Die Helden kehren zurück

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Tick, tack, tick, tack, tick, tack.
Wie grausam so eine Uhr sein kann, denn sie zeigt einem, wie viel Zeit in Wirklichkeit vergeht. Zeit, das ist schon so eine verdammte Sache: mal vergeht sie rasend schnell, so dass man gar nicht mehr weiß, wohin sie eigentlich gegangen ist. Im einen Moment steht man in der Früh auf und in der nächsten Sekunde legt man sich schon wieder schlafen. Und dann wieder schleicht sie dahin wie eine Schnecke bei einem Langsamkeitswettbewerb. Man meint, es müssten schon mehrere Stunden vergangen sein und wirft man dann einen Blick auf die verfluchte Uhr stellt man fest, dass erst weitere fünf Minuten vergangen sind.
Genau so erging es uns drei Frauen jetzt. Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut, denn es war mir die letzten fünf Wochen nicht anders ergangen.
Ginny und ich waren im Wohnzimmer, während Mrs Weasley ständig im Garten ihre Kreise zog. Sie kam nur ab und zu kurz herein, um einen Blick auf ihre magische Uhr zu werfen, deren neun Zeiger alle ausnahmslos auf „tödliche Gefahr" wiesen. Meine Eltern hatten genau so eine Uhr in der Küche stehen, nur dass es bei uns nur drei Zeiger gab. Wohin nun der meine wies? Wer weiß, vielleicht war ich mittlerweile auch in tödlicher Gefahr. Aber waren wir das nicht alle? Meiner Meinung nach schon. So lange Voldemort da draußen war, war kein Mensch auf dieser Welt in Sicherheit. Er konnte es auf jeden abgesehen haben. Man war nirgendwo vor ihm sicher. Überall konnte er einem auflauern. Oder man war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.
„Ich halte das verdammt noch mal nicht mehr aus", schrie Ginny und sprang vom Sofa auf.
Ich zuckte dermaßen zusammen, dass ich mein Butterbier verschüttete, welches ich in der Hand gehalten hatte. Na toll, jetzt hatte ich einen riesigen weißen Fleck auf meiner schwarzen Hose, der aussah wie Sperma. Hmmm, Sperma, das erinnerte mich an Sex (Herrgott nochmal, Kate, wie kannst Du jetzt nur an Sex denken?) und... Draco. Bumm, da war es wieder: das gehasste schwarze Loch, das mich in die Tiefe zog. Als läge ich nicht schon am Boden. Konnte ich denn in noch tiefere Gefilde sinken?
„Diese Warterei treibt mich noch in den Wahnsinn", rief Ginny laut und begann durchs Wohnzimmer zu tigern. „Ich ertrage es nicht mehr, hier herum zu sitzen und ständig auf meine bescheuerte Armbanduhr zu schauen. An uns hat wohl bei diesem tollen Plan keiner gedacht. 'Lassen wir die dummen Weiber doch einfach alleine zuhause rumsitzen. Die werden sich schon irgendwie beschäftigen!' Ja genau, mit was denn bitte? Mit auf die Uhr glotzen. Fehlt nur noch, dass Mum herein kommt und Ihre bescheuerte Celestina-Warbeck-CD einlegt. Das wäre mindestens genauso schlimm. Jetzt sag doch auch mal was, Kate? Sitz nicht einfach nur so da und starre Löcher in die Wand!"
Sie ließ ihren Frust an mir aus, ganz klar. Ich konnte sie verstehen. Ich wüsste nicht, wie ich drauf wäre, wenn nahezu meine ganze Familie bei solch einer Aktion dabei wäre, zusätzlich noch meine Freundin und der Mann, den ich über alles liebte. Ich würde wahrscheinlich auf alles einschlagen, was mir in die Quere kam.
„Ach, Ginny", seufzte ich schwer. „Ich weiß doch selbst nicht, was ich sagen soll. Es kommt mir einfach falsch vor, sich jetzt über Nichtigkeiten zu unterhalten. Ich muss ständig daran denken, was den anderen alles passieren könnte. Ich wäre so gerne dabei und würde dem einen oder anderen Todesser in den Hintern treten, auch wenn es noch so gefährlich wäre. Aber es ging nun mal nicht. Und deshalb sitzen wir jetzt hier und uns bleibt gar nichts anderes übrig, als zu warten. Auch wenn es uns noch so schwer fällt, was anderes können wir nicht tun. Aber Du kannst gerne mit mir reden, Ginny, wenn es dir dann besser geht. Ich höre Dir gerne zu."
Ich hasste so etwas, ich war einfach keine Therapeutin. Ich wusste nie, welche Ratschläge ich meinen Freundinnen geben sollte, wenn sie zu mir kamen um sich auszuheulen. Sie bekamen dann oft meine rüde Art zu spüren, auch wenn ich nur das beste für sie wollte. Manchmal kamen sie aber auch mit einer Scheiße daher. Ich erinnerte mich nur zu gut an letztes Schuljahr, als Ginny von mir wissen wollte, ob sie mit ihrem damaligen Freund Dean Thomas schlafen sollte oder nicht. Ich meine, wer bin ich denn? Die Sexberatungsstelle von Hogwarts oder was? Im Leben nicht! Ich hatte ihr letztendlich geraten, es nur zu tun, wenn sie Dean auch wirklich liebte. Und was machte sie? Sie hatte beschlossen, es doch zu tun, obwohl sie ihn nicht liebte, aber Gott sei Dank war es dann doch nicht mehr dazu gekommen. Daran sieht man aber mal wieder: zuerst kommen die Leute zu einem um anschließend doch auf den Rat zu pfeifen.
„Tut mir leid, Kate, ich wollte Dich nicht so anpflaumen", meinte Ginny und ließ sich wieder neben mir auf das Sofa fallen. „Ich bin einfach so durch den Wind. Es ist nicht nur wegen heute, verstehst Du? Ich meine, klar mache ich mir Sorgen, dass die anderen von Todessern angegriffen werden könnten, aber das alleine ist es nicht. Ich sterbe fast bei dem Gedanken, dass Harry loszieht um die Horkruxe zu finden und letztendlich Du-weißt-schon-wem gegenüber stehen wird um ihn zu töten. Und dann auch noch die Trennung. Sicher kann ich verstehen, dass Harry mit mir Schluss gemacht hat, aber es tut einfach so weh. Verstehst Du? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich die nächsten Wochen überstehen soll. Ihm so nahe zu sein und ihn dennoch nicht berühren und küssen zu können. Das macht mich wahnsinnig!"
Ich sah, dass Ginnys Augen mittlerweile in Tränen schwammen. So kannte ich sie gar nicht. Normalerweise war sie immer die Starke, die nie auch nur eine Träne vergoss. Ganz klar, wenn man mit sechs Brüdern aufgewachsen war, da bekam man sicher so einiges ab. Ich überlegte kurz, ob ich meine Freundin überhaupt schon einmal richtig weinen gesehen hatte, aber mir fiel nicht eine Situation ein.
„Hey, Maus, komm her", sagte ich ruhig. Ich überwand die kurze Strecke zwischen uns und nahm sie fest in den Arm. Ginny kuschelte sich an meinen Hals und begann leise zu schluchzen. „Ich weiß, diese ganze Sache ist scheiße. Aber schau, Harry musste Dich verlassen um Dich aus der Schusslinie zu bringen. Was meinst Du, was passieren würde, wenn Voldemort von der Beziehung zu Dir erfährt? Er würde versuchen, Dich zu entführen um dadurch an Harry heran zu kommen. Er würde wissen, dass Harry es nie zulassen würde, dass Dir etwas geschieht. Und wer weiß, wenn der Orden oder Harry es schaffen sollten, Voldemort zu töten, dann könnt ihr wieder zusammen sein. Und das werdet ihr, ganz sicher."
„Ich weiß ja", schniefte meine Freundin. „Aber was soll ich die nächsten Wochen nur anstellen, Kate? Ich kann mich nicht von ihm fernhalten. Das schaffe ich einfach nicht. Jedes Mal, wenn ich ihn anschauen werde, werde ich daran denken müssen, wie glücklich wir waren und wie wir..."
„Ja, Ginny, es wird schwierig werden. Aber wenn es jemand schafft, dann Du. Du musst einfach stark sein. Schau, was meinst Du, wie es mir ging, als Draco letztes Jahr mit mir Schluss gemacht hat? Ich war nicht umsonst so lange im Krankenflügel und konnte kein Wort reden. Die Qual hat mich von innen heraus aufgefressen. Ich konnte nicht ohne ihn und dennoch wusste ich irgendwie, dass es wahrscheinlich das beste für uns war. Aber Du bist stärker, Ginny. Du packst das, das weiß ich und wenn nicht, dann bin ich ja da, um Dir zu helfen. Ich trete Dir schon in Deinen sexy Hintern, damit Du nicht in so einen Deprisumpf fällst wie ich."
„Danke, Kate, das ist lieb, aber ich weiß nicht, ob Du mir überhaupt helfen kannst. Ich meine, Du kannst mir Harry nicht ersetzen. Vor allem die Nächte werden schlimm werden. Gott, wie soll ich es nur ertragen, dass er gerade einmal ein paar Meter von mir entfernt schläft?"
„Oh, das ist kein Problem. Wenn Du willst, kuschele ich mich gerne zu Dir ins Bett. Solange Du nicht von mir verlangst, Dich zu küssen oder so, spiele ich da gerne mit."
Ich konnte erkennen, dass Ginny, wenn auch widerwillig, grinsen musste.
„Nein, danke, das brauchst Du nicht. Bei mir schlafen, meine ich. Und das Küssen natürlich auch nicht!"
„Na, dann wäre das ja geklärt." Ich versuchte, mir ein schelmisches Lachen zu verkneifen, versagte aber auf ganzer Linie.
Ginny hatte recht gehabt, das Reden tat doch gut und es lenkte uns von der blöden Warterei ab.
„Aber sag mal, Kate, wie geht es Dir eigentlich? Nach allem, was Du letzten Monat durchgemacht hast. Hat Malfoy sich mal bei Dir gemeldet?"
Wie gerne hätte ich jetzt gesagt: „Hey, mir geht es super, mach Dir um mich keine Sorgen. Draco schreibt mir täglich (oder wenigstens ab und zu)." Aber das wäre eine glatte Lüge gewesen, deswegen rückte ich mit der Wahrheit heraus. Wer weiß, vielleicht tat es ja wirklich gut, sich den ganzen Mist einmal von der Seele zu reden.
„Na ja, es könnte besser gehen", meinte ich deshalb zögerlich. „Wie Du schon sagst, die Nächte sind am schlimmsten. Entweder liege ich die halbe Nacht wach und denke an Draco oder ich träume irgendeine Scheiße. Ich versuche, nicht ständig an das alles zu denken, aber es gelingt mir nur selten. Aber ich muss einfach stark sein, wenn ich wenigstens eine Chance haben will, wieder mit Draco zusammen zu sein. Er hat mir gerade mal einmal geschrieben und das waren drei verfickte Buchstaben. Ich meine, hallo, geht's noch? Ich sollte ihm doch eigentlich mehr wert sein. Ich meine, ich verstehe ja, dass es für ihn gefährlich ist und dass er wahrscheinlich überwacht wird, aber drei Buchstaben? Scheißegal, dass die 'Ich liebe Dich' bedeuten. Ich bin einfach nur enttäuscht darüber, verstehst Du? Ich hatte mehr erwartet. Dass er alles dafür tun würde, dass wir sobald wie möglich wieder zusammen sein können. Ich halte das alles fast nicht mehr aus, weil ich ihn so sehr brauche."
Nun war es Ginny, die mich an sich drückte und, ich muss ehrlich sein, es tat gut. Nicht nur die körperliche Nähe, sondern auch das Gefühl, dass jemand für einen da war.
„Ach Kate, das tut mir ja so leid", sagte Ginny und streichelte mir kurz über den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass er Dich nur schützen will. Die Liebe zu Dir ist nicht nur gefährlich für ihn. Voldemort will Dich aus dem gleichen Grund wie er vielleicht mich will. Um Malfoy, in meinem Fall Harry, unter Druck zu setzen. Du musst einfach versuchen daran zu glauben, dass er Dich trotz allem liebt. Und das tut er, Kate. Sonst würde er das alles nicht auf sich nehmen und er hätte Dich nicht gefragt, ob Du ihn heiraten willst. Ich kann immer noch nicht fassen, dass Du 'Ja' gesagt hast. Ich meine, wir reden hier immerhin von Draco Malfoy, dem fiesen, schleimigen..."
„Ginny, ich habe Dir schon letztes Schuljahr tausend Mal erklärt, dass er nicht so ist", fuhr ich sie an. „Zu mir ist er anders wie zu Harry oder euch. Gut, ich gebe ja zu, dass er jahrelang auch mich drangsaliert hat, aber jetzt nicht mehr. Das ist alles nur Fassade. Herrgott nochmal, wann versteht ihr das endlich?"
„Ganz ruhig, Kate", versuchte mich meine Freundin zu beruhigen und ruderte sofort zurück. „Ich hab's kapiert. Man kann Menschen, die man gar nicht richtig kennt, nicht verurteilen. Ist einfach noch eine blöde Angewohnheit von mir. Entschuldige! Ich weiß, dass ihr euch liebt, okay? Und vielleicht kann ich ja, wenn das alles vorbei ist, deinen Auserwählten auch mal richtig kennen lernen. Wer weiß, vielleicht kann Malfoy mich ja vom Gegenteil überzeugen."
Ich bekam ein schlechtes Gewissen, dass ich Ginny so angefahren hatte. Das hatte sie nicht verdient. Sie war genauso fertig wie ich. Unsere Situationen ähnelten sich auch in gewisser Weise: von der Liebe ihres Lebens verlassen (in meinem Fall getrennt), keine Ahnung, wie man die Trennung überleben soll und noch dazu von Lord Voldemort verfolgt.
„Tut mir leid, Gin", meinte ich schuldbewusst. „Ich hätte Dich nicht so anmaulen dürfen. Das sind einfach nur meine Nerven. Wenn ich uns so anschaue, dann denke ich, dass wir schon zwei ganz schön kaputte, nervliche Wracks sind."
„Ja, da hast Du allerdings recht", antwortete meine Freundin und lächelte mich an. „Na ja, aber wer weiß, vielleicht ist geteiltes Leid ja halbes Leid."
„Ich hoffe es, Ginny, denn ich weiß nicht, wie ich diese ganze Scheiße sonst noch aushalten soll. Es war die letzten Wochen schon schlimm genug."
„Dann lass uns doch einfach versuchen, uns gegenseitig aufzubauen."
„Genau und wer weiß, vielleicht finden wir ja in der Zwischenzeit eine Lösung, wie wir dem ganzen ein Ende bereiten oder wenigstens dabei helfen können. Denn ich werde nicht eher ruhen, bis Voldemort tot ist und ich meinen Draco wieder habe."
„Das ist die richtige Einstellung, Kate. Zu einem Teil mutig und zu drei Teilen ein Narr. Und ich bin dabei. Du-weißt-schon-wer wird mich und Harry nicht auseinander bringen. Diesen Erfolg gönne ich ihm nicht."
„Ginny, Kate", ertönte Mrs Weasley Ruf von der Veranda herein. „Kommt nach draußen! Es ist gleich soweit."
Ich sah schnell auf die Uhr. Stimmt, der erste Portschlüssel sollte in fünf Minuten im Fuchsbau ankommen. Die Zeit war nun doch auf einmal schneller vergangen, als wir gedacht hatten.
„Wir kommen, Mum", rief Ginny, schnappte sich meine Hand, zog mich vom Sofa hoch und nach draußen.

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