Kapitel 14.3

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Vorsichtig setzte ich einen Fuß nach dem anderen zu Boden. Draußen war die Sonne schon untergegangen, denn das einzige was den Himmel erhellte waren die Sterne und der Mond.

Mit pochendem Herzen schaute ich mich genauer um. Ich konnte mich nicht erinnern in dieses Haus gekommen zu sein. An was ich mich allerdings gut erinnerte, war der seltsame Traum von eben. Ich hatte von meinem Vater und meiner Großmutter geträumt. Auch von Colin und einer alten Dame. War ich etwa in ihrem Haus? War sie das Böse, von welchem mein Traum gehandelt hatte?

„Colin?", flüsterte ich. Doch ich bekam immer noch keine Antwort. Vielleicht war es das Beste zu fliehen. Ich könnte mühelos aus der Haustür stürmen und in den Wald zurück laufen. Mein Vater hatte mir geraten zu flüchten, womöglich sollte ich ein einziges Mal in meinem Leben auf meinen Vater horchen. So einen Traum hatte ich doch nicht umsonst. Außerdem konnte ich mich an jedes noch so kleine Detail erinnern, das war schräg. Das war genauso schräg wie meine Träume von den Kindern von Lir.

„Colin?", versuchte ich es ein weiteres Mal, ehe ich mich im Kreis drehte. Folge deinem Herzen. Ich schloss die Augen und lauschte meinem angespannten Atem. Wenn ich tatsächlich auf mein Herz hörte, dann sagte mir dieses, dass ich auf keinen Fall ohne Colin das Haus verlassen durfte. Das hatte ich auch nicht vor.

Ich schaute mich um und sah zwei Türen und einen Gang, der zur Haustüre führte. Also musste ich eine der beiden Türen wählen. Mit Bedacht ging ich auf die erste geschlossene Tür zu, die ich öffnete. Ich wollte schon die Türschwelle übertreten, als ich mir Vaters Worte ins Gedächtnis rief. Der Raum formte sich zu einem schmalen Gang zusammen. Hastig trat ich einen Schritt nach hinten. Leise! Selene, verflixt! Beweg dich leise fort! Zitternd brachte ich meine Atmung wieder unter Kontrolle und öffnete zaghaft die zweite Tür.

Doch bei dieser handelte es sich um so was wie eine Abstellkammer. Meine Augen wanderten umher, doch hier ging es nicht weiter. Also musste ich doch durch die erste Tür gehen. Als ich von der Kammer wegtrat, um mich der ersten Tür zuzuwenden, zog es an meinem Herzen. Anfangs dachte ich, mir würden wie gehabt, Federn wachsen, doch dieses Ziehen war anders. Es war an meinem Herzen, oder war es in meinem Herzen? Zaghaft widmete ich der Kammer meine vollste Aufmerksamkeit. Was wenn es keine Abstellkammer war? Ich musste nur die Türschwelle betreten und schon wüsste ich es. Doch was, wenn diese alte Frau plötzlich neben mir stehen würde? Wie könnte ich mich wehren? Ich hatte doch nichts, lediglich meine Selbstverteidigungskünste die mir mein Vater gelehrt hatte. Kurzerhand entschied ich, dass dies reichen musste.

In mir stieg leichte Panik auf, als ich die Türschwelle übertrat. Jedoch ließ ich meine Panik nicht Oberhand gewinnen und versuchte mich zu beruhigen. Noch war nichts passiert. Ab sofort war mein oberstes Gebot, mich leise zu bewegen. Du wirst sie nicht kommen hören, sie im Gegenzug hören dich schon von weitem. Als ich mich weiter in die Abstellkammer hineinbewegte, sah ich eine Leiter, die nach unten führte. Niemals hätte ich diese außerhalb der Türschwelle sehen können. Hier ging es anscheinend in den Keller. Meine Augen wanderten ein weiteres Mal umher, doch ich konnte keinen schmalen Gang oder eine andere Tür entdecken. Es gab alleinig diese Holzleiter.

Sie knarrte, als ich hinabkletterte. Ich erreichte den kalten Betonboden, wobei ich umgehend merkte, dass ich barfuß unterwegs war. Jetzt brauchte ich auch nicht mehr umkehren, denn dann würde ich es mir womöglich anders überlegen und aus dem Bauernhaus laufen. Ich kräuselte meine Unterlippe ein und biss darauf herum. Dunkelheit umgab mich, doch es war nicht dieselbe Finsternis in welcher ich in meinem Traum gefangen war. Dieser Traum musste so etwas wie eine Warnung gewesen sein, oder eine Hilfe. Je nachdem wie man es sah.

Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, während ich mich in diesem Keller umschaute. Es handelte sich bei ihm um einen langen breiten Gang, welcher nicht zu enden schien. Hinter mir befand sich eine Wand, genauso wie rechts und links neben mir.

Ohne lange zu zögern, folgte ich dem Gang. Mein Innerstes trieb mich vorwärts, sagte ich sollte gehen und nicht stehen bleiben. Was ich auch tat. Aus welchem Grund auch immer, spürte ich, dass Colin nicht weit sein konnte. Als ich nochmals an meinen Traum dachte, musste ich an das Gesagte meiner Großmutter denken. Meiner Großmutter, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie meinte, ich solle die Alten blenden. Doch was meinte sie damit? Sie blenden?

Ruckartig blieb ich stehen, als ich ein schmerzvolles Stöhnen hörte. Doch woher war dieses Geräusch gekommen? Ich hatte nur einen Gedanken: Colin! Wenn sie ihm etwas antun sollten, würde ich ihnen den Hals umdrehen. Ich wusste nicht woher diese gewalttätigen Gedanken plötzlich kamen, jedoch ahnte ich, dass diese Alten uns nichts Gutes wollten.

Was meinte meine Großmutter damit, dass wir den Fluch brechen könnten? Zwar wusste ich, dass er mich dazu brauchte, aber warum ließen sie dann nicht ihn gehen? Warum behielten sie ihn, wenn sie nur mich dazu brauchten? Oder hatten sie etwa Angst, er würde seinem Clan sofort erzählen, dass die Alten mich ihm weggenommen hatten? Je mehr ich über die Worte meiner Großmutter nachdachte, desto beunruhigter wurde ich.

Das Gestöhne vernahm ich kein weiteres Mal, deswegen forderte ich meine Gedanken dazu auf, zu denken, dass ich es mir nur eingebildet hatte. Doch tief in mir wusste ich, dass dem nicht so war.

Beinahe wäre ich in die Wand vor mir gekracht, doch ich sah sie noch rechtzeitig. Sie war genauso dunkel, wie alles andere um mich herum, deswegen war diese schlecht zu erkennen. Ich schaute mich um, doch weder rechts noch links konnte ich erkennen, dass der Weg weiterging. War ich etwa in einer Sackgasse gelandet? Verwirrt zog ich an meinen welligen Haaren und tastete die Mauer ab. Doch ich konnte nichts Seltsames ertasten. Die Wand war kalt und glatt.

Gerade als ich umkehren wollte, machte ich einen Blick nach oben. Ist das eine Leiter? Ja, das war eine Leiter. Doch diese befand sich gut drei Meter über dem Boden. Vielleicht konnte ich die erste Sprosse mit meinem Fingern umrunden, doch selbst wenn ich sprang, wie sollte ich mein gesamtes Gewicht nach oben hieven können? Ich war nun mal keine Athletin.

Aber ich versuchte es. Zuerst nahm ich Anlauf, dann sprang ich gebückt ab, ich probierte sogar mich von der Wand hinauf abzustoßen. Doch nichts wollte mir gelingen. Ich kam mir wie in einem schlechten Film vor. Wenn ich bloß Flügel hätte. Diese Gedanken schossen in mich hinein, doch ich bemühte mich sie so schnell wie möglich zu verdrängen. So etwas durfte ich unter keinen Umständen denken. Ich wollte doch kein Schwan sein! Oder? Nein!

Je mehr ich über die Vorteile von Flügeln nachdachte, desto mehr verabscheute ich mich. Nur weil ich mich in einer auswegslosen Situation befand durfte ich nicht über solche Dinge nachdenken. Zum einen wusste ich nicht wie ich auf die Schnelle Flügel bekommen sollte und wie ich diese verwenden konnte. Zum anderen hatte ich keine Ahnung wie ich diesen Flügeln auf Wiedersehen sagen würde, wenn ich Colin gefunden hatte. Selene, du denkst absurd! Ich schluckte. Es musste doch einen Weg geben auf diese Leiter zu kommen. Ich sollte nicht die einfachen Pfade nehmen, bitte Großmutter. Dieser Weg war alles andere als leicht. Große Menschen konnten die erste Sprosse erklingen, aber nur Athletische würden hinaufklettern können.

Irgendwann war ich so außer Puste, dass ich es zum letzten Mal versuchte. Ich nahm Anlauf, sprang gebückt ab, und erreichte die erste Sprosse. Meine Finger schlossen sich reflexartig um diese Sprosse und mit meinen Füßen hievte ich mich mithilfe der Wand vor mir weiter hinauf. Als meine Füße dann endlich auch die erste Sprosse erreicht hatten, brauchte ich eine kurze Pause um wieder zu Atem zu kommen.

Die Leiter war aus Holz und überhaupt nicht so lang wie ich es mir vorgestellt hatte. Als ich mich in dem dunklen Gang unten befand, konnte man nicht einmal bis hinauf sehen, doch nun schien ich einem Raum immer näher zu kommen, denn Licht schien herein. Ich erreichte die letzte Sprosse, bei der ich mich zaghaft nach oben hievte. Der Raum in dem ich mich befand kam mir irgendwie bekannt vor. Vorsichtig stand ich auf und drehte mich im Kreis, um alles um mich herum besser in Augenschein zu nehmen. Entweder war das ein schlechter Witz oder ich hatte es mit wirklich guten Hexern zu tun.

„Das kann doch wohl nicht wahr sein!", zischte ich wütend, als ich mich ein weiteres Mal ungläubig im Kreis drehte. Meine Augen wanderten zur Tür, durch die ich kurz hervorlugte. Tatsächlich, dort stand das Sofa und meine Kleidung lag noch immer so unberührt dort, wie vor gut einer Stunde. Ich war wieder in der Abstellkammer angelangt.


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