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Ein Tier. Animalisch, wild und unkontrollierbar.

Ich hatte bis zu diesem Augeblick immer geglaubt, Ethans Kühle, arktische Seite wäre das schlimmste an ihm. Seine berechenbare und sadistische Seite, die furchterregenste. 

Aber das hier war so viel viel schlimmer.
"Ethan?"
Seine Augen waren starr auf mich gerichtet. Fuhren wie wild an mir auf und ab.
Das Grün seiner Iris erschien viel dunkler und seine Pupillen waren unnatürlich geweitet.

War es denn möglich... "Ethan... stehst du unter Drogen." Seine nächste Reaktion erfolgte so schnell, dass ich kaum reagieren konnte. Das Glas, das ich bis vorhin noch nicht bemerkt hatte, flog aus seiner Hand direkt auf die Wand einige Meter neben der Tür zu seinem Zimmer und zerbrach mit einem heftigen Klirren.

Tropfen von einer Flüssigkeit spritzten auf meine Wange und ich kam nicht umhin mich zu fragen, ob er wohl Scotch oder Whiskey getrunken hatte. Bei letzterem sah die Sache übel aus. 

Ich hatte auf die Harte Tour gelernt, dass Ethan Whiskey verabscheut und ihn nur trank, wenn er mit etwas äußerst unzufrieden war. 

Beim ersten Mal hatte ich ihn leicht angetrunken beim Abendessen im Herrenhaus gefragt, ob er sich noch mit der Frau vom Ball treffen würde. Keine Ahnung wieso, aber danach war er die ganze Zeit nur noch schlecht drauf gewesen und hatte eine ganze Flasche bis zum Boden leer getrunken. In dieser Nacht hatten mehr Exekutionen statt gefunden als in jeder anderen.

Aber egal in welcher Stimmung er bisher war, er war niemals handgreiflich geworden oder hatte etwas auch nur in meine Richtung geniest... im Gegensatz zu mir. Klar, seine Todesdrohung stand nach wie vor, aber sonst...

 Des weiteren hatte ich bisher auch nie die Vermutung gehabt, dass er sich an Drogen vergreifen würde. Dieses Zeug machte ihn unberechenbar. Und zu einem Tier, wie es schien. 

"Wo warst du..." Es dauerte einige Sekunden, bis ich mir darüber klar wurde, dass diese heißere Stimme von ihm kam. Keine Spur mehr von seiner kühlen und gefährlichen Eleganz. Mein Herz zog sich zusammen. Er klang, als hätte er stundenlang geschrien. 

Trotz der Tatsache, dass er mit Gläsern um sich schmiss, näherte ich mich ihm einen Schritt. Sein Anblick gefiel mir nicht. Er erinnerte mich an sein zerstörtes Zimmer und sein verstörtes Gesicht an jenem Abend. Diese leere wollte ich nie wieder sehen, da war mir die Wut tausend mal lieber. "Ethan, ist alles ok? Du-" 

"Wo.Warst.Du?" Sein Brustkorb erzitterte unter diesen Worten. Die Hände hatte er neben sich zu Fäusten geballt, während meine nutzlos und schlaff an mir herab hingen. Ich schluckte. Am liebsten würde ich ihn anschreien, wütend auf ihn werden. Ist ja nicht so, als hätte ihn das vorher irgendetwas gekümmert. Oder das er der Grund dafür war, weshalb ich mich vor ihm, der Welt und vor mir selbst verkroch. Jedoch hielt mich etwas, vielleicht das letzte Bisschen Vernunft in mir, zurück, genau das zu tun. 

Stattdessen konnte ich ihn nur fragend und ein bisschen hilflos anstarren, da Schweiß von seinem Gesicht tropfte und sein ganzer Körper in Abständen anfing zu zucken.

"Hier", gab ich ein wenig atemlos und mit reichlicher Verspätung die zurück. 

Das war wohl der Tropfen gewesen, der das Fass zum überlaufen brachte. Er wirbelte auf dem Absatz herum, marschierte zur nächst gelegenen Wand und hieb mit seinen Fäusten auf sie ein. 

"Ethan!" Entsetzt hechtete ich an seine Seite, versuchte ihn an seinen Armen festzuhalten, aber es war, als wäre ich gar nicht anwesend. Er drosch immer heftiger auf die Wand ein, Blut spritzte, er schaffte es sogar, den Marmor ein paar Risse zu verpassen, bis ihm für einen Moment die Luft wegblieb. Erneut zog ich mit aller Kraft an seinem Hemd. Seinen Muskeln spannten sich an und er fuhr aggressiv zu mir herum, zuckte aber in dem Moment zurück, in dem er mein Gesicht sah. 

Ich hatte keine Ahnung, wann ich angefangen hatte zu weinen. Sein Anblick jedoch... jagte mir solche Schmerzen ein, als wäre ich diejenige, die auf Marmor eingeprügelt hätte. Dummes, dummes Herz. Könntest du doch bloß aufhören zu heftig zu schlagen.

"Wenn du dich abreagieren willst, dann geh laufen oder kauf dir einen Sandsack, aber HÖR AUF DIR WEH ZU TUN!" 

Letztlich zog ich so fest, dass das feine Material in meinen Händen riss wie Papier, was sich jedoch gut anfühlte, weshalb ich es gleich noch mal tat. Dabei hatte dieses Hemd wahrscheinlich ein vermögen gekostet, wie jedes andere seiner Kleidungsstücke wahrscheinlich auch. 

Ethan entriss sich mir und taumelte ein paar Schritte zurück. "Ich müsste mich erst überhaupt nicht abreagieren, wenn du mir verfickt noch mal gesagt hättest, wo du hin gehst!" Er knurrte und brüllte und das er auf vulgäre Wörter zurückgriff sollte mir wahrscheinlich auch zu denken geben, dafür wühlte mich der Anblick seines Blutes jedoch viel zu sehr auf. 

"Wohin soll ich einer fremden Stadt denn schon hin!!! Was kümmert es dich überhaupt!" 

Männer. Egozentrische Vollidioten. Wutschnaubend drehte ich mich um und überlegte ob es hier wohl einen Verbandskasten gab. Aber ich war kaum zwei Schritte gegangen, da hielt er mich am Ellbogen fest und wirbelte mich zu ihm herum. "Wohin willst du !?"

"In mein Zimmer", log ich und versuchte mich aus seinem Griff zu winden. 

Jetzt kam er mir so nah, dass ich seinen Atem riechen konnte. Definitiv Whiskey. "Nein", fauchte er. Ich hob eine Augenbraue. "lass mich los Ethan." 

"Nein", wiederholte er und verstärkte seinen Griff. "Nein, nein, NEIN!"

Ich zuckte beim letzten Wort zurück, da stürzte er sich schon auf mich. Sein Kuss war so heftig, so drängend, dass wir beide zurück taumelten. Seine Zunge drängte sich in meinen Mund und schlang sich um meine. Seine Hände fuhren in meine Haare, strichen an meinen Hals entlang , hinterließen eine Spur von seinem Blut an mir und zogen mich schließlich drängend an ihn. Als wäre er am ertrinken und ich sein einziger Rettungsring weit und breit.

Ich kam nicht mal auf die Idee mich zu wehren. Nein, Verteidigen war nicht meine Art. Stattdessen kämpfte ich mit aller Macht zurück. Ich schlang meine Arme ebenfalls um ihn und kratzte auch noch das letzte bisschen unverschonte Stoff von ihm. 

Meine Nägel fuhren über seine Haut, woraufhin ein animalisches knurren von sich gab. Das war es. Genau das. Mit niemanden fühlte ich mich so lebendig wie mit ihm.

Plötzlich zog er sich zurück. Seine Lippen schwebten immer noch über meinen, berührten sie jedoch nicht mehr, was mich beinahe hätte frustriert aufschreien lassen. 

"Nicht hier", krächzte er und hob mich mit einem einzigen Schwung hoch. Dabei schlossen seine Arme sich so fest um mich, dass ich beinahe das Gefühl bekam, er hätte Angst, mich fallen zu lassen... Als wäre ich von der einen auf die nächste Sekunde plötzlich nicht mehr da.

Aber er war nun mal Ethan Lockheart und eher würde die Hölle zufrieren, als wenn er so etwas denken würde. Nur mein dummes Herz musste sich darüber noch klar werden.

Schachmatt #2 ~der letzte Zug des Königs~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt