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Schuld fraß sich durch meine Eingeweide. Was hatte ich getan? Was hatte der Alkohol getan!
Sicher dass es der Alkohol war? Mein eigenes Unterbewusstsein lachte mich schamlos aus.
Was würde Hades jetzt sagen, wenn er mich sehen würde. Nackt, im Zimmer meines Feindes, auf seinem Teppich.

Ethan war nicht mehr da, als ich die Augen öffnete. Er oder irgendjemand anderes hatte eine Decke über mich ausgebreitet. Ich schlang sie um mich und stolperte ohne einen Blick zurück aus dem Zimmer. So schnell ich auf meinen wackeligen Beinen gehen konnte huschte ich in mein Zimmer. Erst dort wagte ich es aufzuatmen. Ich würde jetzt ein Bad nehmen und endlich wieder zu mir selbst kommen.

Unter dem Wasser konnte ich endlich klarer denken. Ja, Ethan Lockheart übte eine seltsame, fast schon unheimliche Faszination auf mich aus. Ja, ich war auch eine Frau, die Sex hatte. Und ja, Vielleicht hatte ich ein paar Probleme mit Worten wie verlassen oder werden. Noch schlimmer war es, wenn sie in einem Satz vorkamen. Ich trat aus der Dusche, trat vor den großen Spiegel, der fast eine ganze Wand im Bad einnahm, und wischte ihn auf Gesichtshöhe sauber.

Ich wirkte müde. Seit zwei Wochen hatte ich nicht richtig geschlafen. Vielleicht... Vielleicht hatte mich erst etwas wach schlagen müssen. Ich saß hier herum und tat nichts, während Hades Gott weiß wo fest gehalten wurde. Ich schuldete Hades ein zwei Sachen, dafür, dass er mir den Hintern gerettet hatte. Ich sah den Ring an meinem Finger an. Er glänzte matt und leuchtete hier und da kurz auf. Ethan hatte den mächtigsten Leuten dieser Welt ihr Geld gestohlen. Aber hatte er auch mein Geld gestohlen? Oder viel mehr Gabriels Geld. Gabriel...ich hoffe sie hatten ihn noch irgendwo in Sicherheit bringen können.

"Zeit aufzuwachen, Mia!", sagte ich meinem Spiegelbild energisch und ging aus dem Bad, direkt zu dem großen Schrank. Wie normalerweise auch lagen bereits Klamotten sorgfältig ausgebreitet auf meinem Bett. Irgendjemand legte sie immer raus, während ich meine Morgentoilette hinter mich brachte. Ich zog sie an. Jeden Tag. Heute aber riss ich sämtliche Schranktüren auf. Bis heute hatte ich mir nie die Mühe gemacht, besonders auf ihren Inhalt zu achten. Bis auf den Teil mit den Nachthemden. Wenigstens in meinem Zimmer hatte ich mich getraut dass anzuziehen, was ich wollte. Jedes Kleidungsstück das mir im Weg stand wurde gnadenlos ausradiert. Teure Kleider, Röcke und Blusen aus Seide und was weiß ich noch für Schnick Schnack segelten an mir vorbei und landeten irgendwo hinter mir. Ich stieß einen Fluch aus, als ich selbst nach einer Halben Stunde immer noch nur in Unterwäsche dastand. Wenigstens die hatte ich mir übergezogen.

"Du meine Güte!" Der schockierte Ausruf ließ mich kurz Aufsehen. Ich hätte die Tür abschließen sollen. Aber es war nur Mrs Huston, weshalb ich mich weiter meiner Suche widmete. "Ist hier eine Bombe eingeschlagen?!", konnte ich Mrs Huston hinter mir sagen hören, was ich nur mit einem Knurren quittieren konnte.
Genervt schmiss ich das geschätzte hundertste Schwarze Kleid (wie viele Kleider könnte man von einer Farbe haben!?) hinter mich.

"Kann ich vielleicht behilflich sein?" Mrs Huston stellte irgendetwas klappernd weg und tauchte mit einem Keks neben mir auf. Mein Magen knurrte bei dem Anblick des Kekses. Er deutete nach Vanille und einzelne Smarties lächelten mir verführerisch zu. Mrs Huston sah von mir, zu meinem knurrenden, klagenden Magen zurück zum Keks und schob ihn sich schließlich ganz in den Mund. Sie kaute genüsslich. "Wer sind sie und was haben sie der netten alten Dame angetan?", fragte ich Mrs Huston, oder nicht Mrs Huston, misstrauisch. Sie sah zwar aus wie sie und sprach wie sie, aber das musste nicht unbedingt heißen, dass sie wirklich sie war. Vielleicht ein böser Zwilling? Inzwischen überraschte mich nichts mehr und ich traute diesen Leuten alles zu.

Mrs Huston, oder ihr böser Zwilling, lachte und verschluckte sich fast an ihrem Keks. Ich sah mich um, eilte schnell auf das Tablett zu, dass Mrs Huston oder Zwilling auf mein Bett abgestellt hatte, und reichte ihr das Glas Orangensaft. Sie trank es in zwei Zügen aus.

"Danke Liebes." Sie reichte mir das Glas zurück, welches ich einfach auf eines der, inzwischen leeren, Regalbretter meines Schrankes stellte.
Dann verschenkte ich die Arme vor der Brust und sah sie weiterhin wachsam an. Aber Mrs Huston lächelte mich nur amüsiert an. "Schätzchen, seit deiner Ankunft hier bist Du praktisch eine wandelnde Leiche aus Porzellan."
Ich presste die Lippen zusammen. 
War es wirklich so sehr außer Kontrolle geraten? "Ich brauche eine Jeans", teilte ich Mrs Huston mit. Die alte Dame kicherte. "Ich fürchte, diese wirst du hier nicht finden." Sie griff in ihre Schürzentasche und holte ein Smartphone heraus. Schwarz und beinahe so dünn wie Papier.

"Ein Geschenk von Lord Lockheart." Ich betrachtete das Handy wie ein Insekt. "Er hätte mir leiber eine Jeans geben sollen", murmelte ich. Oder sich wenigstens verabschieden sollen. Wut stieg in mir hoch. Fluchend wandte ich mich ab, zog das erstbeste Kleid vom Kleiderbügel und zog es mir über. Ohne wirklich darauf zu achten, was ich da anzog kramte ich noch ein paar gelbe Ballerinas (das einzige Paar flache Schuhe) heraus.

Ich zögerte einen Moment, drehte mich dann wieder zu Mrs Huston um, die mich neugierig beobachtete, und nahm ihr dass Handy ab. "Ich bin heute Abend wieder zurück", teilte ich ihr mit.
"Wohin gehst du denn?", rief Mrs Huston mir hinterher. Halb hatte ich schon erwartet, sie würde mich aufhalten wollen. Ohne anzuhalten rief ich über meine Schulter: "Raus!"

Schachmatt #2 ~der letzte Zug des Königs~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt