Kapitel 19

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Bevor ich reagieren konnte, stürmte Oliver nach vorne um zu seinem kleinen Bruder zu gelangen. Doch er hatte noch nichtmal die Hälfte der Lichtung überquert, als Ryan sich zurück in einen Wolf verwandelte und sich in Angriffsposition begab. Oliver verlangsamte seine Schritte und kam schließlich in der Mitte der Lichtung zum Stehen. ,,Ryan?", war das Einzige, was er hervorbrachte. Ich zuckte zusammen, als Logan plötzlich schallend anfing zu lachen und sich gar nicht mehr einbekam. ,,Du glaubst wirklich, du hättest auch nur den Hauch einer Chance, deinen kleinen Bruder wieder zu bekommen? Wie ich doch schon gesagt habe, er steht unter meinem Befehl und das wird sich auch so schnell nicht ändern." ,,Wie kannst du es wagen, einen meiner Art, meinen Blutsverwandten zu zwingen gegen seinesgleichen zu kämpfen?!", brüllte Oliver Logan wütend entgegen. ,,Wer sagt denn, dass er gezwungen wird bei uns zu sein und an unserer Seite zu kämpfen?" Ungläubig blickte Oliver von Logan zu Ryan und wieder zurück. ,,Weil das die einzig logische Erklärung dafür ist. Ryan war immer auf unserer Seite! Er ist der Sohn des Alphas, du... du... du nichtsnutziger Blutsauger!" ,,Ach weißt du Wolfi, mit einer Hexe an seiner Seite kann man viele Ansichten und Erinnerungen verändern oder sogar ganz ausradieren. Wie zum Beispiel die Ansicht, dass er an der Seiten der Guten kämpft, immer höflich und zuvorkommend sein will oder dass er geschätzt und geliebt wurde." Völliges Entsetzen zeichnete sich in Olivers Gesicht ab und ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und stellte mich an seine Seite. Dort angekommen nahm ich seine Hand in meine und gab ihm mit einem leichten Druck zu verstehen, dass ich für ihn da bin. Die Geräusche des Kampfes in einiger Entfernung ließen langsam nach, aber Olivers Aufmerksamkeit lag einzig und allein auf seinem verschollenen Bruder und Logan. ,,Anfangs hat er sich noch dagegen gewehrt und sich widersetzt, aber nach einiger Zeit könnte man seine Veränderung mitansehen, wie er vom guten, herzlichen Sohn zur blutrünstigen Bestie wurde. Aber als mir dann auch noch die Kontrolle über ihn gegeben wurde, da wusste ich, dass ich mich nun endlich für den Tod meines Vaters rächen konnte, ohne selber in Beschuss zu geraten.", erzählte Logan mit einem hämischen Grinsen im Gesicht. ,,Aber ich hatte einen Traum, ich sah ihn in Ketten gelegt in einer zerfallenen Hütte tief im Wald. Er hat gesagt, ich muss ihn retten. Hast du damit was zu tun?!", fauchte ich Logan an. ,,Aber nein, daran ist einzig und allein Val schuld. Träume kontrollieren ist eine ihrer unzähligen Fähigkeiten."

Val?

'Valentina Storm. Die Hexe.' hörte ich Olivers Stimme in meinem Kopf. ,,Was kann ich machen, damit du mir Ryan zurückgibst?", hob Oliver nun seine Stimme. ,,Wenn das so einfach wäre wie du vermutlich denkst, würde ich dir das nicht sagen, aber da es für dich schier unmöglich ist, werde ich es dir erklären. Zuallererst musst du die kleine, unschuldige Mia in einen Werwolf verwandeln und anschließend musst du sie nur töten, dann ist dein Bruder wieder ganz dein.", antwortete Logan mit belustigter Stimme. Während seiner Worte hatte mich schon ein seltsames Gefühl beschlichen, aber jetzt, als ich realisierte, was er da sagte, blieb mein Herz für einen Augenblick stehen. ,,Das kannst du nicht verlangen! Würde ich sie töten, würde es mich selbst auch umbringen!", rief Oliver empört aus. ,,Genau das, mein Lieber, ist meine Absicht." Kaum hatte Logan diesen Satz beendet, drehte er sich wie der Blitz um und verschwand in den Wald, Ryan immer hinter ihm her. Oliver hatte gar nicht die Möglichkeit die beiden zu verfolgen, denn obwohl er schon wieder heilte, sein linkes Bein konnte er dennoch weiterhin nicht belasten. Wie auf Kommando stürmten die übrig gebliebenen Vampire wie eine wildgewordene Herde hinter uns aus dem Wald, rannten über die Lichtung und verschwanden auf der anderen Seite genauso schnell, wie sie gekommen waren. Um mich um Oliver bildeten sie eine Schneise, denn scheinbar hatten sie den Befehl bekommen, uns nichts zu tun. Selbst als der Boden aufgehört hatte zu vibrieren, starrten wir zwei weiterhin in den Wald. Nach und nach strömten die Wölfe des Rudels auf die Lichtung, manche verwundet und andere wiederum kamen gar nicht zurück.

,,Das ist alles meine Schuld!", regte sich Oliver lautstark auf, nachdem wir im Rudelhaus ankamen. Er und ich wurden sofort nach unserer Ankunft in das Büro seines Vaters zitiert, um die Situation zu erklären. ,,Hätte ich doch nur besser auf ihn aufgepasst, wäre das alles nicht passiert und er wäre niemals in die Fänge dieses bescheuerten Clans gegangen!" Mittlerweile hatte er wie ich auf den Sesseln Platz genommen und seinen Kopf in seinen Händen vergraben. ,,Oliver, beruhig dich. Du kannst nichts dafür. Du selbst warst zu diesem Zeitpunkt noch zu jung, um überhaupt so eine große Verantwortung zu tragen und Ryan war schon immer ein Junge, der sich gerne und viel im Kampf beteiligte. Sein Wesen zu zügeln war und ist einfach unmöglich.", sagte sein Vater mit einem ruhigen aber bestimmten Gesichtsausdruck. ,,Ich werde Ayleen Hale verständigen, vielleicht kann sie uns helfen einen Ausweg aus dieser Situation zu finden."
Wie ich mir denken kann, ist Ayleen die andere Hexe hier. ,,Aber warum verlangt Valentina, dass ich meine eigene Mate und somit auch mich selbst umbringe, damit Ryan frei sein kann? Ich verstehe das einfach nicht. Sie war doch immer auf unserer Seite...", sagte Oliver und seine Stimme klang mehr als nur verzweifelt. ,,Das, mein Sohn, kann ich dir leider nicht beantworten."

Nach dem Gespräch mit seinem Vater gingen Oliver und ich, nachdem er noch kurz mit dem Rudel gesprochen hatte, in sein Zimmer und setzten uns auf sein Bett. ,,Oliver?" ,,Mhm?" ,,Kann ich dir irgendwie helfen?" ,,Du hilfst mir schon allein damit, dass du bei mir bist und nicht vor Angst wegrennst." ,,Wie haben Claire und die Anderen reagiert, als du ihnen erzählt hast, das Ryan überlebt hat?" ,,Claire, Emelie und Amelia waren am meisten geschockt, denn sie sind mit ihm aufgewachsen und waren früher gut mit ihm befreundet, aber auch die anderen Rudelmitglieder, besonders die Älteren, waren zutiefst entsetzt. Sowas wie mit Ryan ist immerhin noch nie passiert." Ich dachte über seine Worte nach und dann fiel mir etwas ein, dass er auf dem Schlachtfeld zu mir gesagt hatte. ,,Du meintest vorhin, dass ich mich 'noch' nicht heilen kann, du jedoch schon, aber warum hat es bei dir so lange gedauert bis dein Bein verheilt war. Als die Anderen zu uns kamen, waren sie, obwohl sie auch übel zugerichtet aussahen, alle schon wieder auf den Beinen." ,,Das liegt einfach daran, dass du, da ich dich ja jetzt als meine Mate gefunden habe, noch nicht verwandelt bist und ich somit auch geschwächt bin. Wärst du schon verwandelt, wäre ich stärker, als jemals zuvor, aber da das nicht so ist, muss ich mit meiner halben Kraft klarkommen."
Stille.
,,Oliver?" ,,Mhm?" ,,Würdest du mich bitte verwandeln?"

My wolf and meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt