Last, die ich heute mit mir rum tragen musste, fällt von den Schultern und ich lasse einfach den Rucksack los, streife mir die Jacke vom Körper und betrete den bunt geschmückten raum. Ich bin verdammt froh, diese Menschen um mich zu haben.

Mom kommt direkt mit einem breiten Grinsen auf mich zu und drückt mich in eine Umarmung. So fest, dass ich kaum noch Luft bekomme.

"Weißt du eigentlich, wie stolz ich auf dich bin, Charlie? Das du diesen Weg für dich gewählt hast. Das du ganz genau weißt, was du willst und wir alle wissen, du wirst es schaffen." flüstert sie mir ins Ohr und streicht mir sanft über den Rücken.

"Danke, Mom. Das habe ich gebraucht." Auch Ethan löst sich von den Beiden, nachdem er die Torte zurecht geschnitten hat und kommt mit einem tiefen Blick in meine Augen auf mich zu, der mir einen warmen Schauer bereitet. Er legt seine Hände an meine Hüfte und drückt mich an sich. Mit meinen Armen um seiner Schulter lasse ich mich auf eine Umarmung ein, die ich am liebsten nie wieder beenden wollen würde. Wäre er doch die acht Stunden voller Unwohlheiten bei mir gewesen und hätte mich umarmt. Dann wäre dieser Tag sicher angenehmer gewesen.

"Ich bin froh, dass du es doch machst." sagt er.
"Was meinst du?"
"Es hat mich viel gekostet, dich von der Firma zu überzeugen und ich bin mir sicher, es wird schwer für dich sein, aber du tust es dennoch. Und darüber bin ich unendlich froh. Ich habe ein gutes Gefühl dabei."

Ich nicht.


Es ist ein, find ich, noch sehr langweiliges Kapitel und ich hoffe, euch nicht abzuschrecken und doch ein wenig unterhalten zu können. Doch das nächste Kapitel wird das erste sein, wo es endlich anfängt, Berg auf zu gehen. Es kommt noch das, was ich euch versprochen habe. Nur Geduld. Der langweilige Bürokram muss einfach abgearbeitet werden :b

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