59. Sechs Minuten

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„Sienna!"

Mh?

Was ist das? Hat jemand meinen Namen gerufen? Aber was spielt das schon für eine Rolle. Es ist sowieso gleich alles vorbei.

„Sienna."

Wer ruft da immer wieder nach mir? Es nervt.

„Sienna, wenn du jetzt nichts tust, wirst du niemanden mehr beschützen können!"

Beschützen? Wen soll ich denn noch beschützen? Wofür lohnt es sich überhaupt zu kämpfen? Wenn ich ein Vampir werde, gibt es niemanden mehr den ich beschützen kann, denn dann bin ich selbst ein nach Blut lechzendes Monster, nicht weniger als eine Bestie und werde zum Feind, zur Gejagten. Auf einmal tauchen Bilder vor meinem inneren Auge auf. Sumiko, Finn und Jonas. Meine ehemaligen Klassenkameraden, die Keryno aus Lane. Derek. Justin, Dominik, Sam. Meine Eltern. Levi.

„Was ist nur los mit dir?", fragt Dominik stirnrunzelnd, die Hände in die Hüfte gestemmt.

„Wie kannst du so einfach aufgeben und dich von einem Vampir derartig anfassen lassen?", mischt sich Justin ein. Nun taucht auch noch Sam zwischen den Beiden auf.

„Ehrlich mal. Was lässt du dich von seiner Kraft so in den Besitz nehmen? Deine ist genauso stark. Beweg dich endlich und versohl ihm den Arsch!", grinst sie spitzbübisch und die Jungs recken ihren Daumen in die Höhe.

Ein mattes Lächeln legt sich auf meine Lippen.

Oh man, ihr Drei taucht wirklich genau dann auf, wenn ich eure Worte am meisten brauche. Selbst nach eurem Tod seid ihr immer noch für mich da. Ihr seid unglaublich, auch, wenn mein Kopf mir das nur vorspielt.

Nur was soll ich tun? Nialls Aura hält mich zurück – sie ist zu stark für mich. Nein, Moment!

Egal wie groß seine Aura ist, sie sollte nicht meine und somit mein Schwert blockieren können. Ich bin mir sicher, dass er nicht weiß, wie er seine Aura einsetzen kann, geschweige denn, dass er es überhaupt kann.

Dann leuchtet es wie eine Lampe in meinem Kopf auf. Aber natürlich! Seine Schatten sind es, die sich wie ein Schleier über meinen Körper legen und meine Kräfte blockieren. Sie drängen sich meinem Schatten auf und bilden somit eine Hülle. Es gibt nur eine Möglichkeit sie loszuwerden.

Krampfhaft versuche ich meine Hände zu bewegen, doch keine Chance. Ich fühle sie überhaupt nicht. Als wären sie gar nicht da. Mir wird heiß, Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Mir wird plötzlich schlecht und mein Herz rast wie verrückt, hämmert schmerzhaft gegen meine Brust. Ich muss hier weg.

Bewegt euch!

Und tatsächlich. Endlich schaffe ich es, meine Fingerspitzen zu bewegen. Sofort grabe ich meine Fingernägel tief in Nialls Arme.

„Du bist ganz schön erbärmlich."

Er hält inne und entfernt seine Zähne von meinem Hals. „Du lässt andere die ganze Drecksarbeit erledigen und tust kein bisschen selbst etwas dafür, um dein Ziel zu erreichen. Das ist ja so lächerlich, dass ich fast Mitleid mit dir bekomme", fahre ich fort, drehe meinen Kopf zu ihm und schaue ihm geradewegs in die Augen. Wir sind uns so nah, dass ich mich selbst in ihnen spiegeln sehen kann. „Glaubst du wirklich, dass jemand, dessen Leben du zerstört hast, dich wirklich lieben könnte? Wenn ja, dann bist du verdammt dumm."

„Tch. Was weißt du denn schon?!", entgegnet er knurrend, einen Mundwinkel hochgezogen, sodass man seinen spitzen Eckzahn sieht.

„Du machst das bloß, damit du dein eigenes Leid vergessen kannst."

Keryno - Die verborgenen VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt