Abschied

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Ich lag mit geschlossenen Augen am Boden, doch es war ein gutes Gefühl. Ich fühlte mich leicht und unbeschwert. Ich hatte keine Schmerzen mehr, ich war einfach nur... glücklich.
Ich öffnete langsam die Augen, um mich herum war alles weiß. War das etwa Nebel? Vorsichtig stand ich auf und sah mich um, doch ich sah nichts außer weiß. Wo war ich? Wie war ich hier hin gekommen? Ich ging ein paar Schritte und versuchte in dieser Nebelsuppe etwas zu erkennen, doch da gab es nichts. Was war geschehen? Ich spürte, dass ich eigentlich an einem anderen Ort sein müsste. Einem Ort, an dem etwas oder jemand auf mich wartete. Und doch wollte ich nicht dorthin zurückkehren. Hier gab es keinen Schmerz, keine Trauer, hier war ich einfach nur ich.
"Kate", sagte eine Stimme hinter mir. "Meine kleine Kate!"
Obwohl ich eigentlich zu Tode erschrecken müsste, tat ich das nicht. Langsam drehte ich mich um und sah einen Schatten auf mich zukommen, dessen Konturen immer schärfer wurden, je mehr er sich mir näherte. Als er etwa 3 Meter von mir entfernt stehen blieb, erkannte ich die Gestalt einer alten Frau. Sie war in etwa so groß wie ich, etwas pummelig und hatte kurze graue Locken. Ich sah ihr tief in die Augen, es waren meine eigenen. Diese Frau hätte ich unter tausenden wieder erkannt, doch ich musste mich vergewissern.
"Granny", fragte ich unsicher.
Die alte Dame lächelte und nickte bestätigend.
"Oh, Granny", rief ich, überwand die kurze Distanz zwischen uns beiden und umarmte sie fest, obwohl ich mir zuerst unsicher war, ob ich das überhaupt konnte. Es war die verstorbene Mutter meines Vaters, meine Granny und die mir immer die liebste gewesen war. Als ich klein war, war ich oft bei ihr gewissen und sie hatte mir alles gekauft, was ich wollte. Wie tief war meine Trauer gewesen, als sie vor 3 Jahren plötzlich gestorben war.
"Granny, was machst Du hier", wollte ich wissen. "Was ist das für ein Ort? Granny, bin ich etwa tot und im Himmel?" Fragen über Fragen schossen mir in den Kopf.
"Ich weiß nicht", antwortete meine Großmutter. "Bist Du es? Du machst mir eigentlich noch einen recht lebendigen Eindruck."
"Also bin ich nicht tot?"
"Das, meine liebe Kate, ist Deine Entscheidung."
"Was meinst Du damit? Wo bin ich hier?"
Noch einmal sah ich mich um, doch ich konnte immer noch nichts erkennen. Da war immer noch dieser Nebel.
"Kate, das hier ist ein Zwischenraum", riss mich meine Granny aus den Gedanken. "Das bedeutet, dass Du entweder weitergehen oder in Deine Welt zurückkehren kannst. Die Entscheidung liegt bei Dir."
"Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr."
"Du hast Dich aus Liebe zu einem Mann geopfert, einem ziemlich knackigen Mann, muss ich Dir sagen, und so bist Du hierher gekommen."
Draco! Plötzlich fiel mir alles wieder ein: das Duell mit Fenrir Greyback, Dracos Zauberstab, der ihm aus der Hand gerissen wurde, ein grüner Lichtblitz und dann... Stille, Dunkelheit...
"Also bin ich doch tot?"
"Nein, Kate, noch nicht. Wie gesagt, Du hast die Wahl. Wenn Du weitergehst, über die Brücke, die dort vorne im Nebel verborgen liegt, dann bist Du tot und kannst nie mehr in Deine Welt zurückkehren. Aber wenn Du zurückkehren willst, dann kannst Du das jetzt noch tun. Du musst Dich nur dazu entschließen."
"Aber wie kann ich das?"
"Oh, das ist ganz einfach."
Meine Großmutter vollführte eine Kreisbewegung mit der Hand und der Nebel begann, sich langsam aufzulösen. Ich konnte immer mehr erkennen und plötzlich sah ich sie rechts von mir, etwa 500 Meter entfernt: die Brücke. Es war eine weiße, alte Steinbrücke, die sich über einen großen Fluss spannte. Die Strömung des Wassers war nicht allzu stark. Doch viel interessanter war, was hinter der Brücke lag. Ich sah weiße Sandstrände und dahinter ein fernes, grünes Land vor einer rasch aufgehenden Sonne. Es war traumhaft schön. Hier könnte ich leben.
"Das ist wunderschön", flüsterte ich meiner Granny zu.
"Ja, das ist es", antwortete sie. "Das pure Glück. Dort gibt es keine Trauer, keinen Schmerz, keine Verzweiflung, nichts dergleichen."
Ich machte schon einen Schritt auf die Brücke zu, dann noch einen, noch einen, doch dann kam mir ein Gedanke dazwischen. Ich drehte mich um und sah mitten auf die Waldlichtung. Ich sah Draco, wie er meinen leblosen Körper im Arm hielt und mich wie ein Baby wiegte. Tränen liefen ihm über die Wangen.
"Katherine, mein Schatz", flüsterte er und ich konnte seine Worte klar und deutlich verstehen, obwohl ich ein ganzes Stück weit weg stand. "Katherine, bitte, Du musst aufwachen. Geh nicht weg, lass mich nicht alleine. Du hast es mir versprochen. Ich liebe Dich!"
Mein Leichnam rührte sich nicht.
"KATHERINE", ich spürte seinen verzweifelten Schrei tief im Inneren meines Herzens. Tränen liefen mir über die Wangen, ich hatte meinen Schatz noch nie so leiden sehen.
Ich drehte mich zu meiner Granny um, die mich erwartungsvoll ansah.
"Ich möchte zurück", sagte ich zu ihr.
"Bist Du Dir sicher", wollte sie wissen. "Du gibst eine Welt voller Glück und Freude auf. Wenn Du zurück gehst, wirst Du Schmerzen haben, Du wirst leiden, verzweifelt und unglücklich sein."
"Nein", gab ich zurück. "Ich werde vielleicht Schmerzen haben, aber ich werde nicht unglücklich sein. Wenn ich zurückkehre, dann mache ich Draco zum glücklichsten Menschen der Welt und wenn er glücklich ist, wie kann ich dann unglücklich sein?"
"Gut, Kate, wie Du es willst", sagte Granny und umarmte mich noch einmal zum Abschied. "Wir werden uns bestimmt wiedersehen. Gehe jetzt durch das Tor und kehre zurück in Deine Welt. Und sei stark, mein Mädchen!"
Sie schenkte mir noch ein Lächeln und verschwand. Ich wandte mich der Lichtung zu, machte einen Schritt und kehrte zurück.

Wenn aus Feindschaft Liebe wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt