Keryno - Die verborgenen Vampire

51. Vermutungen und Training

„Wie bitte?", rufe ich entgeistert und springe auf. „Ich dachte, alle Keryno könnten Auren anderer sehen und da ich so viel mit euch und der Magie in Kontakt gekommen bin, dachte ich, es wäre normal, dass ich das jetzt auch kann."

Alle schütteln langsam den Kopf, während ich bloß fassungslos auf meine Hände starre. Wie kann das sein? Ich habe die ganze Zeit über geglaubt, das wäre normal! Aber das erklärt einige Dinge, zum Beispiel warum ich manchmal wusste wo Vampire sind.

Was hat das zu bedeuten?

Bin ich vielleicht in Wirklichkeit noch ein Vampir? Pah, das wäre ja echt die Krönung.

„Ich versteh's nicht", reißt Jonas an. „Du kannst Auren sehen, was eigentlich für kein einziges Wesen möglich ist, deine eigene ist so mächtig, dass sie jeder sehen kann und man sogar in die Knie gezwungen wird, obwohl du angeblich keine Magie nutzen kannst, deine Augen wurden gold-"

„Bitte was?!", kreische ich. „Meine Augen waren golden?!" Wollen mich hier eigentlich alle irgendwie auf den Arm nehmen? „Das könnt ihr nicht ernst meinen!"

„Sienna, beruhige dich bitte", warnt mich Levi in ruhigem Ton und mit eindringlichem Blick.

Sofort setze ich mich wieder hin und versuche mich nicht zu rühren. Was, wenn ich jetzt wieder außer Kontrolle gerate?

Meine Augen fliegen hin und her.

„Aber das kann doch nicht sein! Was stimmt denn bitte nicht mit mir? Was ist falsch an mir, dass ich nicht einmal mehr ein bisschen ausrasten darf, ohne, dass meine Aura gleich meint alles zerstören zu wollen? Ich verstehe das alles nicht. Das sollte doch gar nicht möglich sein!"

Zum Schluss wird meine Stimme immer leiser und kraftloser. Meine Finger krallen sich in meinen Rock. „Ich weiß doch nicht mal, warum ich das überhaupt kann und wieso sich meine Augen verfärbt haben, verdammt. Niemand weiß wozu diese Aura, wozu ich fähig bin."

Ich muss lernen, sie zu kontrollieren – so schnell wie möglich, bevor noch ein riesiges Unglück geschieht. Nur wie soll ich das schaffen, wenn ich nicht einmal weiß, wieso ich sie überhaupt besitze?

Der Sturm, der sich in meinem Inneren zusammenbraut, wird immer größer und das kleine Stückchen Dunkelheit breitet sich zunehmend aus.

Levi verschränkt seine Finger und stützt sein Kinn auf sie, während er mich mit einem nachdenklichen Blick anschaut. „Deine Aura hat sich dann bemerkbar gemacht, als dein Leben in großer Gefahr stand und deine Gefühle an einem Tiefpunkt angelangt sind. Höchstwahrscheinlich steht sie auch im Zusammenhang mit deinem Schwert, denn sie haben dasselbe Schimmern. Vermutlich ist es ein Teil deiner Aura und hat sich damals, als dein Schwert das erste Mal aufgetaucht ist, aus ihr formatiert."

„Ich nehme mal an, dass deine Eltern nichts mit Magie zu tun haben?", wirft Finn mit gehobener Augenbraue dazwischen. Ich schüttle verneinend den Kopf.

„Sie sind ganz normale Menschen. Okay, das dachte ich bei mir auch, aber bei ihnen ist das zu hundert Prozent ausgeschlossen. Sie haben sich nie verhalten, als würden sie mir etwas verheimlichen. Es sind auch nicht wie in Fantasy-Büchern irgendwelche fremden Typen aufgetaucht, wir haben keine merkwürdigen Zettel bekommen und ich habe sie nie über sowas heimlich reden hören. Im Gegenteil, sie waren wie ich totale Magie-Fanatiker. Würden sie magische Fähigkeiten haben, hätten sie doch bestimmt versucht das Thema unter den Teppich zu kehren und hätten nicht so offen mit mir immer drüber geredet. Adoptiert bin ich auch nicht, denn ich bin vor allem meiner Mama wie aus dem Gesicht geschnitten und manche Dinge habe ich zweifelsfrei von meinem Papa."

Einige Sekunden herrscht Stille, und ich folge den am Fenster herunterlaufenden Regentropfen, die sich ein erbittertes Rennen liefern. Plötzlich kommt mir eine Idee auf.