Zum Glück, dachte ich mir, kaum, dass ich am nächsten Morgen aus dem Bett gehüpft war, fahren wir heute schon auf Klassenfahrt. Aber was hieß „zum Glück“? Wäre morgen ein normaler Schultag gewesen, ich hätte endgültig eingesehen, dass ich die Kette nicht mehr tragen konnte. Aber so war das etwas anderes – ganze vier Tage ohne die Kette, waren wie Gift für mich. Sie war für mich so etwas wie ein Glücksbringer, ohne sie fühlte ich mich leer. Und außerdem, versuchte ich mir einzureden, werden alle auf der Klassenfahrt mit anderen Dingen beschäftigt sein. Ganz bestimmt!
Manche mögen mich deshalb für dumm erachten, und vielleicht haben sie recht. Denn die vielen Male, die ich ungeschoren davongekommen war, ließen mich unvorsichtig werden. Trotzdem – hätte ich die Kette Zuhause gelassen, wäre ich wohl keine Sekunde zur Ruhe gekommen, in ständiger Angst, sie könne verschwinden, obwohl nicht einer der Jungs dortblieb.
Doch ich blieb nicht völlig untätig. Um den Eindruck zu erwecken, die Kette zu Hause gelassen zu haben, trug ich mal wieder ein Sweatshirt mit extra langen Ärmeln – solche und Pullover mit hohem Kragen hatte ich mir jede Menge eingepackt – und hatte die Kette ums Handgelenk gebunden. Es war wirklich nicht heiß, sodass es mich eigentlich nicht störte, dafür aber war es schwer genug, mein Gepäck überhaupt bis zur Wohnungstür zu bekommen, und so keuchte ich heftig, als ich auf die Straße trat.
„Viel Spaß!“, rief meine Mutter mir nur noch hinterher. Von meinem Vater hatte ich mich bereits verabschiedet, der war nun wieder im Haus und packte die letzten Sachen für ihre Reise, schließlich mussten auch sie heute los, nur eben nach Ägypten.
Als ich keuchend und schnaufend den Bahnhof erreichte, wünschte ich mir ein luftiges T-Shirt herbei, im Gegensatz zu den Anderen, die anscheinend sogar froren. Aber sie waren ja auch von ihren Eltern mit dem Auto gebracht worden.
Die Klasse sammelte sich vor dem Bahngebäude, oder wie mir auffiel: unsere beiden Klassen. Das besserte meine Laune natürlich nicht im geringsten und auch Ronjas Gruppe, die schon vollständig war, sah so aus, als hätte sie sich das alles ein bisschen anders vorgestellt. Selbst Cindy, die sonst keine Gelegenheit verstreichen ließ, in Nus Nähe zu sein, sah nicht sonderlich begeistert aus.
„Also, eine ruhige, erholsame Klassenfahrt können wir jetzt auf jeden Fall vergessen!“, grummelte Ronja. Aber ansonsten wurde nicht viel gesprochen, und sogar Thea sah leicht schockiert drein, als sie eintraf.
„Ich wusste ja gar nicht, dass die Parallelklasse auch mitfährt!“, sagte sie leise zu mir. „Das gibt bestimmt wieder Ärger!“
„Worauf du wetten kannst!“, entgegnete ich, und schüttelte den Ärmel überflüssigerweise noch ein Stückchen weiter über die Kette. Leicht schwankte der Pyrit hin und her, und für einen kurzen Moment glaubte ich, die Kette würde abrutschen. Denn der Edelstein fühlte sich genauso kalt an wie das Metall.
„Meine Güte“, murmelte ich mehr zu mir selbst. „Wie hat Ronja es nur geschafft, nicht zu wissen, dass beide Klassen fahren? Wo doch fast ihre halbe Gruppe in der Parallelklasse ist! Und jetzt ziehen sie auch noch ein Drama ab, wegen ihrer erholsamen Klassenfahrt! Und alles nur wegen der Kette, unglaublich …“
Was ist bloß so wertvoll an der Kette, sie ist ja nicht mal so übermäßig schön, nur Silber, selbst der Edelstein hat die gleiche Farbe, nicht mal bunt, überlegte ich, und seufzte kaum merklich. Für mich war die Kette schön, doch sie hatte keinen materiellen Wert. Ich konnte einfach nicht verstehen, was sie für die beiden Gruppen so wichtig machte.
Ich musste auf der Zugfahrt eingeschlafen sein, denn ich erwachte, als wir gerade rauschend durch einen Tunnel fuhren. In der Dunkelheit konnte ich zwar nichts sehen, aber ich spürte nur allzu gut, wie zwei Hände mein Handgelenk abtasteten. Gerade noch rechtzeitig riss ich meine Hand weg, und hoffte, noch halb schlafend, dass die Person die Kette noch nicht gespürt hatte. Wieder griff jemand blitzschnell nach meiner linken Hand und vernichtete so meine geringe Hoffnung. Verflucht, warum war ich bloß …
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Schimmernd wie Pyrit
RomanceIch war eigentlich immer sehr zufrieden damit, diesen Bandenschwachsinn, der ein paar meiner Mitschüler wie ein Virus befallen zu haben schien, nur von Weitem zu belächeln, bis ich anfing, meine Nase in ihre Angelegenheiten zu stecken und mich prom...