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Das Gewähr rutschte aus meinem verschwitzten Händen und landete polternd auf dem Boden. Überall war Blut. Überall lagen regungslose Menschen.

Und bei zwei von ihnen, trug ich Schuld. Wie in Zeitlupe kippte der Mann um. Das Messer immernoch erhoben, dessen Spitze auf Ethans ungeschützten Rücken zielte.

Verdammt, ich glaube, ich habe gerade meinem größten Widersacher das Leben gerettet.

"Bist du... verletzt?" Meine Stimme war seltsam fest. Fast so, als würde ich gemütlich irgendwo mein Leben genießen und nicht inmitten eines Schlachtfeldes stehen.

Ethans Blick verdüsterte sich und ich machte mich schon auf einen erneuten Ausbruch gefasst. Bis ich bemerkte, dass Ethan meine Schulter ansah, wo ich mir mit dem Absatz in die Haut gebohrt hatte.

"Das war ich", beeilte ich mich zu sagen, bevor er die Beherschung verlor. In den Augen anderer konnte er noch so ruhig wirken. Im Wirklichkeit jedoch, lag er ständig auf der Lauer. "Du?" Ethan Klang das erste mal, seit ich kannte, entsetzt.

"Ich habe ihnen die angeschossene Frau gespielt", gab ich schulterzuckend zu. Als einer der Kerle sich schließlich hinter die Säule getraut hatte, hatte ich mich einigermaßen beruhigt und ihn bereits erwartet.

Ohne angeben zu wollen, hätte ich nie erwartet, sein Auge zu treffen.

Ethan ließ das Messer, sowie seine Pistole fallen. Streifte sein Blut bespritztes Jacket von sich und kam mit einer Eleganz auf mich zu, die mir jedes mal den Atem raubte.

Mit einer sanftheit, die mich beinahe in die Knie zwang, legte er es um meine nackten Schultern. Er öffnete den Mund, schloss ihn, nur um ihm im nächsten Moment erneut zu öffnen. Sprachlos hatte ich ihn auch noch nie erlebt. Es gab also doch noch Wunder auf dieser Welt.

Seine Augen bohrten sich in meine und wie der Apfel durch die Gravitation vom Ast fällt, so zog Ethan mich mal wieder in seinen Bann. Mit dem winzigen Unterschied, dass ich diesmal nicht ertrank.

Er ließ mich los, trat einen Schritt zurück, und sah mich seltsam zurückhaltend an. Nicht wie sonst, auf eine kühle und distanzierte Weise, sondern... anders. Ein besseres Wort fiel mir dazu nicht ein.

Eine kühle Brise streifte meine nackte Haut und ich zog das Jacket enger um mich. "Wollen Wir?" Ohne wirklich seine Antwort abzuwarten ging ich los, um endlich hier raus zu kommen.

Die Abendluft verschaffte mir etwas Linderung. Sie Vertrieb den Gestank nach Eisen und Rauch. Als ich die Stufen langsam hinabzusteigen begann, zitterten meine Beine so plötzlich, dass ich beinahe den Halt verlor.

Eine Hand an meinem Ellbogen hinderte mich an einem Absturz. "Vorsicht", murmelte Ethan. Er war mir so nahe gekommen, dass sein warmer Atem meinen Nacken streifte.

Tief Luft holend schüttelte ich das Vernebelte Gefühl in mir ab und sagte leise: "Danke."

Den Rest des Abstieges schaffte ich alleine. Dabei fragte ich mich, wer auf diese bescheuerte Idee gekommen war, so viele Stufen zu bauen!?
Ich meine, wieso kein Aufzug? Wieso Stufen. Stufen waren anstrengend. Man kam verschwitzt und außer Atem oben an, was brachte das einem?

Ein historisches Lachen brodelte in meiner Kehle, wollte sich gewaltsam heraus kämpfen. Nur mit Mühe konnte ich es herunter schlucken. Dies war keine Situation, in der man Lachen sollte. Eine einzelne Träne kullerte mir die Wangen hinab. Ich wischte sie nicht weg.

Ich vergoss sie für all die Opfer, die heute entstanden waren. 

Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Der Anblick ihrer Träne ließ eine solche Gewaltbereitschaft in ihm wachsen, die er so in seinem ganzen Leben noch nie verspürt hatte.

Für diese Träne musste jemand bezahlen. Sie hatte schon vorher geweint. Hatte schon vorher den Ort berührt, an dem Ätzte felsenfest behaupteten, dort läge sein Herz.

Vor nicht mal einer Stunde hatte er überlegt, wie er sie brechen wollte. Und doch... Und doch löste wieder eine Reaktion von ihr etwas in ihm aus.

Wie sie barfuß, in einem zerrissenen Kleid und mit einem Maschinengewehr vor ihm gestanden hatte.... ihm... geholfen hatte....
Und das obwohl sie Gewalt ganz offensichtlich verabscheute.

Frustriert fuhr er sich durchs Haar. Was war das nur, was ihn dermaßen zurück hielt, daran hinderte, seine Pläne bei ihr in die Tat umzusetzen.

Wieso gefiel ihm die Art wie sie sprach. Leidenschaftlich, feurig. Wieso sprach es ihn so sehr an, wie ihre Augen aus flüssiger Schokolade dabei leuchteten. Wieso machte er überhaupt so einen bescheuerten Vergleich?!
Wieso ließ es sein Herz schneller schlagen, wenn sie wütend wurde. 
Wieso kam er nicht darüber hinweg, das, obwohl sie in Gefahr gewesen war, sie unbedingt hatte ins Krankenhaus müssen, um nach jemanden zu sehen, den sie gerade mal ein paar Tage gekannt hatte.

Wieso, Wieso, wieso.

Vielleicht war er krank? Wenn er so darüber nachdachte, klopfte sein Herz in letzter Zeit viel zu schnell. Seine Ausbrüche waren schlimmer geworden und er schlief nicht mehr richtig.

Gleich wenn sie zurück im Hotel waren, würde er seinen Arzt aus London einfliegen lassen. Und danach... danach würde er sich um diejenigen kümmern, die für diese Träne verantwortlich waren.

Schachmatt #2 ~der letzte Zug des Königs~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt