12. Workmate

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Es ist bereits zehn Uhr. Fingernägel knabbernd sitze ich vor dem Monitor und versuche, meine Arbeit zu machen, doch ich kann mich einfach nicht darauf konzentrieren. Wieder und wieder lese ich den selben Satz, ohne ihn zu verstehen und wenn ich ihn dann doch irgendwann gerafft habe, vergesse ich das gelesene, kaum habe ich einen neuen Satz begonnen. Ich bin den nicht vorhandenen Lohn, den ich bekomme, sowasvon wert.
"Mister Dunn." kurz schrecke ich auf, als ich Misses Jones Stimme höre. Sie nargt an meinen Nerven. Mit an den Seiten gestämmten Händen sieht die Blondiene auf mich ab und durchbort mich mit ihren viel zu großen, blauen Augen. Soetwas sollte eigentlich sympathisch aussehen, doch sie macht es nur noch angsteinflößender.
"Was machen die Dokumente?" fragt sie mich mit einem aufgesetztem Lächeln.
"Ich... arbeite dran." schwindle ich. Erst jetzt fällt mir auf, wie angespannt mein ganzer Körper ist und das ich die ganze Zeit gebückt sitze. Als hätte sie ein Wort darüber verloren, setze ich mich sofort aufrecht hin.
"Ich habe, ehrlich gesagt, gehofft, sie würden ihre Arbeit schon vor dem Meeting erledigt haben. Aber da sie anscheinend nichtmal die Hälfte geschafft haben, muss ich sie leider von dem Meeting ausschließen." sagt sie.
"Machen sie sich an die Arbeit. Gegen Feierabend liegen die Papiere auf meinem Tisch." Direkt nach dem Punkt dreht sie sich schwungvoll um und schnipst in die Hände, um die Aufmerksamkeit aller Mitarbeiter auf sich zu ziehen.
"Jeder, der in den letzten zehn Minuten nicht von mir getadelt wurde, trifft sich nun in dem Konferenzraum. Sofort." Provozierend laut klackern ihre Stöckelschuhe auf dem glatten Boden, als sie auf den Raum zuschreitet und alle anderen, bis auf mich, folgen ihr. Ich erhasche einen letzten Blick von Alexander, der am Türrahmen steht um auch dem Letzten die Tür aufzuhalten. Ein kurzes, mitleidiges Lächeln huscht über seine Lippen, dann schließt er die Tür.

Anscheinend hat es einer nicht geschafft, pünktlich rein zu kommen. Der komische Typ, der anstatt eines Anzuges nur ein Superman-T-Shirt und darüber ein plumpes Jackett trägt, kommt grade durch den Fahrstuhl in den menschenleeren Raum. Überrascht sieht er sich um und erblickt dann mich. Seine Augenbrauen gehen in die Höhe.
"Hat das Meeting schon angefangen?" fragt er und ich nicke zustimmend. Meine Hände liegen die ganze Zeit auf der Tastatur, doch sie bewegen sich nicht.
"Hm, shit. Na egal." sind seine Worte, dann kommt er ohne weiteres zu mir rüber und setzt sich auf den Bürostuhl meines Nachbarn.
"Du bist neu hier, was?" fragt er und wieder ragen seine übermenschlich großen Augenbrauen in die Höhe und er grinst breit. Wieder nicke ich nur, dann reicht er mir die Hand.
"Hi, ich bin Chester. Chester McCall." stellt er sich vor und grade, als ich seine Begrüßung entgegen nehmen will, schlägt er ein und macht ein fist-bump.

"Charlie... Charlie Dunn." äffe ich ihn nach und bekomme dafür ein herzliches Lachen.
"Du bist korrekt, Mann." lacht er und wieder frage ich mich, wie jemand wie er es in die Wallstreet geschafft habe.
"Du siehst jung aus. Gehst du noch zur Schule?" fragt er mich nun. Wieder ein Nicken.
"Ja. Ich mache nach dem Praktikum hier meinen Abschluss." versuche ich die Konversation zu halten doch lieber würde ich mich darauf konzentrieren, meine Arbeit zu tun, so wie Jenna es mir befohlen hat. Bis es schließlich zur Mittagspause klingelt und ich mit Ethan essen gehe. Und vorher muss ich Alexander noch absagen. Und ich hoffe, dass ich das noch hin bekomme, bevor die zwei sich vielleicht über den Weg laufen.

"Cool, cool." nickt er.
"Und du? Du siehst auch nur sehr jung aus." Wieder grinst er. Die ganze Zeit über grinst er. Tut das nicht mitlerweile weh?
"Ich gehe lange nicht mehr zur Schule. Habe vor drei Jahren meinen Abschluss an der Harvard gemacht." meint er und nun bin ich es, der überrascht seine Augenbrauen in die Höhe zieht. Wie kann das sein? Er sieht nicht älter aus als ich.
"Und ...Wie alt warst du da?"
"Sechzehn." Seine Miene ist ernst und ich weiß nicht, ob er mich grade verarscht oder es ernst meint. Da fällt mir ein, das ich ihn schonmal gesehen habe. Im Fernsehen, als er noch jünger war. Auf Ellen Degeneres Couch.
"Du bist dieses Wunderkind aus Manhattan!" posaune ich raus. Stolz darauf, das ich es endlich gerafft habe, klopft er mir auf die Schulter.
"Hättst'e nicht gedacht, was?" lacht er und streicht sich durch sein geeliges Haar. Die Zeit vergeht, in der wir uns unterhalten über das Schulsystem, politische Themen und anschließend über Superhelden. Eigentlich sollte ich mich ja auf meine Arbeit fokussieren, aber sein Allwissen über Spider-Man ist der hammer.
"Eigentlich sollte Mary-Jane ja Gary-Jane heißen, aber da die Erstausgabe in den Sechtzigern heraus kam, ging das nicht. Du weißt ja, weil Schwul - nicht cool, und so." erzählt er. Mit offenem Mund und den Kopf auf den Händen gelegt, starre ich ihn fassungslos an.
"Ernsthaft? Wie würde wohl das Marvel-Universum jetzt aussehen, wenn das geklappt hätte?!" Und jetzt bemerken wir erst, wie spät es schon geworden ist, als sich plötzlich die Bürotür öffnet und alle Mitarbeiter erschöpft gähnend den Konferenzraum verlassen. Meine Armbanduhr zeigt mir Zwölf Uhr an. Zwei verdammte Stunden, in denen ich hätte arbeiten sollen, habe ich mit Chester über Männer in Strumpfhosen geredet. Und Ethan ist bestimmt auch schon auf dem Weg hier her.
"Jay, Essen." Chester klatscht erfreut in die Hände und steht dann aprupt auf, um sich seine Sachen zu nehmen und zum Treppenhaus zu verschwinden, um sich sein Lunch in der Cafeteria abzuholen. Ich bleibe sitzen und lasse meinen Blick durch den voll gewordenen Raum schweifen, auf der Suche nach Alexander. Ich muss ihm mitteilen, dass ich nicht mit ihm Essen gehen kann. Doch anstatt Mister Jones, erblickt mich Misses Jones, die mich direkt ins Visier genommen hat. Tadelnd, mit einem Fragezeichen im Gesicht, sieht sie zwischen meinem Monitor und mir hin und her. Ich nicke und halte den Daumen in die Höhe. Sie muss ja nicht wissen, dass ich nichts gemacht habe. Außerdem kann ich es noch nach dem Mittag fertig stellen.

"Charlie." höre ich Alexander meinen Namen sagen. Etwas erschrocken drehe ich mich im Stuhl um und sehe ihn, wie er auf mich zu kommt mit einem verschmilzten Lächeln.
"Lass uns gehen, bevor Jenna etwas mitkriegt." flüstert er schelmisch.
"Alexander, ich muss leider-"
"Ich kenne ein schönes Diner, nur ein paar Blocks von hier entfernt. Wir müssen nichtmal getrennt hin laufen, weil da alle immer ihre geschäftichen Gespräche abhalten." unterbricht er mich, dann schaut er nochmal prüfend in Jenna's Richtung, die wiederum grade einen anderen Arbeitskollenen zutextet. Als er sich sicher ist, das wir ungesehen sind, greift er mich am Handgelenk und zerrt mich aus meinem Stuhl. Irgendwie finde ich es spannend, hinter ihm her zu laufen und zu versuchen, keinerler Aufmerksamkeit auf uns zu erhaschen. Was sich als schwer heraus stellt, da es der Junior-Chef ist, dem ich hinterher laufe. Auf dem ganzen Weg zum Fahrstuhl und von dort aus in die Lobby, wird er von Menschen begrüßt. Doch irgendwann schaffen wir es und kommen in der großen, hellen Lobby an. Unser Ziel: Der Ausgang. Wagemutig und etwas aufgeregt laufen wir auf die großen Glastüren zu und kaum haben wir es nach draußen geschafft, rutscht mir erneut das Herz in die Hose.
Jetzt fällt mir ein, was ich vergessen hatte.

Ethan steht mit einer Hand in der Hosentasche unten an den Treppen, und hält mit der Anderen einen riesigen Blumenstauß fest. Er hält nach mir Ausschau und als er mich erblickt, grinst er breit und mir bleibt die Luft im Hals stecken. Ohne auf Alexander zu achten, der verwirrt neben mir stehen blieb, laufe ich die paar Stufen zu meinem Freund herunter und lasse Alex kalt. Der blonde Mann in der Lederjacke überreicht mir die Blumen mit einem beschämten Lächeln und den Blick auf den Schuhen. Erst als ich sie annehme, sieht er mir direkt in meine Augen und sein warmes, grelles Blau trifft mich direkt im Herzen. Ich mindere den geringen Abstand zwischen uns und schließe meinen Freund in die Arme. Es fühlt sich gut an, ihn zu sehen. Ihn an mir zu spüren. Kann jedoch über seine Schultern hinweg sehen, wie Alexander ohne ein Wort zu verlieren an uns vorbei läuft. Und die Enttäuschung, die Angespanntheit und der funken Wut, der in ihm herrscht,  ist nich zu übersehen.


Ein kurzer Lückenfüller, um meine Schreibblockade zu bekämpfen. Das nächse Kapitel wird wieder besser :)

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