London

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Am nächsten Tag zogen sie los, um sich die Stadt anzuschauen. Beide hatten sehr unterschiedliche Erinnerungen an diese Gassen und Viertel, und es war erstaunlich wie wenig sich hier verändert hatte. Es war immer noch laut und dreckig und wo es das nicht war, trieb sich garantiert irgendwelches Gesindel herum, deren Beruf im Unbemerkten und Stillen vonstatten ging. Francis wolle sich zuerst um seinen Auftrag kümmern und das erwies sich als aufwendiger als gedacht. Es reichte nicht, den Brief nur irgendwo abzulegen, er musste ihn übergeben.

Und da dieses ganz bestimmte Etablissement eine Mischung aus Spielhölle und Bordell war (das um diese Zeit natürlich noch nicht geöffnet hatte), dauerte es eine Weile, bis sie die Herrin des Hauses zu Gesicht bekamen. Sie war schon etwas älter und grandios schlecht gelaunt, der Brief in Francis Händen heiterte sie aber sogleich auf. Das Säckchen Münzen, das mitgeliefert wurde, noch viel mehr.

"Das ist für euch, meine Dame. Der Brief soll ungeöffnet weitergereicht werden, man sagte mir, ihr wisst wohin."

"Aber sicher doch, Schätzchen. Der alte Henry kann sich auf mich verlassen. Er ist nicht zufällig bei dir?"

"Leider nein. Aber deshalb bin ich ja da, um euch seinen wärmsten Dank auszusprechen und euch daran zu erinnern, dass sich eine Zusammenarbeit mit ihm immer lohnt."

Die gar nicht so damenhafte Dame musterte ihn gründlich von oben bis unten, mit einem zahnlosen und anzüglichen Lächeln auf den Lippen.

"Heißt das, du würdest mir den gleichen Gefallen wie Henry tun? Es ist noch ein bisschen früh, aber dafür ist mein Bett noch warm..."

Francis wurde rot und schüttelte den Kopf. Oh, nein, Morgan würde etwas zu hören kriegen!

"So weit geht unsere Zusammenarbeit nun nicht. Aber herzlichen Dank für das Angebot."

"Dein Pech. Ich bin gut."

Die Frau schürzte die Lippen und machte ein missbilligendes Geräusch.

"Dann schleicht euch jetzt besser wieder, bevor ihr meine Mädchen weckt. Falls ihr eher Interesse an den jungen Dingern habt, kommt nach Sonnenuntergang wieder. Dann aber mit mehr davon."

Sie schüttelte vielsagend den Beutel, zwinkerte ihnen noch einmal zu und schloß dann die Tür hinter sich.

"Ernsthaft, Morgan schläft mit der?..."

Francis schüttelte den Kopf. "Da wär ich mir nicht so sicher, vielleicht dachte sie auch nur, sie würde uns damit rumkriegen."

"Netter Versuch."

Sie ließen sich treiben, ließen sich einfach mitreissen von dieser Stadt. Die Sonne schien, die Menschen waren freundlicher, als Francis das gewohnt war, und irgendwo war immer gerade Markttag. Nach einem schnellen Mittagessen an der einer der Buden, verkündete Francis, dass er jetzt etwas erledigen musste und zwar allein. Jesse wollte schon fragen, aber die Miene seines Freundes duldete keinen Widerspruch. Nun gut, er war hier großgeworden, er würde zurechtkommen. Sie verabredeten sich für später in einem der Gasthäuser in der Nähe ihrer Unterkunft und beide gingen ihrer Wege.

Francis tat es ein bisschen leid, dass er nicht sagen konnte, was er so unbedingt alleine erledigen wollte, aber das würde Jesse später schon verstehen. Eigentlich war er sich gar nicht sicher, ob es das richtige war, aber wann hatte er schon wieder die Gelegenheit.

Seine Mutter hatte Recht, er würde einfach tun, was er für richtig hielt. Sie wusste vermutlich von dieser einen eher unschönen Episode seiner Jugend, als er etwas verloren hatte, was ihm noch nicht einmal gehört hatte. Ein ganz besonderes Stück, das in seiner Familie weitergereicht wurde, von Vater zu Sohn und wenn es diesen nicht gab, dann an den Schwiegersohn. Kein großartiges Familienerbstück, das man einer Ehefrau um den Hals legen konnte, wenn man sie für immer an sie fesselte, sondern ein ganz simples Schmuckstück.

Woher wir kamen (Piratenblut 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt