Kapitel 12.1

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Mit der Zeit, die verflog, wurde es nicht besser. Das gesamte Rudel war angespannt und hoffte, dass bei Colin alles in Ordnung war. Bis jetzt hatte weder Kacper, noch ein anderes Mitglied im Rudel ein Lebenszeichen von ihm gehört. Es war dumm, sich um ihn Sorgen zu machen, denn er wusste was er tat. Dennoch konnte Kacper beinahe kein Auge zutun, da ihn die Aufgabe als Alphawolf zu schaffen machte. Nicht einmal die kleinsten Konflikte ließen sich bei ihm ohne Gewalt lösen, da so gut wie niemand auf ihn hören wollte. Ihm tat es ja leid, dass er Ethan solche Schmerzen zugefügt hatte, doch er hatte sich nicht weiters zu helfen gewusst. Immer wieder musste er sich ins Gedächtnis rufen, was wohl Colin in solch einer Situation gemacht hätte, doch Kacper kam auf keinen goldenen Faden. Er blieb dort wo er war. Ratlos.

Die Sonne begann sich zu erheben und langsam kehrte Leben in das Rudel ein. Ethan war einer der ersten die erwachten. Voller Schmerzen in seinem Arm setzte er sich auf und schaute sich um. Kacper saß, ihm den Rücken zugewandt, vor dem Lagerfeuer, welches sie gestern entzündet hatten. Theresa war ebenfalls schon wach, und hatte es sich neben Kacper gemütlich gemacht. Sie unterhielten sich, doch Ethan war zu weit entfernt, um herauszufinden, über was. Sein Blick schweifte weiter zu der schlafenden Sarah, welche viel zu hübsch für ein schlafendes Mädchen aussah. Nach und nach kämpfte er sich hoch und versuchte sich so leise wie möglich, neben sie zu setzten.

Kaum hatten sie gestern das Rudel erreicht, hatte sich Sarah von ihm gewandt und war zu Theresa spaziert. Sie hatte sich so lange mit ihr unterhalten, dass Ethan nicht mehr dazu gekommen war, mit ihr zu reden. Dabei hätte er so gerne über das geredet, was draußen im Wald vorgefallen war. Warum hatte sie geweint? Doch weswegen schien ihn das alles plötzlich zu interessieren? Früher hatte es ihn doch auch nicht gekümmert, ihm war es regelrecht egal gewesen. Warum dann auf einmal jetzt nicht mehr? Nur weil sie sich einmal um ihn gekümmert hatte – gut, vielleicht mehr als nur einmal – musste das doch nicht gleich heißen, dass er so neugierig ist, über das was in ihrem Kopf vorgeht. Ursprünglich wollte er beim Heimweg mit ihr quatschen, doch sie hatte sich in einen Wolf verwandelt, sodass ihm ebenfalls nichts anderes übrig geblieben war.

„Ethan." Jäh schaute er auf. Freya. „Wieso sitzt du hier?" Sie warf Sarah einen undefinierbaren Blick zu, ehe sie sich ebenfalls neben Ethan niederließ.

„Ich ... weiß nicht?"

„Du weißt es also nicht? Also ich weiß es ganz genau. Du magst sie.", sprudelte es aus ihr heraus, wobei sich nichts an ihrem Gesichtsausdruck änderte.

„Wie kommst du denn darauf?"

„Man sieht es. Du siehst sie anders an als früher."

„Ich ..." Er erstarrte, als sich Sarah neben ihm plötzlich regte. Doch sie wechselte nur ihre Lage, anscheinend wurde ihr die Alte zu ungemütlich. Wie hatte er jemals diesem Mädchen nicht die Aufmerksamkeit schenken können, die sie verdiente? Er strahlte, als er ihre kurzen brünetten Haare anstarrte und stellte sich vor, wie es wohl wäre, durch sie durchzufahren.

Er wollte sie zum Lachen bringen, wollte dass sie ihm den Grund dafür sagte, warum sie weinte. Er wollte für sie da sein, wenn es ihr schlecht ging. Immer wieder musste er sich an all die Male zurückerinnern, als sie ihren Rudelmitgliedern geholfen hatte, wenn es ihnen schlecht ging. Doch wer war für sie da gewesen? Klarerweise war da Theresa, mit welcher sie sich mehr oder weniger prima verstand. Colin war ebenfalls für sie dagewesen, Colin war ohnehin ständig für jeden vom Rudel da. Ethan wollte es nicht zugeben, doch er vermisste ihren Rudelanführer. Er wusste wie man Streite schlichtete, ohne dabei handgreiflich zu werden, jedoch konnte er es Kacper nicht verübeln. In den letzten Tagen hatte er wirklich Mist gebaut und es an alle anderen ausgelassen. Selbst an dieses Mädchen, Selene. Oft wenn er sich Selene genauer angeschaut hatte, war Sarah immer bei ihr gewesen. Sie hatte sich als einzige mit ihr unterhalten, als wäre sie eine von ihnen. Ihm entkam ein Lächeln, als er an Sarah dachte. Dann schaute er sie genauer an. Wie schön und befriedigend es doch war, jemanden beim Schlafen zu beobachten.

„Siehst du, das meine ich." Wie aus einer Trance erwachte er und glotzte Freya an. „Du siehst sie anders an. So, als wäre sie ein kostbares Juwel. Woher kommt dieser Sinneswandel?"

„Ähm ..." Warum bloß wusste er nicht mehr was er sagen sollte? Früher hatte er mit Freya über alles gesprochen, einfach weil sie beide dieselbe Autorität besaßen. Sie hatten die anderen Rudelmitglieder oft bis zur Weißglut gebracht und nun wusste er nicht, was er ihr sagen sollte.

„Ist egal, du musst mir nichts sagen. Ich wollte es nur wissen, denn ... du bist seit einigen Tagen irgendwie anders." Freya wollte schon aufstehen, als er ihre Hand packte.

„Es tut mir leid Freya. Es ist nur so, ich weiß es selbst nicht so genau."

„Dann solltest du dir eventuell eine Antwort überlegen, denn irgendwann wird sie dich dasselbe fragen." Freya erhob sich endgültig vom Boden und lief zu Theresa und Kacper, welche immer noch vor der verkohlten Feuerstelle saßen.


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