Erst als ich vor meiner Haustür stand, und den Schlüssel gezückt hatte, beschlichen mich Bedenken. Was sollte ich meinen Eltern nur erzählen, wo ich nun schon viel zu früh nach Hause kam? Bauchschmerzen? Ich verzog das Gesicht, aber mir viel nichts Besseres ein. Und außerdem würde es ihnen auch nicht schaden, wenn ich log, also war es moralisch fast in Ordnung ...
Mit finsterer Miene, und einem verkrampften Magen, sodass die Bauchschmerzen fast schon echt waren, betrat ich die Wohnung, und wäre fast über einen Koffer gestolpert. Fluchend schloss ich die Tür, und hüpfte über die Koffer hinweg zu meinem Zimmer, wo ich meinen Schulranzen abstellte, und die Jacke in eine Ecke warf.
„Ach da bist du ja, Ria! Gut dass du kommst, wir packen schon. Vielleicht solltest du auch mal packen! Ich meine, für deine Klassenfahrt! Ach, ich weiß gar nicht, ob die Zeit überhaupt reicht!“, rief meine Mutter aus dem Schlafzimmer. Als ich mich vorsichtig aus meinem Raum hinauswagte, sah ich, wie mein Vater gerade einen großen Koffer rumpelnd über die anderen schon herumstehenden zog, und neben der Eingangstür fallen ließ, wobei das riesige Ding ein knirschendes Geräusch von sich gab.
„Was hast du denn da drin?“, fragte ich mit hochgezogener Augenbraue. Mir viel es schwer, meine Freude zu überspielen, da niemand bemerkt zu haben schien, dass ich zu früh dran war.
„Hm, ein paar Werkzeuge und so“, entgegnete er, und lehnte sich an die Wand, um nach Atem zu ringen.
„Ich rate dir: Wenn dir dein Leben lieb ist, betrete nicht das Schlafzimmer!“, riet er mir mit tragischer Miene.
„Was ist denn da?“, fragte ich nun wirklich neugierig geworden. Ein schreckliches Husten meiner Mutter antwortete mir.
„Es ist staubig“, meinte mein Vater schlicht, und richtete sich wieder auf. „War ja auch nichts anderes zu erwarten“, fügte er leise hinzu.
„Sorry, hab wohl vergessen, sauber zu machen.“ Ich lächelte entschuldigend und ging in mein Zimmer, um meine eigenen Sachen für die Klassenfahrt zu packen.
„Das musst du auch nicht!“, rief mein Vater über ein erneutes Rumpeln hinter mir her. „Du hast schließlich schon genug zu tun!“
Da ich ja nun, nachdem meine Mutter mit mir einkaufen gegangen war, jede Menge neue Sachen hatte, hatte ich nicht zu befürchten, zu wenig dabei zu haben. Mein Problem war eher (wie immer) den Koffer zuzukriegen. Meine Eltern sagten, dass liege einfach daran, dass ich eine ausgeprägte Tendenz dazu hatte, meinen ganzen Kleiderschrank einzupacken, was ich empörend fand (schließlich war das nicht der Fall, ein paar löchrige Socken blieben immer zurück), und außerdem sorgte ich nur für Notfälle vor. Außer Kleidung kamen noch ein Buch und mein Kissen dazu, und außer dem üblichen wie Zahnbürste stopfte ich noch eine Taschenlampe an den äußersten Rand, und zwängte dann unter größter Anstrengung noch ein paar Konservenbüchsen (selbstverständlich leere – die kann man extrem vielseitig benutzen, mal als Alarmanlage, und mal, um den Feind zu Fall zu bringen), hinzu. Dann verstaute ich meinen Koffer unter meinem Bett, ließ mich auf dasselbe fallen, und lauschte meinen Eltern, die wohl gerade den Geräuschen nach zu urteilen, das ganze Haus auf den Kopf stellten.
Selbstverständlich konnte ich mich nicht krank stellen, um nicht in die Schule zu müssen, nicht, wo ich doch gestern noch so gut davongekommen war. Da wollte ich mir alle unnötigen Lügen lieber ersparen, und es war bestimmt das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir wünschte, meine Eltern wären nicht da, und ich könnte einfach hier bleiben, und mir einen schönen Tag machen. Aber daraus würde wohl nichts werden, und so musste ich in die Schule gehen, und mich dort der Gefahr aussetzen, die Kette wirklich zu verlieren. Denn das war ja gerade der Punkt: Ich wollte sie auf keinen Fall Zuhause lassen – inzwischen zog ich sie nur noch nachts aus, und ohne sie fühlte ich mich seltsam leer.
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Schimmernd wie Pyrit
RomanceIch war eigentlich immer sehr zufrieden damit, diesen Bandenschwachsinn, der ein paar meiner Mitschüler wie ein Virus befallen zu haben schien, nur von Weitem zu belächeln, bis ich anfing, meine Nase in ihre Angelegenheiten zu stecken und mich prom...