Alles schien aus dem Ruder zu laufen, denn wenn Colin nicht da war, war es schwer das Rudel unter Kontrolle zu behalten. Freya machte was sie wollte und Ethan war immerzu dabei. Er stachelte Jacob ständig zu einem Streit an und es verging beinahe keine Stunde, in der nicht einer der beiden die Faust des anderen im Gesicht hatte. Die beiden waren schon von oben bis unten von blauen Flecken überseht, doch das schien sie nicht zu stören. Nun war selbst Finn schon so weit, dass er, immer wenn Jacob eine von Ethan verpasst bekam, er sich ebenfalls in den Kampf einmischte und gegen Ethan kämpfte. Kacper versuchte zwar das ganze Malheur andauernd wieder in den Griff zu bekommen, doch die Jungs ließen dies nicht zu.
Kacper musste sich eingestehen, dass er nicht einmal halb so viel Wert war wie Colin, doch sie hatten ihm ebenfalls zu gehorchen! Immerhin hatte Colin ihm die Verantwortung gegeben und nun benahm sich das gesamte Rudel wie im Kindergarten. Niemand nahm auch nur irgendjemanden ernst und Kacper wusste beim besten Willen nicht, wie er das in Ordnung bringen sollte. Sarah versuchte die Jungs immer mit Essen zu versorgen, sodass sie eine Sorge weniger hatten, und Theresa begleitete sie immer bei der Jagd. Sie war zwar wegen ihres gebrochenen Armes noch eingeschränkt, doch ihr Arm heilte relativ schnell. So war das eben üblich bei Wölfen. Sie heilten um einiges schneller als normale Menschen, selbst ein kleiner Kratzer konnte am nächsten Tag schon komplett verschwunden sein.
Justin war der einzige, bis auf die beiden Mädchen, der zu Kacper stand und seine Regelungen befolgte. Da die anderen drei Jungs ziemlich streitlustig waren, wechselten sich Kacper und Justin mit der Nachwache ab. Denn bei solchen kampflustigen Wölfen war eine Nachtwache sehr wichtig. Nicht, dass sie auch noch einen Menschen anfielen, nur weil sie gerade so viel Zorn in sich hatten. So wie sich die Drei nun aufführten, konnte Kacper unmöglich mit ihnen zurück nach Schottland. Geschweige denn durch ein Dorf durchspazieren.
Langsam wurde es dämmrig und Kacper hoffte, dass es Colin mit dieser Selene besser ging. Er hatte auch keine leichte Aufgabe, doch für Kacper war die Aufgabe, die er nun zu tun hatte, auch nicht gerade leicht. Natürlich liebte er das Rudel, in dem er lebte und mit denen er aufgewachsen war, doch sie konnten oft sehr anstrengend sein. Wie gerade eben. Sie wollten alles tun, außer schlafen zu gehen, doch nun reichte es Kacper. Ethan bekämpfte sich abermals mit Jacob, und zwar in deren menschlichen Gestalt.
Kacper war so wütend, dass er sich beim Hinlaufen zu den Beiden in einen kastanienfarbenen Wolf verwandelte. Er knurrte die beiden Streithähne an und zog nun die gesamte Aufmerksamkeit des Rudels auf sich.
„Was willst du Kacper? Möchtest du etwa, dass wir aufhören uns gegenseitig zu bekämpfen?" Ethan grinste den knurrenden Wolf schelmisch an, doch Kacper wollte sich das nicht noch länger gefallen lassen. Zornig sprang er Ethan an, welcher sich beim Abrollen ebenfalls in einen Wolf verwandelte. Er war ein hellbrauner Wolf, seine Farbe war fast schon cremig weiß und eigentlich sah er am wenigsten gefährlich von allen aus, doch hinter seiner Fassade steckte etwas Kriegerisches und Kämpferisches. Er wollte allen immer beweisen, dass er der Stärkste war, ihm war es egal, ob er andere damit verletzte und ihm war es ebenfalls egal ob er sich selbst ein paar Kratzer zufügte. Doch was bis jetzt noch niemand gewagt hatte, war, einem anderen Rudelmitglied einen Knochen zu brechen. Normalerweise brauchte das Rudel einander und war voneinander angewiesen, sodass man es sich nicht leisten konnte, einen verletzten Wolf dabei zu haben, da die Reise somit um einiges länger dauerte. Doch da Theresa ebenfalls einen gebrochenen Knochen hatte, was war da ein zweiter gebrochener Knochen im Rudel?
Kacper hörte nicht auf Ethan zu quälen, selbst dann noch nicht, als er jaulend qualvolle Geräusche von sich gab. Er heulte und strampelte wild um sich. Seine Krallen fuhren unkontrolliert durch die Luft, doch sie hatten kein Ziel. Kacper hatte Ethan die rechte Schulter ausgerenkt und ihm den linken Unterarm gebrochen. Erst, als das Gejaule unerträglich wurde, ließ Kacper von ihm los und wandelte sich zurück in einen Menschen.
„Ich hoffe du hast deine Lektion gelernt. Du solltest nicht immer irgendwelche Leute aus deinem Rudel angreifen, Ethan! Du sollst für sie da sein und es lieben bei ihnen sein zu können! Wir müssen Schottland erreichen, ohne dass wir uns gegenseitig Stunde um Stunde an die Gurgel gehen. Und jetzt sei ein Mann, hör auf zu jaulen und steh auf!", forderte Kacper.
Ethan hörte tatsächlich auf zu Jaulen und verwandelte sich wieder in den streitlustigen blondhaarigen Jungen zurück. Doch dieses Mal schien er alles andere als streitlustig zu sein, denn er schien sich vor Schmerzen kaum noch bewegen zu können. Ethan hatte sich noch nie etwas gebrochen und er war auch noch nie so gewaltig von einem Rudelmitglied angegriffen worden. Der Blondschopf starrte Kacper an und stand auf.
Mit emotionsloser Miene, wandte sich Ethan ab und setzte sich etwas weiter entfernt vom Rudel neben einen Baumstamm. Den restlichen Nachmittag, wagte niemand zu Ethan zu gehen, bis sich Sarah schließlich ein Herz fasste und ihm das Abendessen brachte, welches er dankend annahm. Lange noch blieb Sarah bei ihm sitzen und versorgte seine Schulter, denn bei der war es leichter den Heilungsprozess zu beschleunigen, indem sie ihm die Schulter wieder einrenkte. Er hatte dabei keinen Ton von sich gegeben, allerdings verzog er sein Gesicht schmerzvoll.
Freya saß den ganzen Abend über neben Kacper, denn er hatte darauf beharrt, dass sie nicht zu Ethan gehen durfte. Anscheinend war ihm heute doch etwas gelungen. Doch ob er selbst dies nun gut finden sollte oder nicht, wusste er selbst noch nicht. Eines jedoch wusste er: Colin hätte diesen Konflikt niemals mit Gewalt geregelt.
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Schwanenblut
FantasySeitdem Selene in Irland angekommen ist, wird sie nicht nur von mysteriösen Träumen geplagt, sondern auch noch entführt! Als wäre das nicht schon schlimm genug, stellt sich auch noch heraus, dass sie ein großes Geheimnis in sich trägt, von welchem s...