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Sie brachten ihn weg. Heute morgen  hatten sie ihn von seinen Ketten befreit und mitgenommen. Er war viel zu schwach gewesen, eine Flucht überhaupt zu versuchen. Seine Proteste waren längst verstorben. Eine Mahlzeit pro Tag gaben ihm einfach nicht die nötige Energie.

Den Verband hatten sie ihm noch immer nicht abgenommen, wofür er wahrscheinlich jedem erdenklichen Wesen im Himmel danken sollte.

Während er abtransportiert wurde, fiel er in eine Art Delirium. Vorhin hatte sich etwas spitztes in die Haut seines linken Armes gebohrt. Eine Spritze, die vermutlich oben hin voll mit Drogen gewesen war. Seine Augenlieder flatterten und plötzlich, befand er sich nicht mehr in irgendeinem fahrenden Gefährt, sondern auf dem Anwesen seiner Familie.

Es war ein sonniger und warmer Tag gewesen. Seine Eltern hatten ein großes Fest gegeben und von überall her Drang Gelächter und fröhliche Rufe. Eine Gruppe von Kindern umschwärmte ihn und er genoss die Aufmerksamkeit. Sie...sie hatten ein Spiel gespielt.

Einer von der Dienerschaft war ihnen hinterher gelaufen und hatte versucht, sie alle zu fangen. Er war in das Anwesen gerannt und hatte sich alles von den Fenstern aus im obersten Stock angesehen. Er liebte es, wenn andere nach seiner Pfeife tanzten, ohne es zu wissen.

Die Erwachsenen waren an der angrenzenden Terasse mit sich selbst beschäftigt und bemerkten nicht, wie ihre Kinder auf den Irrgarten zusteuerten, den sein Vater so sehr liebte. Sein Blick fiel auf den Diener, den er zum Fänger auserkoren hatte.

Am Anfang des Spieles hatte er noch ruhig, Ja, sogar ein bisschen genervt gewirkt. Jetzt stand ihm die Panik ins Gesicht geschrieben. Dieser Mann würde spätestens heute Abend in seiner eigenen Blutlache krepieren. Denn es war seine Aufgabe, dass die Kinder in Sicherheit blieben. Und der Irrgarten, war alles andere als sicher.

Sein Vater hatte einen Irrgarten aus der Antiken Mythologie als Vorbild genutzt, in dem wohl irgendein Monster gehaust hatte.

Der Junge hatte die genervten Blicke des Dieners durchaus schon des öfteren wahrgenommen, während er seine Arbeit verrichtet hatte. Er empfand sich als etwas besseres, weil er mit der Dame des Hauses, seiner Mutter, ins Bett stieg. Natürlich hätte er den Diener auch einfacher bestrafen können, was aber nicht halb so viel Spaß gemacht hätte.

Ein böses Grinsen zupfte an seinen Lippen und er tat sich schwer, es wieder durch sein Engelsgleiche Lächeln zu ersetzten. Alle Beteiligten befanden sich jetzt im Irrgarten. Jetzt war er dran. Er würde zu seinem Vater gehen und nach den anderen Fragen. Er habe sich nur kurz erfrischen wollen und als er wiederkam, seien schon alle weg gewesen.

Er drehte sich auf dem Absatz um, bereit, wieder nach unten zu gehen, als er aprubt stoppte und die Ohren spitzte. Von irgendwoher Drang Musik. Eine leise, traurige Melodie. Er folgte dem Klang und je näher er kam, desto besser konnte er das Stück einordnen. Es war die Melodie eines einfachen französischen Kinderliedes, welches seine Amme ihm immer vorgesungen hatte, bevor sie mit aufgeschlitzter Kehle in ihrem Zimmer gefunden worden war.

Vor einer verschlossenen Tür blieb er stehen. In diesem Trackt des Anwesens hielt er sich fast nie auf. Aber die Melodie kam eindeutig aus diesem Raum. Er Griff nach der Klinke und drückte sie nach unten. Die Tür schwang ohne Geräusch auf und er sah sich einem Mädchen mit dicken, dunklen Zöpfen wieder, die ein weißes, leicht verschmutztes Kleid trug.

Die Sonne fiel durch die Deckenfenster in einem schrägen Winkel genau auf sie und ließ sie auf himmlische Art und Weise leuchten. Er kannte dieses Mädchen nicht. Jedoch schien ihre Unschuld ihm gerade zu anzulocken. Wie eine Motte zum Licht. Er wollte nichts lieber tun, als sie unter seiner Fußsohle zu zertreten.

Schachmatt #2 ~der letzte Zug des Königs~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt