Klartext

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Der Rückweg war weit weniger anstrengend als der Hinweg und das obwohl der Karren schwer war und immer wieder im Gebüsch hängen blieb. Aber es war bereits etwas kühler geworden und diesmal trieb sie kein hitziges Bedürfnis nach Zweisamkeit voran, sondern nur der friedliche Wunsch nach Essen und Gesellschaft. Die Lagerfeuer prasselten und blinkten durch die Bäume hindurch und schon von weitem konnte man den Gesang der Mannschaft hören.

Als sie den Wagen rumpelt an seinen alten Platz beförderten, drehten sich einige Gesichter in ihre Richtung. Der Koch winkte ihnen zu und deutete auf zwei Portionen Abendessen, die er für sie zurückgehalten hatte. Das schien ja langsam zur Gewohnheit zu werden.

"Na, ihr zwei? Ihr wart ja lange Weg, war der Weg so zugewachsen?"

"Ja. Natürlich, das auch. Und danke für... was soll das sein?"

"Was sich im Wald so gefunden hat oder nicht schnell genug weggelaufen ist. Schlaft ihr hier oder auf dem Schiff? Das Boot mit dem Wachwechsel wollte gerade losfahren."

Francis sah sich fragend um, aber Jesse fiel ihm schon ins Wort.

"Ja, ich glaube, das werden wir tun."

Er wusste, dass Francis sein Schiff nur ungern alleine ließ und wenn sie beide an Bord waren, hatten zwei Männer mehr die Gelegenheit, sich am Strand zu betrinken. Was zumindest Jesse heute definitiv nicht mehr vorhatte.

"Geh schon mal vor, Francis. Ich komme gleich nach."

Francis hob die Augenbrauen, ging aber noch ein paar Schritte weiter zum Lagerfeuer, um sich mit dem Rest der Mannschaft abzusprechen, wer nun wo die Nacht verbrachte.

"Alles in Ordnung, Jesse?"

Neils Stimme klang nicht wirklich besorgt, aber wachsam. Manchmal war es ein Fluch, wenn man Menschen lange genug kannte, damit sie sich um einen Sorgen machen konnten.

"Alles in Ordnung."

Der Schiffskoch öffnete noch einmal den Mund, aber Jesse war schneller.

"Wie alt bin ich, Neil?"

Und schloss ihn wieder. "Alt genug. Trotzdem. Pass auf dich auf."

Ihre Blicke kreuzten sich für einen Moment. Ein ehemaliger Schiffsjunge, der zu schnell ja und zu selten nein gesagt hatte und den seine Leichtsinnigkeit schon mehr als einmal beinahe das Leben gekostet hatte, weil sich Lust nur zu leicht mit Liebe verwechseln ließ und Macht sehr unschöne Formen annehmen konnte. Und ein wesentlich jüngerer Mann, der das Kochen erst nach einer tiefen Stichwunde und einem Kampf mit dem Tod gelernt hatte, weil einem manchmal nichts anderes übrig blieb, als seine Ehre und seine Moral mit einer Meuterei zu verteidigen.

"Drake mag ja ein guter Kapitän sein, Jesse, aber... du weißt, wie gefährlich das sein kann. Sei vorsichtig, bitte..."

"Neil. Ich bin jetzt dein Vorgesetzter, weißt du. Das ist sehr lange her und offensichtlich habe ich aus meinen Fehlern gelernt. Und ich bin..."

"Alt genug. Ich weiß. Na dann..."
Neil trat einen Schritt zurück und gab ihm damit den Weg zum Beiboot frei. "Das hört sich ja fast wie etwas Ernstes an. Viel Spaß, Junge."

Jesse ließ den Blick über den Strand schweifen und fand Franis, wie er gerade half, das Boot ins Wasser zu schieben. Dann dreht er sich um und winkte in Richtung der Lagerfeuer, winkte ihm zu.

"Ich glaube, das ist es, Neil. Ich glaube, das ist es."

———————

Es war eine dieser karibischen Nächte, in denen es zu warm zum Schlafen war, aber nicht heiß genug, um tatsächlich unangenehm zu sein. Jesse war seinem Käpt'n in die Kajüte gefolgt, war sich aber nicht so ganz sicher, ober dort überhaupt erwünscht war.

Er lehnte sich von innen an die geschlossene Tür und beobachtete Francis, wie er sich aus seinen Klamotten schälte und dann das Bettlaken zurückschlug.

"Kommst du zu mir?"

Und Jesse kam näher, ganz langsam, und man sah ihm an, dass er etwas auf dem Herzen hatte. Er setzte sich auf die Bettkante und wusste auf einmal nicht mehr, wohin mit seinen Händen. Neil hatte ja Recht. Es gab da ein paar Dinge zu klären, ein paar wichtige Dinge.

"Jesse? Was ist los? Hab ich etwas falsch..."

"Nein. Ich..."
Er schloss die Augen und suchte nach Worten, seufzte und beschloss, einfach ehrlich zu sein.

"Ich habe verflixt hart dafür gekämpft, um einen bestimmten Ruf loszuwerden, Francis. Es gab eine Zeit, da hätte... das hier... nicht viel bedeutet. Ich hätte mich ohne zu zögern in eine wilde Affäre gestürzt, ohne über die Folgen nachzudenken. Aber jetzt... ich mag dieses Schiff. Ich mag diese Mannschaft. Und ich habe genug Blut gelassen, um meinen Job hier zu verdienen.
Also..."
Er holte tief Luft.
"Ich will nicht gezwungen sein, das alles hinter mir zu lassen, nur weil du deine Meinung auf einmal änderst. Es gibt Fehler, die möchte ich nicht wiederholen."

Francis war jetzt bei ihm, legte ihm vorsichtig die Hände auf die Schultern.

"Warte mal.
Ich habe dir zugehört, weißt du. Und ich würde niemals deine Fähigkeiten als Seemann oder als meine rechte Hand in Frage stellen, nur weil du... und ich... Hast du Angst, ich suche mir jemand anderen, der mir nachts das Bett wärmt?"

Jesse blickte betreten zur Seite. "Ein bisschen vielleicht."

"Jesse Dawson, nun hör mir einmal gut zu. Du hast mir vor kurzem noch gesagt, du würdest nie etwas tun, was du nicht willst. Nun, das gilt auch für mich. Ich mag nicht sehr erfahren in diesen Dingen sein, aber..."

Und jetzt fehlten ihm mal wieder die Worte. In seinem Kopf klang es so einfach, wieso war es dann so schwierig auszusprechen?

"Ich bin gerade dabei, mich ernsthaft in dich zu verlieben. Nicht erst seit heute oder gestern. Nicht erst seit dieser peinlichen Geschichte vor ein paar Wochen. Ich habe nur eine ganze Weile gebraucht, um zu verstehen, wie sehr... was... was du mir bedeutest. Also, wenn du mich willst, dann..."
Er griff nach Jesses Hand, führte sie an seine Brust und hielt sie dort fest.
"Dann kannst du dieses Herz ruhig haben."

Jesse standen die Tränen in den Augen und seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. Das hier war kein Spiel mehr, war es nie gewesen.

"Aber ja doch. Wenn du mich auch willst."

Er wollte noch einmal ansetzen, wollte diese Worte sagen, die er noch nie so ehrlich ausgesprochen hatte, aber da verschloss Francis schon seine Lippen mit seinen eigenen.

"Bleib bei mir. Schlaf mit mir. Ich will dich nicht loslassen heute Nacht. Morgen können wir gerne wieder Käpt'n sein und Maat und tun, was wir auf diesem Schiff schon immer getan haben. Heute Nacht möchte ich einfach nur der Mann sein, der an deiner Seite einschläft. Und morgen früh möchte ich in deinen Armen aufwachen und mich freuen, dass du da bist."

Jesse sagte nichts mehr, nahm nur seine Hand und zog ihn mit sich in die kühlen Bettlaken.
"Dann lass uns schlafen, Käp... Francis."
Er legte die Arme um ihn, schmiegte sich von hinten an seinen Rücken.

"Du hast da ein wirklich bequemes Bett."
"Ich weiß. Ein bisschen klein vielleicht für uns zwei."
"Es wird schon reichen."

Woher wir kamen (Piratenblut 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt