1. In den Verstand fest eingraviert und mit dem Herz fotografiert

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Stefan wachte mitten in der Nacht von einem leisen Schmatzen auf. Als er langsam seine Augen öffnete und diese sich an die Dunkelheit, die nur durch das kleine Nachtlicht erhellt wurde, im Schlafzimmer gewöhnte, erblickte er direkt die Geräuschquelle.
Karin saß gegen die Stirnseite des Bettes gelehnt und hatte Frida in ihrem linken Ellenbogen an ihrer Brust zum Stillen platziert. Stefan hatte einen direkten Blick auf die trinkende Frida, die ihre Äuglein lediglich leicht geöffnet hatte und ihr linkes Händchen immer wieder an der Brust ihrer Mama öffnete und schloss.
Durch seine leichten Bewegungen bemerkte Karin, dass er ebenfalls aufgewacht war. Stefan setzte sich neben ihr auf und gab ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe.
„Da habe ich wohl die erste Raubtierfütterung verpasst."
„Stimmt und die Zweite auch fast. Wir sind gleich fertig."
Karin ließ erschöpft ihren Kopf auf seine Schulter sinken und Stefan legte den Zeigefinger seiner rechten Hand in Fridas geöffnete, die sofort fest zupackte. Die drei genossen die Stille, die lediglich durch die leisen Trinkgeräusche von Frida unterbrochen wurde.
„Dann gib mir mal unseren kleinen Vielfraß", er legte sich ein Spucktuch über die rechte Schulter und übernahm Frida, die er mit ihrem Bauch gegen seinen nackten Oberkörper und mit ihrem Mund gegen das rosa Tuch platzierte. Dabei hielt er sie mit seinem rechten Arm fest.
Karin hatte in der Zwischenzeit das Stillkissen auf den Boden sinken lassen und sich wieder tief in ihr Kissen gekuschelt ohne dabei Stefan und Frida aus den Augen zu lassen. Stefans linke Hand vergrub sich in ihren Haaren und er begann leicht Karins Kopf zu massieren, wobei ihre Augen immer kleiner wurden.
„Ich kümmere mich gleich um eine neue Windel, dann kannst du schon weiter schlafen."
Von Karin kam nur ein schlaftrunkenes „Danke" und auf Stefans Gesicht breitete sich das typische Vollmerlächeln aus, bei dem Gedanken daran, dass er seine beiden Frauen so nah bei sich hatte.

Karin wurde von Stefans Wecker unsanft aus dem Schlaf gerissen. Nachdem dieser nach wenigen Sekunden nicht ausgeschaltet wurde, öffnete sie langsam ihre Augen. Ein Gefühl von Panik überkam sie, als sie direkt auf das leere Babybettchen neben sich sah und sie saß nur Sekunden später aufrecht im Bett und ihr Puls schnellte in die Höhe. Sie blickte sich aufgeregt und besorgt im Schlafzimmer um. Dabei entdeckte sie, dass Stefan ebenfalls nicht da war und sofort begann sie sich ein wenig zu beruhigen.
Sie lies den Wecker verstummen und suchte noch immer etwas schläfrig nach ihren gepunkteten Kuschelsocken, die sie über ihre nackten Füße zog. Leise und vorsichtig öffnete sie in ihren Schlafsachen, einer bequemen Jogginghose und einem Shirt von Stefan, die Schlafzimmertür.
Auf dem Sofa lag Stefan schlafend auf dem Rücken und Frida auf seinem nackten Oberkörper, die auf ihrem Bauch lag und ihren Kopf zur Seite gedreht hatte, sodass Karin ihr schlafendes Gesicht beobachten konnte. Ihr rosa Schnuller mit dem kleinen Äffchen und dem filigranen Schriftzug Frida, bewegte sich bei jeder Bewegung leicht zwischen ihren Lippen. Ihre feinen Haare kräuselten sich leicht in ihrem Nacken und der zierliche Körper wirkte auf Stefans muskulösem Oberkörper leicht verloren, jedoch wurde sie sicher von ihm festgehalten. Er hatte ihre kleine gepunktete Decke über ihren Körper gezogen, sodass nur ihr Kopf, ihre Ärmchen, die sie nach oben neben ihr Köpfchen gelegt hatte, und ihre vom weißen Strampler bedeckten Füßchen zu sehen waren. Ein Anblick, der sich für immer in Karins Erinnerung einbrannte.
Leise tapste Karin die wenigen Meter zum Sofa und kniete sich neben Stefans Kopf. Sie ließ ihre Fingerspitzen von seinem Oberarm liebevoll über seine Schulter zu seiner Wange wandern und streichelte ihm dort behutsam über den Drei-Tage-Bart. Allmählich öffneten sich seine müden Augen und er drehte seinen Kopf, sodass die beiden sich anschauen konnten. Immer darauf bedacht, die wertvolle Fracht auf seinem Bauch nicht zu wecken.
Zwischen seinen Lippen kam nur ein zartes, raues „Morgen" hervor und er lächelte sie an. Ohne etwas zu sagen, legten sich ihre Lippen auf seine und sie küssten sich sanft.

Klein Frida machte ihr Schläfchen wohlbehütet in ihrem Tragetuch vor Karins Oberkörper und lies sich von nichts aus der Ruhe bringen, während Karin an der Spüle stand. Sie beseitigte die letzten Reste des Frühstücks und summte leise zur Musik im Radio bis sich zwei starke Arme von hinten um ihren Körper schlangen und sich die Hände beschützend auf Frida legten. Karin trocknete ihre Hände und legte diese auf Stefans ab, um ihre Finger miteinander zu verbinden. Sie lehnte sich nach hinten und Stefan verfestigte den Griff um die beiden, während sie still, bis auf die leise Musik des Radios im Hintergrund, die Nähe und Geborgenheit des Anderen genossen und sich Stefans Kinn auf Karins rechter Schulter ablegte.
Irgendwann flüsterte er leise in Karins Ohr: „Am liebsten würde ich einfach hier bei euch bleiben."
Karin drehte sich in seinen Armen und legte ihre in seinen Nacken, während seine Hände an ihre Taille wanderten.
„Sei froh, heute ist schließlich Freitag, nach unserem Banktermin heute Nachmittag wegen der Finanzierung unseres Hauses haben wir ganz viel Zeit für uns drei. Du nimmst am besten direkt den Maxi-Cosi mit und dann holen wir dich heute Mittag zu Fuß ab und wir können gemeinsam fahren."
„Stimmt, noch zwei Stunden Chemie bei meinen Pappnasen, eine Stunde Deutsch im Leistungskurs, ein bisschen Sport und schon ist Wochenende. Ganz viel Zeit für dich und für den kleinen Sonnenschein hier."
Stefan schob das Tuch zur Seite und schaute in das zarte Gesicht der schlummernden Frida. Sie hatte ihre Wange entspannt gegen Karins Brust gelegt und ihr linker Daumen verschwand in ihrem Mund. Stefan konnte sich ein Leben ohne die Kleine gar nicht mehr vorstellen, obwohl sie erst seit drei Wochen bei ihnen auf der Welt war. Die großen, blauen Augen mit ihren feinen Wimpern, die kleine Stupsnase, ihre schmalen, zarten Lippen, das kleine Gesicht mit den rosa Wangen, den kleinen Öhrchen, ihre winzigen Füße und Hände mit den zehn perfekten Zehen und Fingerchen und wenn sich ihr Mund im Schlaf unbewusst zu einem feinen Lächeln verzog.
Was würde er nur machen, wenn er am Ende nicht der leibliche Vater sein würde? Wenn er am Ende nicht der Mann ist, zu dem sie aufblicken und ihn Papa nennen würde? Sie rechneten im Moment jeden Tag mit dem Brief, der ihnen das Ergebnis mitteilen würde und immer wenn er daran dachte, spürte er, wie sein Herz schneller schlug und er nervös wurde. Schnell schob er diese Gedanken zur Seite und verlor sich in der Betrachtung des kleinen Mädchens, das ihn direkt in den ersten Sekunden ihrer Begegnung um den kleinen Finger gewickelt hatte.
Karin verzog ihr Gesicht und begann zu drucksen: „Naja, nicht ganz. Am Sonntag kommen Mama und Günther zum Kaffee vorbei. Aber für ein paar Stunden wirst du unsere Tochter wohl mit den beiden teilen können."
„Du meinst deine Tochter", erwiderte Stefan ohne seinen Kopf zu heben und seinen Blick von der schlafenden Frida abzuwenden.
„Stop, Vollmer", Karin war unbeabsichtigt laut geworden und vergewisserte sich nun, dass Frida in ihrem Tuch nicht aufgewacht war. Der kleine Zwerg schlummerte friedlich weiter und Karin legte ihre rechte Hand auf Stefans Wange, um seinen Kopf zu heben und ihn dazu zu bringen, dass er ihrem Blick nicht ausweichen konnte.
„Du weist ganz genau, auch wenn am Ende der Vaterschaftstest zeigt, dass Michael ihr biologischer Vater ist und ich ihm dann natürlich sein Umgangsrecht nicht verwehren kann und möchte, bist du der Mann an meiner Seite und somit auch an Fridas. Aus diesem Grund wirst du auch der Mann sein, der sie nachts nach Alpträumen tröstet, die Monster unter ihrem Bett vertreibt, ihr Gute-Nacht-Geschichten vorliest, später voller Sorge zu Hause sitzt, bis sie wieder sicher vom Feiern zu Hause ist, mit ihr über Hausaufgaben streitet und ihren Verehrern mit deinem Auftreten Angst einflößt, weil du nicht möchtest, dass deinem kleinen Mädchen etwas böses geschieht."
Bei dem letzten Teil musste Stefan grinsen und legte seinen rechten Zeigefinger auf seine Lippen: „Sag das nicht. Sie ist noch viel zu klein, als dass wir uns jetzt schon Gedanken über die ferne Zukunft machen müssen."
Karin stimmte ihm mit einem Nicken zu. Langsam bewegte er sein Gesicht auf sie zu und seine Lippen legten sich auf ihre. Erst dann schlossen sie ihre Augen und gaben sich einem langsamen, leidenschaftlichen Kuss hin.

Er ließ seine Brotdose, die Karin ihm fertig gemacht hatte, in seine braune Umhängetasche, die auf dem Küchenstuhl stand, sinken und nahm seine Lederjacke vom Kleiderhaken, um in diese hineinzuschlüpfen. Danach griff er nach seiner Tasche und dem Maxi-Cosi auf dem Tisch und verschwand aus der Haustür. Noch bevor diese hinter ihm zufallen konnte, wurde die Tür wieder geöffnet und Stefan steckte nochmal seinen Oberkörper hindurch.
Mit seinem Vollmerlächeln auf den Lippen verabschiedete er die beiden: „Wir sehen uns heute Mittag. Passt auf euch auf."
Karin blieb mit Frida und einem glücklichem Grinsen im Gesicht zurück.

Ein perfekter Moment, den möchte man am liebsten einfrierenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt