Kapitel 20

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„Kannst du mir noch mal die Kette zeigen?“, fragte ich Thea. Ich saß auf ihrem Bett, und machte gerade noch meine Hausaufgabe in Deutsch zuende. Thea war schon fertig, und stopfte nun ihre Hefte in ihren Schulrucksack zurück. Erstaunt hob sie den Kopf. „Jetzt also doch?“ Mit leicht hochgezogenen Augenbrauen stand sie auf, und kramte in einer überfüllten Schublade, bis sie die Kette unter all dem Gerümpel gefunden hatte.

„Hier!“ Sie warf sie zu mir hinüber, und ich fing sie etwas ungeschickt auf. „Willst du sie jetzt doch wieder mitnehmen?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich will mich erst gar nicht in Versuchung führen, sie wieder zu tragen. Was meinst du, was Ronja mit mir anstellt, wenn ich sie jetzt noch verliere? Und die Anderen erst? Nein ... ich wollte sie mir nur noch mal angucken, jetzt, wo ich sie schon so bald weggeben muss ...“

„Sag mal, wem gehört sie eigentlich?“, wollte Thea plötzlich wissen. Erstaunt hob ich den Kopf.

„Wem sie gehört? Den Jungen natürlich!“, meinte ich mit leicht verwunderter, leiser Stimme. Meine Gedanken drifteten wieder ab ...

„Das ist mir schon klar ... Ich meinte, wem von denen?“

„Ach, keine Ahnung. Ist doch auch nicht so wichtig, oder?“

„Eigentlich nicht“, stimmte Thea mir zu, und beobachtete mich, wie ich die Kette um meine Finger wickelte.

„Hast du eigentlich schon mal darüber nachgedacht, Ronja zu fragen, ob du mit in ihre Bande, Gruppe, oder was weiß ich, darfst?“, fragte mich Thea schließlich, nachdem ich ihr die Kette zurückgegeben hatte.

„Oh, ja, aber ich glaube nicht, dass das das Richtige für mich wäre.“ Erstaunt blickte ich sie an. „Wieso?“

„Ach nur so.“ Sie zuckte mit den Schultern und stand auf. „Komm, lass uns was machen, es hält ja kein Mensch aus, hier nur rumzusitzen!“

Es gab Tage, die verstrichen so schnell, dass ich mich fragte, wo all die Zeit geblieben war.

Dienstag war so ein Tag gewesen, ich konnte mich kaum erinnern, was ich an diesem Tag gemacht hatte. Ich hätte wohl etwas feiern, und den letzten glücklichen Tag in meinem Leben genießen sollen ... Denn in Zukunft würde es wohl keinen glücklichen Tag mehr in meinem Leben geben. Zumindest dachte ich das, als ich verzweifelt über der Mathearbeit hing, und von Grauen erfasst auf die garantiert falschen Rechnungen auf meinem Blatt starrte. Zugegeben, ich hatte das Thema nicht so recht verstanden und kein bisschen gelernt. Tja, die Arbeit hatte ich eben vollkommen vergessen gehabt, warum mussten die Lehrer auch in der letzten Woche vor den Ferien schreiben lassen?

Missmutig verfluchte ich die Arbeit. Mir bleibt wohl keine andere Wahl!, dachte ich grimmig, und lehnte mich entspannt auf dem Stuhl zurück, und tat so, als würde ich mir meine Arbeit noch einmal durchschauen ... mein Blick huschte zu Theas Arbeit hinüber, sie hatte verstanden, und kippte ihr Blatt leicht, damit ich besser abgucken konnte. Interessant ... den Rechenweg bei Nummer zwei verstand ich zwar nicht ganz, aber das (hä, hä) wusste ja der Lehrer nicht.

Genüsslich schrieb ich ohne weitere Probleme Theas Arbeit ab – darin war ich inzwischen Profi. Thea warnte mich zwar, immerhin war sie auch nicht gerade die beste in Mathe, doch das störte mich im Moment gar nicht. Außerdem war sie auch die Einzige, von der ich abschreiben konnte, denn Harold hatte seine Arbeit bereits abgegeben, und selbst wenn er noch da gewesen wäre ... von ihm traute ich mich wirklich nicht abzuschreiben.

Leise seufzend blickte ich mich in der Klasse um. Thea überprüfte noch mal alles, was sie gerechnet hatte, und sah dabei recht unzufrieden aus (ein leichtes Gefühl der Besorgnis beschlich mich), viele hingen noch grübelnd über ihren Arbeiten, doch manche waren schon nach draußen gegangen, unter anderem ein paar Mädchen aus unserer Klasse, zwei Jungen, mit denen ich herzlich wenig zu tun hatte, Harold Joscha, Tristan ... eigentlich befanden sich alle aus Nus Bande, die in meiner Klasse waren, draußen! Und niemand, der sie belauschen konnte ... Doch, Ronja schien auch schon fertig zu sein ... nein, die war ja heute nicht da, war wahrscheinlich krank, die Glückliche ...

Schimmernd wie PyritWo Geschichten leben. Entdecke jetzt