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Während ich noch immer hin und her gerissen war, wurde gerade durchgesagt, dass der Zug jeden Moment abfahren würde.

Für einen kurzen Moment setzte mein Gehirn völlig aus, und ich lief, trotz Schmerzen, die ich für kurze Zeit ausblendete, zu dem Zug und stieg ein. Kaum war ich drinnen, fuhr er ab.

Ich blieb kurz stehen und sah hinter mir aus dem kleinen Fenster der Zugtür. Ich hatte es wirklich getan, obwohl ich nicht wusste, wo er eigentlich hinfuhr und wo ich landen werde...

Mit gesenktem Kopf ging ich langsam durch die Waggons. Es war mir unangenehm, dass alle Blicke auf mich gerichtet waren, und das manche zu tuscheln begannen, weshalb ich bis in den letzten Waggon ging, in dem keine Menschenseele war. 

SIch lies mich seufztend auf einem der Doppelsitze nieder und lehnte meinen Kopf ans Fenster. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch, da die Schmerzen, die ich zuvor halbwegs ausblenden konnte, wieder zurückkehrten, doch damit musste ich wohl oder übel leben. Was sollte ich jetzt auch dagegen tun? 

Ich öffnete meine Augen und blickte aus dem Fenster, wo die grüne Landschaft vorbeizog. Ich war froh, dass ich hier alleine war und nicht von etlichen Menschen angestarrt werde, denn das ich zerrissener und blitverschmierten Kleidung aussah als hätte ich jemanden umgebracht, wusste ich auch selbst.

Erneut schloss ich meine Augen und wie auf Kommando spielten sich wieder die grausamen Szenen vor meinem inneren Augen ab. Ich spürte wie mir die Tränen in den Augen brannten und kurz darauf über meine Wangen flossen. Warum kann ich das alles nicht vergessen?! Warum?! 

Ich erschrack zu Tode als ich eine männliche Stimme neben mir warnahm und drückte mich instinktiv ans Fenster. "Darf ich mich zu dir setzen?", fragte mich ein junger braunhaariger Mann mit ruhiger Stimme. Wieso will er sich zu mir setzen?

"Warum?", murmelte ich leise, sodass man es nur schwer verstehen konnte. 

"Du siehst so aus, als könntest du Hilfe gebrauchen...", meinte er dann und sah mich mit einem besorgten Blick an.

Ich zuckte nur mit den Schultern und lies mich langsam wieder zurück in den Sitz fallen. Seit wann merkte das mal jemand? Und seit wann schien sich wer dafür zu interessieren? 

Irgendwie hoffte ich ja schon, dass er wieder ging, denn nachdem was mir Timo zwei Jahre lang angetan hat, ging ich bei Männern immer auf Sicherheitsabstand, doch anstatt wegzugehen setzte er sich einfach neben mich und sah mich von der Seite her an. 

"Du hast Schmerzen oder?" Ich nickte nur, denn was sollte ich denn sagen? Das ich keine hätte konnte ich schlecht behaupten. 

"Kann ich irgendwas für dich tun?" Ich schüttelte als Antwort nur den Kopf und lehnte ihn dann wieder gegen das Fenster. "Wirklich nicht?" Wieder schüttelte ich den Kopf. Was sollte er denn auch schon machen? Und warum wollte er überhaupt etwas für mich tun?

Während ich meinen Gedanken nachhing, merkte ich wie meine Augenlider langsam immer schwerer wurden und schließlich ganz zufielen.

Frische Luft || Wincent Weiss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt