Bonny

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Irgendwie hatte sich Francis das Morgens-zusammen-aufwachen angenehmer vorgestellt. Das Bett, das beim Einschlafen noch so komfortabel gewirkt hatte, war im Laufe der Nacht irgendwie kleiner geworden und so schön es war, zusammengekuschelt einzuschlafen - nachts brauchte Francis doch etwas mehr Luft zum Atmen. Jesse schien das anders zu sehen, denn immer wenn Francis sich umdrehte oder ein Stück weg rückte, kam ihm dieser kleine Kobold im Schlaf nachgerobbt und fing ihn wieder ein. Die Hitze und die Tatsache, dass sie beide nicht viel am Leibt trugen, machten Francis Nacht sehr unruhig. Irgendwann siegte dann aber doch die Müdigkeit und er konnte Jesses heißen Körper und das rhythmische Pusten in seinem Ohr ignorieren.

Nicht dass seine Träume nicht genauso warm und verschwitzt und unruhig gewesen wären. Eine wilde Mischung aus Erlebtem und Erträumtem, viel nackte Haut und warme Lippen. Als er im Morgengrauen aufschreckte, kam er sich wie ein Schuljunge vor, der bei etwas Verbotenem ertappt worden war. Jesse schnarchte leise an seiner Schulter und sabberte sein Kissen voll. Nun gut. Es war Morgen, er war wach, dann konnte er genausogut auch aufstehen.

Er befreite seine Gliedmaßen und schwang die Beine über die Bettkante. Als er sich gerade erheben wollte, schnellte ein dünner Arm vor und griff ihn um die Taille.

"Und wo willst du jetzt schon hin?"

Der zweite Arm folgte, zog ihn zurück aufs Bett und auf einen angenehm weichen Körper, die sich sofort um ihn wickelte.

"Ohne ein 'Guten Morgen' gehst du nirgendwohin, mein Lieber."

Er ließ sich bereitwillig nach unten ziehen und drückte seinem Maat den geforderten Kuss auf die Lippen.

"Ich wollte nur pinkeln gehen. Brauche ich dafür jetzt deine Erlaubnis?"

"Hmmmm... vielleicht? Du willst doch bestimmt nicht, dass ich mich einsam und verlassen fühle. Ich komme mit."

Francis hob spöttisch die Augenbrauen.

"Schau nicht so, ich muss auch."

Das Schiff war noch sehr ruhig, ohnehin hatten die meisten der Männer am Strand übernachtet. Als beide ihr Geschäft erledigt hatten, hörten sie das Geräusch von Rudern im Wasser. Eins der Beiboote bewegte sich auf die Dragon zu. Es waren nur zwei Personen darin erkennbar: Vorne ruderte Neil, dessen steifes Bein auch auf die Entfernung gut zu erkennen war, und neben ihm saß eine kleinere Gestalt, deren leuchtend rote Haare unter einem braunen Schlapphut hervorblitzten.

Jesse strahlte und als das Boot an dem größeren Schiff festmachte, ließ er sofort die Strickleiter hinunter, damit die beiden sie nicht von unten auslösen mussten. Zuerst kam Neil an Bord, der zweite Seemann ihm knapp auf den Fersen. Beide wirkten überrascht, so früh am Morgen schon wache Menschen an Bord anzutreffen.

"Sieh an, sieh an. Der verlorene Sohn kehrt heim..."

Francis stand mit vor der Brust verschränkten Armen ein Stück abseits und musterte die Ankömmlinge.

"Dich haben wir ja schon eine Weile nicht mehr gesehen. Ich dachte schon, du wärst mit meinem Gold einfach abgehauen oder mit deiner Helena durchgebrannt."

"Guten Morgen, Käpt'n. Guten Morgen, Jesse."

Der verlorene Sohn tippte sich an den Schlapphut.

"Es ist eine Schande, dass du mir so misstraust. Es hat nur etwas länger gedauert, deine zahlreichen Aufträge zu erledigen und ich habe noch allerlei feine Sachen mitgebracht."

"Soso", schmunzelte Francis. "Du bist aufgehalten worden. Du hast da übrigens noch Lippenstift."

Er deutete auf das blasse Gesicht mit den vielen Sommersprossen. Der Rotschopf fuhr zusammen, die Hand an der Wange und Francis brach in Gelächter aus.

Woher wir kamen (Piratenblut 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt