19. Roundabout

2.5K 161 11
                                    

Fühlt sich das etwa so an? Nachdem man sich einer Person vollkommen hin gegeben hat, liegt man völlig frei von Gedanken, ob gut oder schlecht, einfach nur da, starrt an die Decke und genießt das Kribbeln in der Brust, was nicht zu verschwinden scheint. Mich stört weder der ungemeine Druck in meinen Adern, noch die feuchte Wärme die meinen Körper umhüllt. Ich kann es nicht anders beschreiben als: perfekt. Der Mann, der einem eben noch eine Explosion aus Gefühlen bescherrte, liegt nun schwer keuchend neben dir und fixiert den selben Punkt an der Decke wie du.

"Wow." ist das einzige Wort, was seine nach Luft ringende Stimme freigibt.
"Jep." lache ich und drehe meinen Kopf zu Alex. Schweißperlen zieren seinen noch bebenden, nackten Oberkörper. Seine Haare liegen ihm feucht auf der Stirn und die Decke liegt ungebraucht auf dem Boden. Und er lächelt. Es gibt keinen Moment, in dem er schöner aussah, als jetzt.
Doch ich habe keine Zeit, ihn noch länger zu beobachten, denn sogleich richtet er sich auf, lässt seine Füße aus dem Bett baumen und fährt sich durch das verschwitzte Gesicht, um sich anschießend die Hose vom Boden zu nehmen. Ich halte ihn davon ab, indem ich mich zu ihm bewege und meine Arme um seinen Körper schmiege. Ich fahre mit meinen Händen über seine nackte, noch bebende Brust und küsse sanft sein Ohrläppchen.

"Wenn du so weiter machst, kommen wir nicht pünktlich zur Arbeit." sagt er mit halber Stimme. Als wäre es schwer, es auszusprechen. Wir beide wissen, dass von dem, was eben hier passierte, in der Firma nichts zur Sprache kommen darf. Wir werden so tun müssen, als wäre es nicht passiert, auch wenn wir beide das nicht so richtig akzeptieren wollen.
Am liebsten würde ich den ganzen Tag nur an seiner Brust geschmiegt bei ihm liegen, ihn küssen undzwar die ganze Zeit über. Tag und Nacht.

"Es wird niemandem auffallen, wenn wir zu spät sind." hauche ich an sein Ohr und küsse seinen Nacken. Mit geschlossenen Augen lehnt er seinen Kopf zur Seite und genießt meine Berührungen. Dann jedoch holt ihn die Realität wieder ein und er steht auf, um sich die Hose über zu ziehen.
"Leider doch. Ich bin der Chef dieser Firma und wenn ich zu spät erscheine, macht sich das bemerkbar." Schmollend bleibe ich auf dem Bett sitzen und sehe ihm wortlos dabei zu, wie er seinen Gürtel zu macht. Er bemerkt meinen trüben Blick und beugt sich ein letztes Mal zu mir runter, streicht mit seiner Hand meine Wange und legt seine Stirn an meine.
"Glaub mir, ich würde am liebsten den ganzen Tag bei dir bleiben." versucht er, mich zu beruhigen. Ich genieße den kurzen Augenblick, in dem er seine warmen Lippen auf meine legt und schaue dann weiter dabei zu, wie er sich anzieht.

Es ist genau ein Uhr, als wir wieder die Firma betreten. Umgeben von Männern in Anzügen die sich nichtmal ansatzweise denken können, was grade in mir vorgeht. Noch immer verspüre ich dieses Kribbeln in meiner Brust, wenn ich Alex auch nur ansehe. Und ich glaube, er fühlt das Selbe, nur kann er es besser verbergen. Er hat das selbe Pokerface aufgesetzt, wie jeden Tag, wenn er sich allein der Arbeit widmet. Wir betreten mit Anderen, die grade aus der Cafeteria kommen, den Fahrstuhl. Die Wärme seiner Hand, welche sich direkt neben meiner befindet, sticht mir wie ein Pfeil ins Herz. Wie gern würde ich nach ihr greifen, doch hier geht das nicht und ich frage mich, wie lange ich das aushalten werde, wenn es doch jetzt schon so schwer ist.

Der Tag vergeht so ehlend langsam. Um nicht die ganze Zeit an Alex warme Augen und seine feuchten Küsse zu denken, lenke ich mich mit der Arbeit ab, was vielleicht fünf Minuten funktioniert. Immer wieder holt mich der wohlige Duft seines Körpers ein und verfrachtet mich zurück in die Zeit, in der ich ihn noch bei mir haben konnte. Es kommt mir jetzt schon wie eine Ewigkeit vor, seit wir neben einander lagen. So sehr vermisse ich ihn bereits.

Auch am Abend, als ich wieder in meinem eigenen Bett liege, überkommt mich das Gefühl der Sehnsucht. Mein Bett erscheint auf einmal so riesig und leer und ich frage mich, wie ich je ohne ihn an meiner Seite einschlafen konnte. Auch das Buch in meinen Händen hält mich nicht davon ab, so zu fühlen. Jeder Satz wird drei mal gelesen und auch beim vierten Mal kann ich die Worte nicht entziffern, die dort geschrieben stehen, weil ich die ganze Zeit woanders bin.

Mit einem Seufzen lege ich mein Sachbuch für Wallstreet-Marketing weg und konzentriere mich weiter auf den Punkt an der Decke, den ich mit einem erbärmlichen Versuch, etwas zu lesen, vernachlässigt habe. Grade, im richtigen Moment, klopft es an meiner Tür. Mein erster Gedanke war natürlich: Hoffentlich ist das Alex! Aber das ist wohl mehr als unwahrscheinlich. Der zweite Gedanke war: Hoffentlich ist es nicht Ethan. Zu meinem Glück ist es meine Mutter, die ihren Kopf durch den Türspalt steckt.

"Schatz, mach doch mal die Musik etwas leiser." meckert sie liebevoll und geht ohne Nachfrage auf meine Musikanlage zu, um den Volumen etwas abzudrehen. Ich habe bis dato gar nicht richtig gemerkt, das sie überhaupt an ist.
"Du siehst blass aus, ist alles ok?" fragt sie mich schließlich und kommt auf mich zu mit diesem typischen besorgte-Mutter-Blick.
"Ja, mir geht's gut." lächle ich, als sie ihre Hand auf meine Stirn legt. Sie weiß gar nicht, wie gut.

"Sicher? Ich habe gehört, du und Ethan haben streit." Kurz bleibt mir bei diesem Satz das Herz stehen und ich richte mich im Bett auf.
"Wo hast du das gehört?" frag ich also nach.
"Von Claire. Sie hat eben mit ihm telefoniert." Etwas perplex beiße ich in meine Wangen und nicke sanft.
"Möchtest du drüber reden?" fragt sie mich und lächelt warmhärzig.
"Es ist Nichts. Wir brauchen nur ein wenig Freiraum. Mit meiner Arbeit hat sich viel verändert." Sehr viel. Sie nickt interessiert.
"Na gut, wenn ihr das für die richtige Entscheidung haltet." Nun steht sie auf, um wieder kert zu machen und mich weiter in meiner Trostlosigkeit schmoren zu lassen.
"Ich mache jetzt die Pizza warm. Möchtest du auch was?" fragt sie beim raus gehen. Ich nicke ihr zu und sehe noch, wie sie hinter sich die Tür schließt, bevor ich wieder meinen Gedanken verfalle. Doch bevor es so richtig dazu kommen kann, zücke ich mein Handy und suche dort nach etwas Ablenkung. Beinahe Automatisch gehe ich auf den Chat von Ethan und mir, um die ungelesenen Nachrichten von ihm nachzuholen, und das Erste was mir auffällt ist sein Profilbild. Seit wir zusammen sind, also circa ein Jahr, hatte er immer das selbe Bild über seinem Status. Eines, auf dem wir zu zweit abgebildet sind und uns grade über den Nintendo Ds hermachen. Doch das hat er jetzt nicht mehr drin. An meiner Stelle ist nun Claire mit ein paar weiteren ihrer gemeinsamen Freunde.

Er hat sich meine Worte wohl sehr zu Herzen genommen. Ich beschließe, den Verlauf unserer Nachrichten doch nicht nach zu lesen sondern lasse das Handy rücksichtslos nebens Bett fallen, schließe meine Kopfhörer an der Anlage neben meiner Matratze an und drehe die Rockmusik so laut auf, wie es meine Ohren aushalten können. Und dann schließe ich einfach meine Augen und warte. Ich weiß nicht worauf. Vielleicht darauf, das bald wieder Morgen ist und ich Alex in der Firma wieder sehe. Vielleicht darauf, dass mein Kopf Platz für andere Gedanken macht. Vielleicht darauf, das die Erde implodiert und nichts von all dem relevant ist.
Ich warte einfach.

MODERN AFFAIRWo Geschichten leben. Entdecke jetzt