7. Dunkle Gedanken

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Das Gebäude, in dem sich die Schulräume und Zimmer der Schüler befinden, setzt sich im Grunde genommen aus zwei gleichgroßen Gebäuden zusammen, die durch vier lange Brücken verbunden werden. Über ihnen thront ein gewaltiges, flaches Glasdach, um die oberen Flure vor Nässe zu schützen.

Damit man in das Gebäude gelangt, muss man unter ein Vordach hindurch, das genauso breit wie die Brücken ist und von weißen Säulen gestützt wird. Passiert man die breite Glastür, gelangt man unmittelbar in die gigantische Eingangshalle, in der sich etliche Sitzmöglichkeiten und Pflanzen befinden.

Ob einfache Kübel, denen die schönsten und buntesten Blumen beiwohnen, Zimmerbäumchen wie Drachenbäume oder Blumenampeln, die von der hohen Decke oder an den Wänden hängen. Sie alle verleihen der Eingangshalle ein gemütliches, wintergartenähnliches Flair und laden geradezu dazu ein, es sich auf einem der Sessel oder Sofas bequem zu machen und die Seele baumeln zu lassen.

Nur welche Seele soll ich baumeln lassen? Mir kommt es so vor, als wäre meine Seele mit Sam, Justin und Dominik gestorben. Augenblicklich holen mich die Bilder von jenem Tag ein. Tausende Messer werden in mein Herz gerammt, Tränen treten mir in die Augen und ein fetter Kloß macht sich in meinem Hals breit.

Ich presse mir eine Hand auf den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen und flüchte die Treppen hoch. Ehe ich mich versehe, finde ich mich auf der obersten Brücke wieder.

Von hier aus kann man Lane relativ gut sehen. Die Stadt, in der meine Freunde ermordet wurden... Und schon droht mein Herz in tausende Splitter zu zerspringen.

Hatte ich mir nicht vorgenommen, sie vorerst in den Tiefen meines Hirns wegzusperren? Wieso gleiten meine Gedanken immer wieder zu ihnen, egal wie sehr ich mich abzulenken versuche?

Ich weiß, es zeigt nur, wie sehr ich sie geliebt habe, aber...

Geliebt?

Urplötzlich schweifen meine Gedanken zu meinen Eltern. Ich werde wohl nie wieder die Liebe meiner Eltern zu spüren bekommen. Diese Wärme, die ich bei Umarmungen von Mama verspürt habe und beinahe jegliche Sorgen vertreiben konnte. Ihre Trost spendenden Worte, die Welt gleich besser wirken ließen. Das Herumgealbere meines Papas und seine weisen Aufmunterungssprüche.

Wie müssen sie sich wohl fühlen, wenn ihr eigen Fleisch und Blut, ihre einzige Tochter spurlos verschwunden ist? Was müssen sie sich wohl für Sorgen machen? Tut mir leid, Mama, Papa. Es tut mir leid, dass ich euch das antue.

Was ist mit Derek? Dabei hatte er mich letztens sogar erst noch gewarnt, dass ich aufpassen solle.

Bisher ist mir nie etwas Schlimmes im Leben wiederfahren, ich hatte immer ein glückliches Leben. Sicher, es gab auch unschöne Zeiten, aber die waren nur von kurzer Dauer und nicht gravierend. Zum Beispiel das Problem, es nicht zu schaffen, nicht den gesamten Lernstoff bis zur Klausur zu lernen, weil so viele andere Tests anstanden. Meine Familie war auf ihre eigene Weise perfekt und ich hatte meine anderen beiden Familien, nämlich meine besten Freunde und meine Klasse.

Nun habe ich nichts mehr.

Der Kloß in meinem Hals droht mir den Atem zu rauben. Immer mehr Tränen stauen sich in meinen Augen an, wenn ich daran denke, dass ich Derek, meine Eltern und vor allem Sam, Justin und Dominik nie wieder sehen werde. Nie wieder.

Mein Herz wird von innen heraus zerrissen, meine Atmung zunehmend schneller. Zittrig einatmend lege ich beide Hände auf das Geländer und schaue in die Tiefe.

Ich halte diesen Schmerz nicht mehr aus. Wird er überhaupt jemals vergehen? Ich ertrage das nicht mehr. Die Tränen verschleiern mir die Sicht. Es fühlt sich an, als würde man mir das Herz bei lebendigem Leibe aus der Brust reißen.

Keryno - Die verborgenen VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt