Kapitel 1

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Galway. Galway, die Stadt aller Möglichkeiten. Zumindest wenn es nach meinem Vormund Katherina ging. Sie meinte dass ich in Irland das finden würde, was ich bräuchte. Vielleicht behielt sie Recht. Vielleicht war aber auch ich diejenige die Recht hatte, und ganz genau wusste, dass egal was ich tat und wohin ich auch ging, ich niemals das finde würde nach dem ich innerlich strebte.

Dennoch saß ich im Flugzeug und war auf dem Weg nach Dublin, der Hauptstadt Irlands. Katherina hatte mich ohne mein Vorwissen für einen Ferialjob in Irland angemeldet und nun bestanden meine Ferien darin, viermal die Woche auf die drei Kinder der Familie O'Kelley aufzupassen. Bisher hatte ich nur Fotos von den Dreien gesehen und war schon allein bei deren Anblick überfordert. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, auf diese Kinder aufzupassen, vor allem da ich keinerlei Erfahrung mit Kindern hatte. Anna war die Ausnahme, da sie die Tochter von meinen Vormündern Katherina und Stefan war, aber Anna war ein sehr liebes und folgsames Kind. Nun aber hatte ich es mit einem Mädchen und zwei Jungs zu tun, und das überforderte mich jetzt schon.

Langsam ließ ich mich in meinen Flugzeugsitz sinken und schloss die Augen, um meinen Ängsten und Unbehaglichkeiten für ein paar Stunden ein Ende zu setzten. Wenn ich in Irland ankam konnte ich mir immerhin noch genug Gedanken über die Familie O'Kelley machen.

Mein weißblondes Haar wehte mit dem Wind und erst da schien ich zu realisieren wo ich mich überhaupt befand. Hinter mir ein Wald, in welchem die Bäume ihr Blattwerk im Wind treiben ließen. Tausendfach strich dieser durch die Blätter der mächtigen Bäume, sodass ein beruhigendes Rauschen erzeugt wurde. Vor mir, ein großer See, welcher von dem warmen Sommerwind in Schwung gebracht wurde. Kleine Wellen breiteten sich auf dem See aus, nur um Sekunden später mit einer anderen Welle zu verschmelzen. Noch nie zuvor war ich an diesem Ort gewesen, doch ich wusste genau um welchen See es sich handelte; Lough Derravaragh. Ich fühlte mich einige Jahrhunderte zurückversetzt und betrachtete ein Phänomen welches nicht jeder Mensch zu Gesicht bekam.

In meinen Augen eine Hexe - sie hatte kupferrotes lockiges Haar, welches ihr bis über die Taille reichte - stand vier Kindern die im Wasser badeten gegenüber. Sie lächelte diese Kinder an. Doch dieses Lächeln hatte nichts Mütterliches oder Führsorgliches an sich, dennoch aber glaubte ich, dass es sich bei dieser Frau um die Mutter der Kinder handeln musste. Aber könnte eine Mutter jemals so etwas Schreckliches über sich bringen, was ich mit ansehen musste? Ich wollte mich wegdrehen, einen Laut von mir geben, um Hilfe rufen, doch ich konnte nicht. Nicht weil ich nicht wollte, sondern weil ich nicht konnte. Mir schien es so als hätte sie mich ebenfalls verhext sodass ich mir dieses Spektakel nun geben musste. Nicht einmal wenn ich meine Augen schloss, konnte ich das Ausblenden was sich vor dem Lough Derravaragh abspielte.

Mit einem Holzstab berührte diese Frau den See und noch bevor die vier Kinder um Hilfe schreien konnten, verwandelten sie sich in vier prachtvolle Schwäne. Die magische und angenehme Idylle war plötzlich wie weggeblasen. Wild flatterten die Vögel herum, versuchten aus dem Wasser zu kommen, doch sie schienen das Fliegen noch nicht zu beherrschen. Meine Füße wollten Laufen, ganz weit weg, um dieser mächtigen Frau zu entkommen, doch ich konnte nicht. Die Schwäne gaben qualvolle Laute von sich und versuchten immer noch sich aus dem Wasser zu erheben, bis es ein Schwan schließlich schaffte und Richtung Hexe zusteuerte. Der weiße Schwan flog der Mutter in die Haare und hätte diese beinahe umgestoßen. Der Schwan hämmerte wild mit dem Schnabel gegen die Frau ein und gab dabei schmerzende Laute von sich. Der Schwan fauchte und flatterte, bis er zu Boden ging, weil er es noch nicht gewohnt war, sein Gewicht so lange mit den Flügeln zu tragen. Fast schon glaubte ich den Schwan verstehen zu können und vernahm eine weibliche kindliche Stimme, die der rothaarigen Frau bittere Vorwürfe machte.

Die Frau war schon am Gehen, als sie es sich anders überlegte, um sich zu den vier Schwänen ein letztes Mal umzudrehen. Auch die anderen drei hatten es mittlerweile aus dem Wasser geschafft und standen mit hängenden Köpfen am Ufer. Als sie jedoch die Stimme der Hexe hörten, hoben sie die Köpfe und lauschten gespannt ihren Worten.

„Ihr werdet so lange Schwäne bleiben, bis der Königssohn des Nordens und die Königstochter des Südens sich finden, zuvor jedoch werdet ihr dreihundert Jahre auf Lough Derravaragh leben, dreihundert auf Carraig na Ron in der Sruth na Maoile zwischen Irland und Alban und dreihundert auf Irrus Domnann und Inis Gluaire." Als sie zu Ende gesprochen hatte wollten sie die Schwäne voller Wut angreifen, doch als sie mit ihrem Stab in der Luft wedelte, flogen die Schwäne in weitem Bogen in das Wasser zurück und blieben dort ohne sich weiter zu wehren. Bevor die Frau ganz aus meinem Sichtfeld verschwunden war, hörte ich sie noch murmeln: „Eure menschliche Stimme soll euch ebenfalls geblieben sein." Keinen Augenblick später verschwand sie mit Reue im Herzen aus meinem Sichtfeld.

Mit klopfendem Herzen und einem grauenhaften Geruch in der Nase erwachte ich, doch es dauerte einige Sekunden bis ich realisierte dass ich mich noch immer im Flugzeug auf dem Weg nach Dublin befand. Dies war nur einer meiner albernen Träume gewesen. Schon seit vielen Wochen träumte ich von traurigen vier Schwänen die sich immer an einem anderen See aufhielten. Nie zuvor aber hatte ich von deren Verwandlung geträumt.

Der Geruch hing mir immer noch in der Nase, bis ich realisierte, dass eine Flugbegleiterin eine Brezel warm machte und das roch alles andere als angenehm. Doch könnte ich mich entscheiden, zwischen dem Traum und dem Duft, würde ich den Duft wählen. Denn diese ständigen Träume die ich hatte, jagten mir mittlerweile Angst ein.


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Wörter: 960


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