20. Surprises

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Die zweite Woche bricht an und ich fühle mich, als hätte ich bereits mein ganzes, voriges Leben in dieser Firma verbracht. Am Wochenende traf ich mich mit Chester und seiner Freundin in der Bar und in der Woche erfand ich mehrere Gründe, um allein mit Alexander über belanglose Dinge in seinem Büro zu reden, wie die Menge an Papierverbrauch und die neuen Druckerpatronen, nur um ihn endlich wieder küssen zu können. Es fühlte sich alles so normal an und ich glaube, endlich angekommen zu sein.
Grade schreibe ich meinen Aufsatz zuende, um ihn Alexander anschließend vorzulegen und weitere zehn Minuten an seinen Lippen zu hängen, als er aus seinem Büro schreitet und direkt auf mich zukommt. Hinter ihm laufen Geschäftsmänner in den Konferenzraum und scheinen sich über elementar wichtige Dinge zu unterhalten. Ich sehe zu meinem Chef auf, der mit den Händen in seinen Hosentaschen zu mir herab blickt und kurz verschämt lächelt. Dann fasst er sich und spricht mit monotoner Stimme.
"Mister Dunn, würden sie uns bitte in den Konferenzraum begleiten?" fragt er. Ich nicke selbstverständlich, doch bevor wir uns der Meute anschließen lehnt er sich ganz leicht zu mir vor und flüstert:
"Ich habe eine kleine Überraschung für dich." und grinst. Im Raum angekommen verweist er mich auf den Stuhl, vor dem ein Laptop auf dem großen, runden Tisch liegt. Dann bin ich wohl heute der Protokollist.
Alle finden sich in den Raum ein und nehmen Platz, bis jeder Stuhl besetzt ist und nur Alexander steht am Ende des Raumes und hat Blick auf jeden der hier Anwesenden.
"Guten Tag, die Herren. Einige von ihnen kennen mich bereits, andere nicht. Mein Name ist Alexander Jacob Jones."
Kurz schmunzle ich amüsiert. Wusste nicht, das er auch einen Zweitnamen hat.
"Ich bin der Seniorleiter von Jones Industries seit zweitausendfünfzehn, als mein Vater, Jeffrey Jones, in Rente ging und mir seinen Posten überschrieb. Ich bin damit zuständig für jeden Bereich in dieser Firma, darunter das Finanzministerium, Groß- und Kleinmarkthandel und Dienstleisterbetreuung. Aber das sind nur ein paar Aufzählungen."
Ich schreibe alles mit, was er sagt und auch jeder Andere in diesem Raum hört ihm gespannt bei seinem bereits zehn Minütigen Monolog zu, bis er endlich zu dem kommt, weshalb er mich mit einbezogen hat.
"An diesem Mittwoch schon erwarten uns die Herren und Damen von Pearson Heart's Inc. in Washington D.C., um über ein zukünftiges Zusammenarbeiten zu reden. An dieser Stelle würde ich ihnen gerne die Personen nennen, die mit mir und den Juniorleitern der Firma dort einreisen werden. Darunter sind jewalls zwei Angestellte aus jedem Bereich und einige Praktikanten, die uns bei der Planung und Gestaltung unserer viertägigen Reise unterstützen werden."
Ein wenig erschrocken sehe ich von dem Monitor auf und Alexander direkt an. Für einen kurzen Moment streift mich sein Blick, der mir zu verstehen gibt, das auch ich gemeint bin und mein Herz springt vor Vorfreude in die Luft.

Nur eine Stunde später applaudieren alle Anwesenden zu dem Vortrag und verlassen den großen Raum. Ich bin der Letzte, der noch anwesend ist, weil der Laptop einfach nicht in die ihm angepasste Laptoptasche passen will. Ich ziehe irgendwann genervt den Reißverschluss zu und will grade den Raum verlassen als ich sehe, das Alexander vor der geschlossenen Tür und einer gehobenen Augenbraue darauf wartet, dass ich ihn bemerke. Verlegen muss ich anfangen zu lächeln.
"Nimmst du das Angebot an?" fragt er mich schließlich.
"Begleitest du mich für vier Tage nach D.C. in ein vier Sterne Hoten mit Pool und Sauna?" grinst er schelmisch und kommt mir näher. Ich beiße mir mit erröteten Ohren auf die Zunge. Das klingt wie ein wahr gewordener Traum, wie kann ich da nein sagen?
Euphorisch nicke ich, kann mein Glück kaum fassen. Vorausgesetzt Mutter lässt mich fahren, jedoch sehe ich da keine Schwierigkeiten. Sie würde mich selbst hin fahren wenn das bedeutet, mal raus zu gehen und etwas anderes zu sehen, als Queens New York.
Bevor Alexander die Tür öffnen kann, um mich raus zu lassen, ziehe ich ihn an der Krawatte zu meinem Gesicht und drücke ihm einen Kuss auf die Lippen. Dann verlasse ich den Raum.

Zuhause angekommen werfe ich erst einmal Jackett und Rucksack in den Flur, bevor ich in die kleine Küche spatziere und dort meine kochende Mutter erblicke.
"Spatz, reichst du mir bitte mal das Salz?" fragt sie, ohne sich überhaupt zu mir umzudrehen. Ich greife mir den kleinen Salzspender und drücke ihn in ihre ausgestreckte Hand.
"Danke." sagt sie und lächelt mir kurz zu, während ich mich auf einen der Stühle am Tisch setze.
"Wie war die Arbeit?" fragt sie mich, wie an jeden Abend, wenn wir uns hier eintreffen.
"Ich habe eine Neuigkeit." spreche ich es gleich an. Mutter ist noch weiter damit beschäftigt, die Erbsen zu versalzen, dennoch rede ich weiter.
"Mister Jones hat mich auf eine Geschäftsreise nach D.C. eingeladen. Ich soll da als Protokollist arbeiten." erzähle ich mit freudiger Stimme und erhalte nun ihre Aufmerksamkeit. Mit einem breiten Lächeln sieht sie mich an und lässt für einen kurzen Moment von ihrem Essen ab, um mir in die Wangen zu kneifen.
"Oh, das freut mich Liebling!" Sie drückt mir einen Kuss auf die Stirn und wendet sich dann dem brutzelndem Fleisch zu.
"Wann ist es denn soweit?" fragt sie.
"Am Mittwoch fahren wir für vier Tage. Wir haben ein vier Sterne Hotel am Wasser gebucht und werden jeden Tag schon um sechtzehn Uhr schluss haben und können umsonst ins Spa, und-" Ich will weiter schwärmen, doch das Brüllen meiner Schwester unterbricht mich mitten im Satz.
"Charlie!" ruft sie lautstark und klingt dabei verärgert. Ein mulmiges Gefühl legt sich in meinen Magen. Nur langsam stehe ich auf, um ihrer Stimme zu folgen. Und grade, als sie zum zweiten Mal meinen Namen ruft, öffne ich die Tür zum ihren Zimmer und sofort bleibt mir das Herz stehe, als ich Ethan neben ihr erblicke. Nicht nur seine Anwesenheit erschreckt mich, sondern vor allem seine roten Augen, die blasse Haut und die verdreckten Klamotten. Es ist genau wie damals. Meine Schwester hält den zu Boden blickenden Jungen fest am Ärmel und sieht mich mit glasigen Augen an.

"Schafft euren bescheuerten Streit endlich aus der Welt!" keucht sie mit zusammen gebissenen Zähnen, schubst sich von Ethan weg und verlässt dann stampfend den Raum und schließt hinter uns die Tür ab.
"Und ich mache euch erst wieder auf, wenn wir euch vertragen habt!" ruft sie bevor wir hören, wie sie sich vor die Tür setzt und wahrscheinlich grade ungeduldig an ihren Nägeln herum knabbert, so wie sie es immer tut, wenn sie angespannt ist.
Ich sehe weiterhin auf die geschlossene Tür weil ich mich nicht ganz traue, Ethan anzusehen. Ich fühle mich zurückversetzt in eine Lage, in der ich nie wieder sein wollte. Und doch steht er hier und weiß, das ich es weiß. Er muss es nicht einmal sagen. Ich weiß, das er rückfällig geworden ist. Doch ich will mich dazu nicht äußern. Ich will überhaupt nicht mit ihm reden.

"Werden wir jetzt die ganze Zeit so hier stehen?" fragt er mich mit heiserer Stimme. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Seine Haare haben einen komischen Braunton angenommen und ein neues Tattoo ragt aus seinem T-Shirt hervor. Ich zucke lediglich mit den Achseln.
"Ich weiß nicht. Vielleicht." antworte ich nur. Ethan schließt seine Augenlider, während er einmal tief einatmet und sich auf das Bett meiner Schwester setzt. Er lehnt sich mit den Ellenbogen auf seine Knie und reibt sich die müden Augen.
"Willst du mir gar nicht sagen, wie absolut scheiße es von mir ist, wieder Drogen genommen zu haben?" fragt er.
"Muss ich das wirklich noch sagen?" Ein wenig fassungslos sieht er mich an. Lächelt, als hätte ich ihm etwas vorgeworfen und starrt dann weiter den Boden an.
"Dann sag mir doch wenigstens endlich, was du willst, Charlie."
Ich kann gar nicht in Worte fassen, was das für ein Gefühl ist, was sich bei diesem Satz in mir ausbreitet. Vielleicht ist es angst. Ich habe mich auf dieses Gespräch nicht vorbereitet.
"Was willst du von mir hören?" frage ich schließlich.
"Verlässt du mich, oder nicht?" haut er raus und nimmt mir die Luft zum Atmen.
"Ich weiß es nicht." antworte ich einfach. Ethan atmet schwer durch die Nase und sieht mich mit glasigen Augen an.
"Wer ist er?"
Für einen Moment bleibt mein Herz stehen. Weiß er es? Nein. Nein, er weiß es nicht.
"Es gibt keinen Anderen." lüge ich. Ethan springt auf und kommt auf mich zu, während eine heiße Träne über seine Wange kullert und schließlich von seinem Kinn tropft.
"Warum liebst du mich dann nicht mehr?" Bei den letzten Worten versagt seine Stimme und er muss sich zusammen reißen, nicht zu brüllen oder zu weinen. Sein Anblick bereitet mir einen eiskalten Schauer. Ich blicke nun in seine geröteten Augen und die darunter hängenden, dunklen Augenringe über seiner weißen Haut. Und ich vermisse sein warmes Lächeln, das aus seinen Augen strahlte. Es scheint unvortellbar, das dieses Lächeln je in seinem Gesicht existiert hat.

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