Kapitel 14.1

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Meine Nackenhaare sträubten sich, als ich durch die Finsternis lief. Vor was genau ich flüchtete, wusste ich nicht. Das einzige über das ich Kenntnis verfügte war, dass ich laufen musste. Colin war nicht bei mir, was mir Angst bereitete. Normalerweise war er immer da, doch jetzt nicht. Vor ein paar Minuten hatte ich noch seine warme Haut auf meiner gespürt, doch nun war er nicht mehr da.

Ich rannte weiter, ohne ein Ziel vor den Augen zu haben. Langsam aber sicher ging mir die Puste aus, was hieß, dass ich mich dem, was auch immer auf mich zukam, zu stellen hatte. Lieber wäre es mir gewesen, wenn ich nicht alleine war, doch vielleicht schwebte Colin genauso in Gefahr wie ich. Doch was hieß Gefahr? Ich wusste nicht einmal vor was ich flüchtete! Mein Herz schlug wie verrückt, ohne guten Grund.

Unvermittelt blieb ich stehen. Wie aus weiter Ferne konnte ich Stimmen vernehmen. Kalte Stimmen. Böse Stimmen. Eiserne Stimmen. Ihre Worte drangen nur schwer zu meinen Ohren, doch es lief mir eiskalt über den Rücken.

„Wir müssen sie töten."

„Beide?"

Ja, ansonsten brechen sie den Fluch!"

„Wir müssen sie quälen."

„Sie müssen leiden!"

„Ansonsten brechen sie den Fluch!"

Die Stimmen gehörten nicht nur einer Person, sondern mehreren. Sie drangen wie ein Schlaflied in mein Ohr, doch im Gegensatz zu einem Schlaflied wollte ich diese Wörter nicht hören. Wen müssen sie töten? Doch noch ehe ich mir Gedanken darüber machen konnte, wusste ich wen. Ein einziger Gedanke kam mir in den Sinn: Colin! Ich musste ihn finden und so schnell wie möglich von hier verschwinden. Doch wo befand ich mich überhaupt? In welcher Dunkelheit war ich gefangen?

Die Stimmen wurden immer lauter und dröhnten in mein Ohr. Es war schon fast unerträglich, doch langsam formte sich ein Bild vor meinen Augen. Ein Bild, entstanden aus Nebel und Licht. Eine alte Frau im Rollsuhl zeigte sich mir, ich hatte sie noch nie im Leben gesehen. Irgendwie spielte sich das ganze Szenario wie ein Film vor mir ab. Colin, welcher mich in seinen Armen hielt und mit dieser Frau vor einem Bauernhaus redete. Einem Bauernhaus? Doch nicht etwa ... Es handelte sich genau um das Haus, welches ich aufsuchen wollte als ich vor Colin geflüchtet war. Nun hatte ich abermals das Bedürfnis zu entkommen, doch vor wem?

Das Bild verblasste, übrig blieb die Dunkelheit. Diese Düsternis machte mir schon langsam zu schaffen. Ich wusste nicht wie lange ich hier schon gefangen war, doch es fühlte sich nicht wie ein Traum an. Ebenso wenig konnte diese Finsternis real sein.

Wie aus heiterem Himmel erschien mir von neuem ein Bild. Es handelte sich wieder um diese alte Frau, dieses Mal jedoch ohne Rollsuhl. Sofort spürte ich, dass sie nichts Gutes wollte. Sie hatte keine reine Seele, so wie sie es vorgespielt hatte. Sie war durch und durch böse. Und mit ihr noch etwas anderes. Irgendwie war sie mächtig, ohne dabei körperlich stark zu sein. Ein elektrisches Feld blitzte zwischen uns auf, als ich zu kreischen begann. Ich schrie aus vollem Halse, bis ich nicht mehr konnte. Meine Stimmbänder wurden in den letzten Tagen sehr in Mitleidenschaft gezogen. Genauso sehr wie der Rest meines Körpers. Durch mein Geschrei war das Bild vor meinen Augen verschwunden und ich blickte mich genauer um. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich in dieser Finsternis Gestalten entdecken. Waren diese schon immer um mich herum gewesen? Sie hatten mich regelrecht umzingelt.

Mit klopfendem Herzen rannte ich weiter, musste jedoch feststellen, dass mich die Gestalten im Schatten verfolgten. Ich bemühte mich schneller zu sein, schneller zu laufen. Doch diese Kreaturen hetzen mir nach. Sie folgten jedem meiner Schritte.

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