Strandgeflüster

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Die Männer am Strand waren längst wach, als sich Jesse und Francis endlich dazu entschließen können, ihre Kajüte zu verlassen. Das Boot hatte sich wohl noch ein paar mal hin- und herbewegt, denn auch Neil war wieder zurück und hatte bereits angefangen, sich um das Frühstück zu kümmern. Es gab, wie immer, Haferbrei, diesmal gekocht über einem fröhlich flackernden, wenn auch kräftig rauchenden Feuer am Strand. Anne stand neben ihm und reichte ihm das Säckchen mit der kostbaren Vanille. Das würde ein sehr süßes und leckeres Frühstück werden und wenn Jesse sich nicht irrte, roch es auch noch nach den Beeren, die sie gestern auf dem Rückweg gesammelt hatten.

Francis kümmerte sich um die Aufgabenverteilung für den Tag, konnte es aber eigentlich kaum erwarten, auf sein Schiff zurückzukehren. Dort wartete Morgans Botschaft auf ihn und damit das Gold, das diese Karte versprach. Wenn sie denn stimmte, aber bisher hatte Henry immer zuverlässige Informationen geliefert. Jesse leistete seinen Anteil an den Reparaturen des Schiffen, er überwachte das Auffüllen der Vorräte und mischte sich nach getaner Arbeit einfach unter die Männer um das zu tun, was sie an Land am Liebsten taten, trinken und tratschen.

Neil warf ihm immer mal wieder undefinierbare Blicke zu und Jesse verdrehte jedesmal genervt die Augen. Sein persönliches Kindermädchen hatte wohl immer noch Sorgen.

Als es Zeit für Matthews Kampfübung war, bat er Anne, ihn dabei zu unterstützen. Sie war zwar groß für eine Frau und stärker als die meisten Vertreterinnen ihres Geschlechts, aber sie wusste, wie man mit körperlich überlegenen Gegner klar kam und das würde Matthew im Zweifel das Leben retten, sollte er wirklich einmal in eine solche Situation kommen. Die Jesse eigentlich noch vermeiden wollte, der Junge war einfach noch zu klein für Überfälle und ganz sicher zu jung, um jetzt schon das Töten zu lernen.

Er ist nicht älter als du es warst, das weißt du. Aber ich war nie so... jung.
Nein, bestimmt nicht. Du warst schon immer der weise alte Mann, der du heute bist.
Wenn die Stimmen im eigenen Kopf anfingen, einen zu verspotten, war es Zeit ihnen nicht mehr zuzuhören.

Es machte Jesse großen Spaß, mit seiner Blutsschwester zu trainieren. Sie kannten sich immer noch in- und auswendig und es war fast unmöglich, sie zu überraschen, weil sie ihm stets einen Schritt voraus war und seinen eigenen manchmal schon erahnte, bevor er sich selbst dazu entschlossen hatte. Und ganz im Gegensatz zu Francis, ließ sich Anne nicht mit sexueller Ablenkung drankriegen, er musste wirklich für jeden Treffer arbeiten. Vielleicht lag es auch ein wenig daran, dass seine eigenen Gedanken doch immer wieder zu seinem Käpt'n wanderten, der gerade so ganz alleine in seiner Kajüte saß, während er doch eigentlich bei ihm viel besser aufgehoben wäre...

"Autsch, du Ratte!"
"Jesse, ernsthaft, könntest du das dämliche Grinsen endlich aus deinem Gesicht wischen und deinen Kopf aus dem Bett und hier an diesen Strand bewegen. Ich schwör dir, ich vermöbel dich gleich nach Strich und Faden, wenn du nicht aufhörst, wie ein Idiot in die Luft zu schauen. Francis ist nicht hier, er wird dich nicht retten!"
"Autsch!"

Es war wohl wirklich an der Zeit, diese kleine Show abzubrechen, bevor er sich noch vor seinem eigenen Schiffsjungen blamierte. Matthew nahm seinen Platz ein und Jesse musste zugeben, dass er bereits jetzt echte Fortschritte gemacht hatte. Wenn er in dem Tempo weitermachte, durfte er es bald mit einem echten Entermesser versuchen, schließlich würden seine Gegner auch nicht mit Stöckchen kämpfen.

Der Tag neigte sich schon dem Ende zu, als Francis endlich wieder aus seinem Loch auftauchte, sehr vergnügt und zufrieden mit sich selbst. Als alle gegessen hatten, bat er um Ruhe und erklärte der versammelten Mannschaft, was er in den letzten Stunden ausgeheckt hatte. Morgans Spione hatte ganz Arbeit geleistet und die Routen und Zeitpläne der geplanten Flotten nach Europa ausgekundschaftet. Und auf Francis ausdrücklichen Wunsch hatte er die sich vor allem auf die kleineren Schiffe und lockeren Bündnisse konzentriert. Alle Welt stürzte sich auf die Spanier, sie würden ihr Glück woanders versuchen.

Woher wir kamen (Piratenblut 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt