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Die Wunden des Zusammenstoßes mit dem Fahrrad sind bereits verheilt und ich kann wieder schmerzfrei laufen. Es gibt daher auch keinen Grund, weiter zu Hause zu bleiben, also habe ich mich wieder zur Schicht in der Bar einteilen lassen, außerdem brauche ich das Geld. 

Marc fand es zu früh. Er ist der Meinung, mein Knie sollte mindestens noch ein paar Tage ruhen, doch ich finde, über eine Woche reicht völlig aus. Schließlich tut es ja auch nicht mehr weh.

Ich habe Marc auch diese Woche nur einmal gesehen - für eine Stunde. Dann musste er wieder weg. Wir konnten gerade mal zusammen zu Abend essen und dann war ich wieder allein. Ich verstehe nicht, was er immer erledigen muss und von wem er sich so einspannen lässt. 

Es muss ja etwas sein, was ihm wichtig ist. Und ich finde es komisch, dass es immer spät abends oder sogar in der Nacht ist. Wie er das mit der Arbeit hinbekommt ist mir zusätzlich ein Rätsel. Ich würde das keine zwei Wochen aushalten, dann würde ich irgendwann schlafend umfallen.

»Eine Cola? Ist ja gerade nicht viel los«, fragt Nele und stupst mir an die Schulter. 

»Okay, ich komme gleich damit zu dir«, antworte ich im Vorbeigehen und bediene noch schnell zwei Engländer, die lachend auf Ihre Smartphones starren. Ihr Aufenthalt in der Stadt scheint sehr amüsant zu sein.

»Da sehe ich dich mal wieder und du ziehst so ein Gesicht«, sagt sie, als ich mich zu ihr setze und eine Cola vor ihr abstelle. Ich presse meine Lippen aufeinander. 

»Keine Ahnung. Im Moment ist einfach alles komisch. Marc...«

»Ach daher weht der Wind! Wo drückt der Schuh?« Und schon muss ich wieder Schmunzeln. War ja so klar, dass diese Shoppingsüchtige wieder etwas mit ihren Lieblingen - den Schuhen in Verbindung bringt.

»Eigentlich ist alles gut. Nur hat er wenig Zeit oder muss plötzlich weg oder... ach ich hab keine Ahnung. Aber wenn wir zusammen sind, ist er wunderbar«, erkläre ich. Sie zieht anzüglich eine Augenbraue hoch und grinst mich nach vorn gebeugt an. 

»Wunderbar also? Erzähl!« 

»Du wieder! Träum' weiter!«, kichere ich und schlage ihr meine Hand vor die Stirn. 

»Na und was macht er heute?« Da fragt sie mich was. Ich weiß es nicht. Wenn ich ehrlich bin, habe ich von ihm heute noch gar nichts gehört, weswegen ich mein Handy zücke und ihn frage, was er macht. Es dauert nicht lange und ich bekomme die Antwort, die ich erwartet habe - er hat noch zu tun, aber wird bald zu Hause sein. Ich halte Nele die Nachricht vor die Nase. 

»Dann fahr doch nach deiner Schicht zu ihm«, sagt sie trocken und zuckt mit den Achseln. 

Ich war noch nie bei ihm. Ich weiß zwar von Nico, wo er und Sven wohnen, aber es hatte sich bisher nicht ergeben, dass wir bei ihm sind. Die Idee macht mich daher neugierig und ich finde sie immer besser. Daher stehe ich auch drei Stunden später - um halb vier Uhr morgens vor seiner Haustür. Natürlich klingele ich umsonst. Sven ist bei uns und Marc scheint noch nicht da zu sein. Eine ganze Weile stehe ich mir hier die Beine in den Bauch, bis jemand das Haus verlässt und ich durch die Haustür hinein huschen kann. Im zweiten Stock setze ich mich dann auf die Treppe und bewundere die imposante Altbautreppe. 

Das Geländer ist mit aufwendigen Holzschnitzereien und der Belag aus beigefarbenem Sisal. Die Wände sind ebenfalls mit Holz verkleidet und haben spielerische Akzente. Selten habe ich so ein schönes Treppenhaus gesehen und ich vermute, die Mieten hier im Haus sind exorbitant!

Mehrmals spiele ich mit dem Gedanken ihm zu schreiben, ihn zu fragen, wo er ist oder was er macht, aber die Angst er könnte den Braten riechen überwiegt. Schließlich möchte ich ihn überraschen und das will ich nicht gefährden. 

Falsch gedacht! [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt