Kapitel 9.1

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„Ein Schwan?" Vor lauter Lachen musste ich mir die Hand vor den Bauch halten, denn dieser schmerzte schon. Ich wiederholte im Geiste seine Worte, was meine überreagierende Reaktion nicht absinken ließ.

„Ich kann dich gerade nicht recht einschätzen, aber für mich sieht es so aus, als wärst du hysterisch.", versuchte Colin beruhigend mit mir zu sprechen. Er kam überdies ein paar Schritte auf mich zu, ich jedoch wich diese Schritte zurück, sodass sich nichts zwischen der Distanz von uns beiden veränderte.

„Du bist doch verrückt! Ein Schwan?" Wie oft hatte ich diese Worte nun schon wiederholt? Und ich nannte ihn Verrückt? Dabei war ich hier die Verrückte, die immerzu dieselben Worte von sich gab, nur weil ich nicht glauben wollte, was er gesagt hatte.

„Selene, warum denkst du das ich verrückt bin? Immerhin bin ich ein Junge, der sich in einen Wolf verwandeln kann. Nachdem du dich so abweisend verhältst, denke ich, dass da mehr dahinter steckt, als nur deine Visionen."

Ich hielt mir eine Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf. Mehr zu mir selber sprechend sagte ich: „Das ist nicht möglich. Das ist schlicht und einfach nicht möglich. Ich bin kein Schwan. Warum sollte ich auch ein Schwan sein, schließlich habe ich mich noch nie in dieses Federvieh verwandelt und das wird auch niemals der Fall sein. Das wird nie passieren, da ich kein Schwan bin." Nun richtete ich meinen Blick auf Colin, der mich fragend anguckte und sagte: „Du musst dich geirrt haben. Vor dir steht kein Schwan, sondern ein gewöhnliches Mädchen aus Amerika. Wenn du also so lieb bist und zugibst, dass du Mist gebaut hast, dann kannst du mich ja wieder zur Familie O'Kelley bringen. Da wäre ich dir wirklich sehr dankbar darüber."

„Selene..."

„Nein, nein und nochmal nein. Du wirst mir nicht schon wieder sagen, was ich zu tun habe. Von mir aus schlafe ich diese eine Nacht noch in der Hütte, aber danach fahre ich mit dem Bus geradewegs zurück nach Galway, denn das ist einfach nur blöd! Ich lasse mir doch nicht sagen, dass ich ein Schwan bin. Denkst du ich glaube dir das? Ich glaube nicht an so einen ..." Colin verwandelte sich in einen knurrenden und Zähne fletschenden Wolf, sodass ich schlagartig verstummte. „Du kannst mich nicht einschüchtern.", sagte ich, jedoch für meinen Geschmack, etwas zu leise.

Colin umrundete mich einige Male, wobei er fortwährend knurrte. Er ließ mich kein einziges Mal aus den Augen, zugleich drehte ich mich laufend mit ihm mit. Seine dunkelbraunen Augen nahmen unerwartet eine andere Farbe an. Irgendwie schienen sie rötlich zu werden, und auch sein Knurren wurde bedrohlicher.

„Colin?" Ich wusste, dass mein Herz in einem viel zu schnellen Rhythmus schlug, doch Colin jagte mir irgendwie Angst ein. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, doch ich hatte geglaubt, dass mir beim Anblick dieses Wolfes keine Angstgefühle mehr hochstiegen.

„Colin, bitte hör auf. Ich habe verstanden. Aber du machst mir gerade sehr große Angst." Ungeachtet meiner Stimme, tat der Wolf mit seinen Umrundungen weiter. Sein Knurren ging mir nun schon durch Mark und Bein und ich schluckte schwer. Wenn ich in seine Augen schaute, sah ich nicht mehr die weichen Augen von Colin, sondern ich sah ein furchteinflößendes Raubtier, welches dazu bereit war, mich in Stücke zu zerfetzen. Langsam setzte ich einen Fuß nach dem anderen nach hinten und hoffte, dass der Wolf nicht mitbekam, wie ich mich fort schleichen wollte. Zwar schien es sinnlos, denn er umrundete mich, was hieß, dass er mir in Kreisen folgte. Doch irgendwie musste ich von diesem Colin weg. Denn dieser Colin, war nicht mein alter Colin.

So tollpatschig wie ich war, übersah ich eine Wurzel, die von dem Baum rechts von mir wegstand und ich stolperte darüber. Der Wolf war mit einem Satz neben mir, wobei ich zusammenzuckte. Er zeigte mir seine spitzen Zähne, während er mir direkt ins Gesicht knurrte. Ich verstand die Welt nicht mehr. Was war bloß mit Colin los? Das war nicht er, zumindest hätte ich ihn noch nie derart böswillig erlebt. Mein Körper bebte vor Furcht und Tränen brannten in meinen Augen; Tränen die sich allerdings nicht aus meinen Augen verabschieden wollten. Sie bewirkten nur, dass ich alles viel unschärfer sah. Der Wolf entfernte sich ein kleines Stückchen von mir, doch gerade als ich aufatmen wollte, machte sich der Wolf zum Sprung bereit. Wollte er mich etwa anspringen? Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen und gerade als er sich vom Boden abhob, stieß ich einen spitzen Schrei aus.

„Colin?", schrie ich und wandte mein Gesicht dem Boden zu. Der Wolf landete unsanft auf meinem Körper, doch ich wagte nicht einmal zu atmen. Zitternd lag ich am Boden und spürte nur das Gewicht des Raubtiers auf mir. Lange blieb ich so liegen, bis ich merkte, dass die Atmung des Wolfes ziemlich unkontrolliert ging. Vorsichtig riskierte ich einen Blick auf dem Wolf, und als ich in seine Augen blickte, konnte ich gemischte Gefühle erkennen. Sie waren nicht mehr rot, sondern braun, doch Colin blieb ein Wolf.

Allmählich kam meine Stimme wieder zu mir zurück. „Colin", begann ich stotternd „Würde es dir etwas ausmachen, von meinem Körper zu gehen?" Scheinbar war er voll und ganz bei mir, denn er hörte auf meinen Ton und kroch langsam und darauf bedacht, mich nicht mit seinen Krallen zu verletzten, von mir hinunter. Gleich neben mir, blieb er am Waldboden liegen und rührte sich keinen Zentimeter mehr. Nicht einmal, als ich aufstand, nur um mich kurze Zeit später zu ihm hinzuknien. Zaghaft stupste ich ihn an, woraufhin er seinen Kopf hob und mich traurig anblickte. Mein Blick war fragend, doch er blieb ein Wolf.

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Wörter: 922

SchwanenblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt