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|| Wincent ||

Mittlerweile war es schon später Nachmittag. Ich hatte es mir im Wohnzimmer bequem gemacht und arbeitete mir meiner Gitarre an ein paar neuen Melodien, die ich später vielleicht mal für Songs verwenden konnte, während Alina schon den ganzen über schlief. Sie hatte den Schlaf aber auch bitter nötig nach all dem. Sie ist psychisch wie körperlich total fertig. Sie kann einfach nicht mehr. 

Ich versuchte mich wieder ein wenig auf mein Tun zu konzentrieren, was nicht gerade einfach war, da meine Gedanken immer wieder zu Alina wanderten. Ich machte wirklich Sorgen, dass sie sich wieder etwas antun wollen würde. Ich hatte einfach Angst um sie, aber würde das in diesem Fall nicht jeder haben? Ich meine, sie wollte sich umbringen... 

Als ich sie da in der Nacht auf der Brücke fand und mitansehen musste, wie sie abgestürtzt wäre, hätte ich sie nicht rechtzeitig fassen können... In dieser Sekunde hatte mein Herz ungelogen für ein paar Sekunden ausgesetzt. Was, wenn ich nicht rechtzeitig da gewesen wäre? Was, wenn ich zu spät gekommen wär? Was, wenn ich sie mit Hilfe des Mannes gar nicht erst gefunden hätte? 

Ich atmete ganz tief durch. Ich durfte nich an das denken, was passiert wäre, wenn wir sie nicht gefunden hätten. Ich machte mich nur selbst damit fertig, doch das war schwerer als gedacht. 

Ich legte meine Gitarre auf die Seite, da sich meine Konzentration sowieso schon verabschiedet hatte und nicht so schnell wieder auftauchen würde. Ich griff nach meinem Handy und scrollte durch meine Kontakte. Ich brauchte einfach jemanden, mit dem ich darüber reden konnte, sonst würde man mich wohl bald noch zu einem Psychologen schicken müssen, wenn das so weitergeht, und das wollte ich wirklich nicht. Doch mit wem konnte ich reden? 

Ich glaub, dass ich mindestens zwanzig Minuten, wenn nicht länger, da saß und durch meine Kontakte scrollte, bis ich mir sicher war, wen ich anrufen und das ganze anvertrauen konnte, ohne, dass er es jemanden weitererzählen würde. Ich atmete also nochmal tief durch und wählte die Nummer meines langjährigen besten Freundes und Gitarristen Octa. Eigentlich hieß er ja Octavian, wird aber fast immer von allen Octa genannt. Er war für mich schon fast wie ein Bruder. Bei ihm war ich mir sicher, dass er nichts zu jemandem davon sagen würde und er mir vor allem einfach zuhören würde.

Nach ein paar Mal Läuten ging er dann auch gleich ran. "Hey, was gibts?" Ich seufzte kurz. "Hey... Hast du Zeit und kannst vielleicht vorbeikommen? Ich brauch unbedingt jemandem zum reden...", sprach ich durch die Leitung. "Klar... Sag mal, alles okay bei dir? Du klingst so komisch..." "Ich erkläre dir dann, wenn du da bist...", meinte ich leise. "Okay, gib mir zwanzig Minuten, dann bin ich da..." "Danke Octa..." "Ist doch kein Problem... Bis gleich..." Damit legte er auf und es war wieder still. Ich war ihm gerade so dankbar dafür, denn sonst werde ich hier noch verrückt. 

In der Zeit, in der ich auf Octa wartete, versuchte ich dann doch nochmal ein paar Melodien auf der Gitarre zu spielen, beloieß es aber bei ein paar einfachen Akkorden, denn zu mehr war ich gerade nicht wirklich fähig, aber es lenkte mich wenigstens ein bisschen von meinen Gedanken ab.

Frische Luft || Wincent Weiss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt