Kapitel 9

1.1K 52 5
                                    

„Verdammt!“, schrie Joscha, und war als Erster wieder auf den Beinen. Der Rest folgte ihm dicht. Ich konnte nicht behaupten, dass ich einen riesigen Vorsprung hatte, und meine Verfolger, durch ihre Wut noch beflügelt, holten rasch auf. Schnell begriff ich, dass ich nur bei Flucht auf offener Straße eine Chance hatte.

Da man um diese Uhrzeit eh kein Auto mehr antreffen würde (das von Georges Kumpel mal ausgenommen), ignorierte ich den Bürgersteig und flitzte einen Augenblick nachdem ich den Plan gefasst hatte, mitten auf der Straße um mein Leben. Naja, ganz so dramatisch war es nun auch wieder nicht.

Doch obwohl ich die Schmerzen, die mir das Rennen irgendwann verursachte, weitgehend ignorierte, wurde bald aus dem scheinbar fliegenden Gang ein schnelles Joggen, begleitet von einem Keuchen, dass einem Langstreckenläufer alle Ehre gemacht hätte. Zum Glück erging es meinen Verfolgern genauso, sie vielen langsam zurück, und waren nicht mehr so erpicht darauf, mich zu erwischen, langsam hatte die beflügelnde Wut sie verlassen, weshalb sie die Erschöpfung noch stärker spüren mussten, als ich. Erschöpft wie sie waren, folgten sie mir nur noch halbherzig, etwa zwanzig Meter hinter mir, als hofften sie, dass ich irgendwann zusammenbrechen würde.

Doch schließlich passierte es, wie es passieren musste. Naja, eigentlich schaffte ich es noch, der Straßenlaterne auszuweichen, ohne gleich hinzufallen, aber ich spürte, wie sich die Kette bei der scharfen Kurve löste, und als ich mich hektisch umdrehte, um sie noch zu fassen zu kriegen, rutschte ich aus und landete unsanft auf der Seite. Sofort warf ich mich herum, tastete schnell den Boden hinter mir ab, und wirklich – keinen halben Meter entfernt lag sie, das Metall kalt wie die Nacht. Doch ich war mir wohl meiner Verfolger bewusst, die nun mit letzter Kraft losrannten, und entsetzlich schnell näher kamen. Innerhalb vom Bruchteil einer Sekunde hatte mein Geist über meinen Körper gesiegt, und ich umschloss die Kette pfeilschnell mit den Fingern. Für einen Moment baumelte sie in der Luft, glitzern im Licht der Straßenlaterne, dann schloss sich meine Hand fester um sie, und ich rannte wieder los, immer wieder beunruhigte Blicke über die Schulter auf meine Verfolger werfend, die schon entsetzlich nahe waren. So entdeckte ich erst gar nicht die schwarze Gestalt, die sich von vorne an mich herangeschlichen hatte. Und ehe ich wusste, was geschehen war, war ich in Harold hineingerannt. Nur mit Mühe konnte ich einen Aufschrei unterdrücken, als sich seine Arme kräftig um mich schlossen, wie ein Käfig, und meine wehrlos an die Seite gepresst wurden. Zu gerne hätte ich mich wild gewehrt, um ihn abzuschütteln, aber ich konnte mich nicht bewegen, das war schlimmer als ein aussichtsloser Kampf, und ein schreckliches Gefühl überwältigte mich, wie es wohl ein Tier spüren musste, das in eine Falle gelaufen war, und fast instinktiv umklammerte meine linke Hand die Kette noch stärker, sodass die Knöchel weiß hervortraten.

Meine Gedanken rasten immer verzweifelter, Harold musste spüren, wie sich alles in mir aufbäumte, obwohl ich mich äußerlich kaum bewegte, denn sein Griff schloss sich noch fester, als ob er befürchtete, ich könnte mich losmachen.

Doch es bestand kein Grund zur Sorge, schon hatte mich die restliche Gruppe umkreist. Meine Lage war so gut wie aussichtslos, und selbst ich hatte die Hoffnung endgültig aufgegeben. Auch als Harolds Griff sich löste, hielt ich still, und wagte keinen neuerlichen Fluchtversuch, ich hatte auch gar nicht mehr die Kraft dazu.

„Und jetzt gib uns was auch immer du da hast“, ordnete Nu vollkommen ruhig, nur mit einem unterdrückten Keuchen in der Stimme, an. Für einen kurzen Moment lebte der Widerstand in mir wieder auf, ein kleines Flämmchen, das loderte, und nicht erlosch. Finster dreinblickend streckte ich eine Hand in die Tasche und schüttelte widerspenstig den Kopf. Trotzig sah ich ihm in die Augen, und bemerkte ein belustigtes Funkeln darin, als mache ihm mein Widerstand Spaß, und als wäre das hier alles nur ein Spiel für ihn. Na schön, das sollte er haben! Ich vergaß meine Erschöpfung und wollte schon finster auf ihn zustapfen, als er mir zuvorkam.

Schimmernd wie PyritWo Geschichten leben. Entdecke jetzt