° 30 °

4K 270 72
                                    

Marc POV

Wir huschen wie Gespenster durch die verlassenen Straßen. Viele begegnen uns nicht. Das ist nicht die Gegend für viel Nachtleben. Ich ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht und halte meine Finger vor meinem Mund, hauche meinen warmen Atem dagegen und reibe sie aneinander. Es ist heute Nacht ganz schön kalt.

Julian ist heute sehr still. Er ist nur Fussel zuliebe mitgekommen. Seit der Nacht, wo Josie etwas genommen hat, haben wir uns kaum gesehen. Eigentlich nur für unsere nächtlichen Streifzüge. Er hält sich zurück und ich kann mir sogar vorstellen, dass er mit uns noch ein wenig umher streunt und dann den Heimweg antritt, denn Lust hat er keine.

»Und? Alles beim Alten?«, fragt er leise neben mir und steckt sich eine Zigarette an, zieht fest an dem Stengel, dass die Glut aufleuchtet. »Mhm, ja«, antworte ich ebenso leise und vergrabe meine Hände tief in den Taschen meines Hoodies.

»Marc, es ist nicht mehr viel Zeit«, fleht er fast und ich weiß, was er will. Aber das kann ich nicht. Und ich will jetzt auch nicht darüber nachdenken oder darüber sprechen, also verschnellere ich meine Schritte und hole zu den anderen Beiden auf.

»Fussel, du solltest weniger trinken, dann klappt das auch mit dem Bomben wieder«, rufe ich, als ich fast auf ihrer Höhe bin und reiße ihm die Flasche Cola/Rum aus der Hand.

»Das ist mir heute egal, Marciboy! Denn heute mach ich einen drauf!«, erwidert er schon leicht lallend und lässt seinen Marker in gewohnter Handbewegung über die Wand fliegen und hinterlässt sein Tag  "FUZL" in geschwungenen Buchstaben.

»Kommt hier rüber, hier ist die Tür offen, vielleicht kommen wir hier aufs Dach«, ruft Bowen aus einer dunklen Ecke und Julian stöhnt genervt auf. »Reicht es nicht, wenn wir uns ne Wall suchen? Muss das jetzt sein?«, nörgelt er und bleibt mit den Händen in den Taschen stehen.

Fussel dreht sich enttäuscht um, greift wieder nach der Flasche und schaut ihn einen Moment an, nimmt einen Schluck, bevor er mir wieder die Flasche vor die Brust haut. »Heute ist mein Geburtstag, wir machen es so wie jedes Jahr. Einmal im Jahr können wir ja wohl machen, wozu ich Lust habe, oder nicht, Prinzessin? Wenn es dir nicht passt, du weißt deinen Weg nach Hause!» «Dann macht euren Scheiß doch alleine, ich hau' ab«, grummelt Julian schnaubend und bekommt von Fussel ein »Und Tschüss!«

»Maaan, Dennis... musste das sein?«, brumme ich genervt und rempele ihn an der Schulter an. »Ach, ist mir egal. Soll er seine Launen haben. Heute gehts mal nicht um ihn«, knurrt er mürrisch. »Seid ihr jetzt mal soweit? Ich warte!«, meckert Bowen halblaut und hält die Tür auf.

Leise huschen wir durch das Treppenhaus ins oberste Stockwerk und haben wirklich Glück, so einen Altbau erwischt zu haben, der einen einfachen Zugang zum Dach hat. Oben angekommen sehen wir uns erst einmal um.

»Die Aussicht ist atemberaubend«, flüstert Fussel und fasst sich gerührt an die Brust. »Eine atemberaubende Aussicht zu deinem Ehrentag«, murmelt Bowen und legt seinen Arm um Fussels Schultern. Dieser erwidert seufzend die Geste und ich mache es beiden von der anderen Seite gleich und so stehen wir einen Moment - jeder in seinen Gedanken versunken auf einem fremden Dach und blicken auf die Lichter der Stadt.

»Hier können wir rüber. Da drüben ist eine gute Wall«, sagt Bowen leise und winkt uns zu sich herüber. Es ist eine kleine Mauer, die zwei Häuser verbindet, welche wir überwinden müssen, um auf das andere Dach zu gelangen.

Das Objekt seiner Begierde ist eine glatte, verputzte Wand, von der man sicher von der Straße aus ein Auge drauf werfen kann. Fussel ist sofort Feuer und Flamme und stürmt eilig auf die Mauer zu. Doch so hektisch wie er ist und so betrunken, kann ich gerade noch seinen Rucksack packen und ihn bremsen.

Falsch gedacht! [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt