Jesse reichte ihm eine Schüssel des süßen Haferbreis, den es heute zum Frühstück gab, und ließ sich dann neben ihn auf die Holzplanken sinken. Es war schon ein bisschen seltsam, hier seelenruhig zwischen den Resten der immer noch essenden Crew zu sitzen, die vermutlich alle ahnten, was der erste Maat und er gerade getan hatten. Vielleicht lag es sogar genau daran, dass so viele der Männer immer noch hier herumlungerten anstatt an die Arbeit zu gehen. Es war ein interessanter Morgen gewesen, vielleicht hofften sie ja auf ein paar mehr Einzelheiten, die sich danach auf dem Schiff verbreiten ließen. Jesse jedenfalls sah man ganz deutlich an, was gerade passiert war.
Die Haare noch wirrer als sonst (auch wenn das kaum vorstellbar war, er sah immer aus wie ein explodierter Besen), die Wangen rot und auf den Lippen ein Lächeln, mit dem er einer zufriedenen schwarzen Katze glich. Ob Francis selbst wohl auch so aussah? Gedankenverloren fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund, aber Jesse fing seine Finger ein, bevor er den Arm wieder sinken lassen konnte. Er küsste zuerst die Fingerspitzen, zog ihn dann ein Stück näher an sich heran und flüsterte ihm ins Ohr.
"Weißt du, dass mir das Sitzen gerade wirklich schwer fällt? Du hast Spuren hinterlassen, mein Lieber."
Francis spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss, entschied dann aber, dass es für verletztes Schamgefühl ohnehin zu spät war.
"Das hoffe ich. Aber es ist doch nicht nur dein Hintern, der sich an mich erinnert, oder?"
Jetzt grinste Jesse über das ganze Gesicht. Vielleicht lag es an Francis roten Ohren (so ganz wohl war ihm wohl immer noch nicht) oder diesem wunderbar unschuldigen Eingeständnis. Offensichtlich schämte er sich nicht für das, was er getan hatte, schämte sich nicht für ihn.
Jesse hob seine leere Schüssel und bat um einen Nachschlag.
"Mit ganz viel Honig, bitte!"Der Koch kam sofort mit der Kelle angetrabt und klatschte Jesse noch einen ordentlichen Klecks hinein. "Jederzeit. Die Mannschaft dankt übrigens für dein heldenhaftes Einschreiten und deinen, ähm, körperliche Einsatz zur Erhaltung des Schiffsfriedens. Und Käpt'n, bei allem Respekt, Sir, ich bin froh, das diese Sache jetzt geklärt ist."
Er verweilte kurz mit der Schöpfkeller über Francis Schüssel. "Ihr habt das doch geklärt, ja? Nicht nur für dieses eine Mal?"Der süße Brei schwebte verlockend vor Francis' Nase und er nickte heftig. "Jaja, das haben wir. Und es tut mir leid, dass ihr so darunter leiden musstet. Darf ich das jetzt haben, bitte?"
"Aber sicher doch." Platsch. "Wir wollen doch, dass ihr beide bei Kräften bleibt und wie wir Jesse kennen, wird das bitter nötig sein. Wo wir schon dabei sind, darf ich deine Hängematte haben, Jesse?"
"Pah, und wovon träumst du sonst noch? Ich werde doch meine hart erkämpfte Lieblingsmatte nicht aufgeben!"
"Einen Versuch war es wert. Wir machen übrigens heute nachmittag einen kurzen Stop in einer Bucht auf Tortuga."
Francis nickte. "Ja, natürlich. Das war der Plan. Wasservorräte aufstocken und ein wenig die Beine vertreten, bevor wir uns auf die spanische Flotte stürzen."
Ausruhen, durch die Wälder streifen, ein bisschen Training auf festem Boden, ein paar hübsche Tümpel zum Baden.
"Na, dann haben wir uns ja verstanden, Käpt'n."
Francis war noch immer ahnungslos und blickte Jesse fragend an, als der Smutje sich mit den dreckigen Schüsseln zurückzog.
"Was wollte er mir damit sagen?"
Jesse grinste. "Er wollte sagen, dass du und ich demnächst jede Menge Zeit haben werden, um unsere.. Bekanntschaft etwas zu vertiefen. Himmel, das hört sich sogar in meinen Ohren unanständig an!"
In den nächsten Stunden waren beide damit beschäftigt, den Inhalt der Vorratskammern zu sichten und in etwa den Bedarf der nächsten Zeit zu kakulieren. In der Karibik und um ihre Pirateninsel herum waren sie nie weit weg von Nahrungs- oder Wasserquellen, deshalb reisten sie in der Regel mit leichtem Gepäck. Dafür blieb dann mehr Platz für Beute und schneller machte es sie obendrein.
Alle freuten sich darauf, für ein paar Tage festen Boden unter den Füßen zu haben und den Speiseplan etwas zu erweitern. Gerade Matthew, der neue Schiffsjunge, hatte in den letzten Wochen doch arg gelitten, auch wenn ihm mittlerweile kaum noch schlecht wurde. Das Piratenleben mochte sich für einen elternlosen Jungen verlockend anhören, war aber nicht mehr ganz so grandios, wenn man die ersten Tage nur kotzend über der Reeling hing. Die gute alte Insel, keine schwankende See, das hörte sich wunderbar an. Außerdem hatte ihm der Käpt'n versprochen, ihm bei ihrem nächsten Landgang den Umgang mit dem Entermesser zu zeigen. Darauf freute er sich besonders, schließlich sollte doch noch ein "richtiger" Pirat aus ihm werden.
Die Dragon ankerte an einem der üblichen Plätze am Rande der kleinen Bucht. Hier war das Wasser tief genug, um auch bei Ebbe nicht auf Grund zu laufen und im Notfall schnell manövrierfähig zu sein. Nicht dass das wirklich notwendig war, aber Francis war kein Mann, der unnötige Risiken einging. Die Beiboote wurden zu Wasser gelassen und Francis fuhr bereits mit dem ersten los, um ihr provisorisches Lager am Strand aufzuschlagen. Jesse blieb noch an Bord, verteilte die Wachdienste und lud zusammen mit dem Quartiermeister Quincy die leeren Wasserfässer in das zurückkommende zweite Boot.
Matthew hatte es geschafft, mit Franics im ersten Boot zu fahren, etwas zu schüchtern, um seinen Kapitän an das Versprechen zu erinnern. Aber das schien zum Glück gar nicht nötig zu sein.
"In einer halben Stunden, ja? Such dir schon mal zwei vernünftige Stöcke zum Üben. Ich will ja nicht, dass du mir gleich beim ersten Mal die Ohren abschneidest."
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Woher wir kamen (Piratenblut 3)
RomanceIch bemühe mich um Handlung, aber eigentlich möchte ich die Jungs nur ein bisschen (miteinander) spielen lassen. ;) Da es sich offiziell um Backstory zu "Piratenblut" handelt, ist die Kenntnis von Teil eins und zwei nicht unbedingt erforderlich. W...